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Soldat auf der "Dondass" in Mariupol

APA/AFP/Sega VOLSKII

Hohe Wellen

Mit der jüngsten Eskalation vor der annektierten Halbinsel Krim ist der Krieg zwischen der Ukraine und Russland zurück in den internationalen Schlagzeilen.

Von Simone Brunner

Es ist das seichteste Meer, das international derzeit aber für die höchsten Wellen sorgt: das Asow’sche Meer, ein Nebenmeer des Schwarzen Meeres und etwa halb so groß wie Österreich. Am Sonntag ist es in der Seestraße von Kertsch, die die beiden Meere verbindet, zu einem Zusammenstoß gekommen. Ein Video zeigt, wie ein ukrainischer Schlepper von der russischen Küstenwache gerammt wurde. Drei ukrainische Schiffe samt einer 24-köpfigen Besatzung befinden sich in russischer Gefangenschaft, sechs Matrosen sollen verletzt sein.

Simone Brunner ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Osteuropa, seit 2014 mit besonderem Fokus auf die Entwicklungen in der Ukraine.

Es war eine Eskalation mit Ansage, denn bei Kertsch hatte es in den letzten Monaten immer wieder Spannungen gegeben. Insbesondere, seitdem die Russen im Frühling dieses Jahres unter großem Pomp die Brücke über die Meerenge eingeweiht hatten, die das russische Festland mit der Krim verbindet – der einzige Landweg zwischen Russland und der 2014 annektierten Halbinsel. Die Ukrainer werfen den Russen vor, den Schiffsverkehr mit Kontrolle und Inspektionen behindert zu haben. Galina Odnorog, eine lokale Aktivistin in Mariupol, hatte zudem schon im August von der hohen Militärpräsenz auf dem Meer gewarnt. „Jede Provokation kann die Situation hier in einen Krieg verwandeln“, sagte sie damals zu Radio Free Europe/Radio Liberty. „Wir sind in einem Pulverfass.“

Der aktuelle Vorfall ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil es der erste direkte und offene Zusammenstoß zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften ist. Russland hat 2014 die Krim annektiert und in der Ostukraine einen Krieg entfesselt – einen verdeckten Krieg, den Moskau maßgeblich militärisch und finanziell befeuert, ohne sich jedoch dazu zu bekennen. Der Vorfall von Kertsch hat Ängste befeuert, es könnte zu einer Eskalation des Krieges, einer dritten Front oder gar einem russisch-ukrainischen Seekrieg kommen. Vorerst ist die Lage nicht eskaliert – wenngleich Präsident Petro Poroschenko in einer spektakulären nächtlichen Sitzung des Sicherheitsrates angekündigt hatte, das Kriegsrecht in der Ukraine zu verhängen.

Landkarte

APA

Doch was martialisch klingt, bedeutet vorerst nicht viel. Das Kriegsrecht ist nicht mit einer Kriegserklärung gleich zu setzen, sondern sorgt für Sondervollmachten für das Militär in zehn ukrainischen Oblasten (vergleichbar mit Bundesländern). In der Ukraine wurde Poroschenko dafür kritisiert, das Kriegsrecht wenige Monate vor den geplanten Präsidentschaftswahlen am 31. März zu verhängen – immerhin befürchten Kritiker, dass demokratische Rechte eingeschränkt werden könnten. Was auch immer Poroschenko mit dem Kriegsrecht erreichen will – international bestimmt der Krieg in der Ukraine jedenfalls dieser Tage wieder die Schlagzeilen.

Dass die Welt heute gebannt auf die Region blickt, quittiert Wladislaw Saizew, ein 23-jähriger Aktivist aus Mariupol, der größten ukrainischen Stadt am Asow’schen Meer, mit Schulterzucken. Denn Mariupol ist ohnehin an Krieg gewohnt. 2014 kam die Stadt unter die Kontrolle der Separatisten, später fielen auch Bomben auf die Außenbezirke der Stadt – und immer wieder wurde spekuliert, ob die pro-russischen Separatisten versuchen könnten, über Mariupol einen Landweg von den Separatistengebieten im Donbass auf die Halbinsel Krim zu schlagen. „Nach einer Eskalation sieht es derzeit nicht aus“, glaubt er. „Und das Vertrauen in die Armee ist heute größer als damals.“

Vorfall könnte folgenreich sein

Der Vorfall von Kertsch könnte aber folgenreich sein. Moskau könnte ihn als Vorwand nehmen, um den ukrainischen Seeverkehr einzuschränken und nun auch das Asow’sche Meer, dessen Nutzung nach einem Abkommen von 2003 eigentlich partnerschaftlich zwischen der Ukraine und Russland geregelt wurde, unter seine alleinige Kontrolle zu bringen. Der russische Militärexperte Pawel Felgengauer wiederum vermutet, dass die Russen den Aufbau der ukrainischen Flotte in Berdjansk im Keim ersticken wollten. Nach Recherchen der Kyiv Post soll die ukrainische Flotte aktuell nur über rund 30 Schiffe verfügen. Ein Seekrieg mit Russland lässt sich damit kaum führen.

International lautet zwar der Tenor, dass eine Eskalation sowohl dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, als auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nützt. Putin erreichte den Zenit seiner Popularität, als er im Frühling 2014 unter patriotischem Gedöns im „Kampf gegen die faschistische Junta“ die Krim annektierte. Aber auch Poroschenko, der sich bei Frontbesuchen gerne in Soldatenuniform ablichten lässt, hat mit den Jahren gelernt, die Vorzüge der Kriegsrhetorik für sich zu nutzen. Patriotischer Schulterschluss statt die ewige Kritik am schleppenden Kampf gegen die Korruption, der einst am Maidan gefordert wurde.

Petro Poroshenko

APA/AFP/Genya SAVILOV

Petro Poroshenko

Eine erneute russische Seeblockade würde aber vor allem die ukrainischen Hafenstädte Mariupol und Berdjansk vom Seeweg abschneiden. Mariupol ist einer der wichtigsten Industriehäfen der Ukraine, von hier wird der Stahl des reichsten ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow verschifft. Achmetow gilt wiederum als Verbündeter Poroschenkos. Für Poroschenko steht in der Meerenge von Kertsch somit viel mehr auf dem Spiel, als für Putin, der in der Region ohnehin mit seiner militärischen Überlegenheit Fakten schafft. Vielmehr könnte Moskau mit der Blockadepolitik versuchen, die Südostukraine nicht direkt militärisch, - was wohl weitere westliche Sanktionen führen würde - sonder wirtschaftlich zu destabilisieren.

International war der Krieg zwischen der Ukraine und Russland in letzter Zeit weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. In Zeiten von Donald Trump und Brexit wurde eine Lösung des Konfliktes von westlichen Ländern nur halbherzig vorangetrieben, die Krim-Frage oft ausgeklammert. Das rächt sich jetzt. „Der Vorfall macht deutlich, dass es ein Fehler der westlichen Partner der Ukraine war, das Thema Krim der Frage des Donbass faktisch unterzuordnen“, schreibt Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Analyse. „Die Krim ist in den letzten Jahren zu einem sicherheitspolitischen Hotspot geworden. Dieses Thema muss nun vermehrt angesprochen werden.“

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