Titanendämmerung der „Großen Fünf“ im Internet kündigt sich an
Von Erich Moechel
Die schlechten Nachrichten für Facebook kommen mittlerweile schneller als im Wochentakt. Der U-Ausschuss des britischen Parlaments zu „Fake News“ und Wahlmanipulation in Sozialen Netzwerken hatte zuletzt tausende vertrauliche Dokumente des Unternehmens beschlagnahmen lassen. Davor hatte Facebook zugegeben müssen, dass eine dubiose PR-Agentur engagiert worden war, um den Investor George Soros öffentlich anzuschwärzen.
Nach jeder Hiobsbotschaft bröckelte die Facebook-Aktie erneut um ein paar Dollar ab, seit Juli ging bereits ein Drittel des damaligen Börsenwerts verloren. Ende September wurden auch die Kurse der übrigen vier Internetgroßkonzerne von der Schwindsucht angesteckt, seitdem geht es mit den „Big Five“ kontinuierlich bergab. Hedge-Fonds und andere institutionelle Großanleger bewerten die Risiken dieser Geschäftsmodelle nun offenbar viel höher als zuvor.

Yahoo Finance
Diese Grafik von Yahoo Finance zeigt die Kursentwicklung der Facebook-Aktie in Jahresfrist. Der Spitzenwert im Juli ging mit der Präsentation der Quartalszahlen direkt in einen Absturz über, der bis heute anhält.
Exodus der Facebook-Manager
Das erste Menetekel war der Absturz der Facebook-Aktie Ende Juli. Seitdem ging der Kurs bestenfalls seitwärts und stürzte periodisch wieder ab.
Diese Entwicklung ist deshalb so bedeutsam, weil sie alle fünf führenden Internetkonzerne hintereinander erfasst hat. Zudem ist es die überhaupt erste große Kurskorrektur für diese Börsenüberflieger, nachdem sie gut ein Jahrzehnt lang beinahe linear gewachsen waren. Amazon, Apple, Google und auch Microsoft sind von ihren Allzeithochs im Sommer inzwischen ziemlich weit entfernt, Facebook aber ist bereits drauf und dran, seinen Börsenwert des ersten Halbjahrs 2018 im zweiten zu halbieren.
Das Eingeständnis, dass man eine auf Diffamierung spezialisierte PR-Firma engagiert hatte, um George Soros - das Lieblingsfeindbild aller Rechten und autoritären Regimes - zu desavouieren, kam von Elliot Schrage, dem Kommunikationschef des Konzerns. Danach machte der langgediente Topmanager nach mehr als zehn Jahren seinen Abgang. Der langjährige und in der Branche hochangesehene Sicherheitschef Alex Stamos hatte dies bereits im Sommer getan. Auch die beiden Gründer der Facebook-Tochter Whatsapp waren im Sommer nach heftigen internen Auseinandersetzungen im Unfrieden geschieden.

APA/AFP/Jim WATSON
Die Harvard-Absolventin Sheryl Sandberg, seit 2012 Chief Operative Officer von Facebook. Sandbergs Anteile am Unternehmen waren bis vor kurzem noch eine Milliarde Dollar wert.
Facebook war Auslöser, nicht der Grund
Der Grund für die größte Kurskorrektur nach unten in der kurzen Geschichte Facebooks an der Börse waren die Enthüllungen über die auf Wahlmanipulation spezialisierte Firma Cambridge Analytica.
Zuletzt kam Whatsapp auch die letzte altgediente Führungskraft abhanden, auch die beiden Gründer von Instagram - ebenfalls eine Facebook-Tochter - kündigten ihren Abgang an. In der Branche wird mittlerweile schon über den Zeitpunkt spekuliert, an dem Sheryl Sandberg, die rechte Hand Mark Zuckerbergs, das Handtuch werfen wird. Sandberg gilt als eine der Hauptverantwortlichen für den Kurs des Wachstums um jeden Preis, der die vergangen fünf Jahre geprägt hat.
Weil die „Big Five“ zu den den Top-5-Unternehmen der USA aufgestiegen sind, was ihre Marktkapitalisierung betrifft, ist dieser Trend auch in der Gesamtperformance der US-Börsen abgebildet. Seit Anfang Oktober zeigt sich in den Indizes der Technobörse NASDAQ aber auch der wesentlich breiter aufgestellten New York Stock Exchange etwas weniger ausgeprägt derselbe Knick. Die Entwicklung bei Facebook war dafür allerdings nur der Auslöser aber bei weitem nicht der einzige Grund dafür.

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Die Apple-Aktie zeigt denselben Knick nach einer langen Periode kontinuierlichen Wachstums, die weit länger dauerte, als in diesem Jahres-Chart dargestellt. Die Darstellung der Kurse via Yahoo Finance wurde vor allem wegen ihrer Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit für Leser/innen ausgewählt. Die Kursdarstellungen auf dieser Website sind auch ohne Anmeldung und Login weitgehend frei konfigurierbar.
Die Börsenkurse und die DSGVO
Dass die EU seit einem Monat die Programmierpraktiken von Facebook eingehend untersucht hat den Kursverfall weiter beschleunigt.
Zehn Jahre kontinuierlicher Zuwächse mit bestenfalls marginalen Rückschlägen in einem ganzen Wirtschaftssektor sind an der Börse per se eine seltene Erscheinung. Zudem haben sich die Rahmenbedingungen für die Großen Fünf in Europa während der letzten Monaten stark verändert, denn seit Mai ist hier bekanntlich die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft. Vieles davon war zwar schon in der EU-Datenschutzregelung von 1995 festgeschrieben, neu ist jedoch das Durchsetzungsregime mit hohen Strafen.
Bis zu vier Prozent des jährlichen Weltumsatzes bei groben oder wiederholten Verstößen gegen das europäische Datenschutzregime zahlen auch Google oder Facebook nicht mehr aus der Portokasse. Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, sind die Geschäftsmodelle der Datenmakler nicht wirklich mit den neuen europäischen Datenschutzgesetzen kompatibel. Diese Gefahr für die gesamte Datensammelbranche haben die Börsianer offenbar als Erste erkannt.

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Auch der Kurs von Google zeigt dieselben Charakteristika. Neben der DSGVO drücken auch die Proteste der eigenen Belegschaft gegen den Wiedereinstieg in den chinesischen Markt auf den Kurs (siehe unten).
Konsumentenschützer gegen Google
Facebook ist mit seinem Wust an hausgemachten Problemen allerdings nicht allein. Google bekam im Juli bereits eine EU-Kartellstrafe von 4,3 Milliarden Euro aufgebrummt, wegen Missbrauchs seiner Marktmacht in puncto Android-Betriebssystem. Nun sind die Konsumentenschutzverbände aus sieben EU-Staaten hinter Google her, wegen Nötigung der Android-Benutzer mit allen Tricks, dem Tracking ihrer Bewegungen zuzustimmen, auch wenn die Benutzer diese Funktion bewusst abgeschaltet hätten.
Sobald der Benutzer eine App aktiviert, die Standortdaten verlangt - und das tun die allermeisten Apps automatisch - wird das Tracking einfach wieder aktiviert und das offenbar ohne Benachrichtigung des Benutzers. Das verstoße eindeutig gegen die DSGVO, so die Konsumentenschützer in einer Aussendung am Dienstag. Am selben Tag schlossen sich 60 Google-Ingenieure der Aufforderung von Amnesty International an, dass Google sein Projekt „Dragonfly“ zur Rückkehr auf den Markt in China aufgeben sollte. Die Google-Führung hat vor, eine eigene Suchmaschine für China einzurichten, auf Basis des dort regierenden strengen Zensurregimes Nachrichten und Inhalte ausspart, die in China auf dem Index stehen.
Apple, Microsoft und Amazon
Der Apple-Kurs ist derzeit weniger durch die DSGVO als aus Steuergründen unter Druck. Nachdem der Konzern im September 14,3 Milliarden Euro Steuernachzahlung an die Republik Irland überwiesen hatte, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestagher, dass nun die Steuerpraktiken der Firma im Detail untersucht würden. Weit schwerer für die Analysten wiegen jedoch die Drohungen Donald Trumps, seinen Wirtschaftskrieg gegen China mit Strafzöllen auf importierte Elektronikprodukte auszuweiten.
Von den „Großen Fünf“ wird Apple dadurch am härtesten betroffen, von den iPhones angefangen ist die gesamte Hardwareproduktion der Firma nach China ausgelagert. Bei Microsoft wäre davon zwar nur die Xbox betroffen, allerdings ist ein EU-Verfahren gegen das Unternehmen wegen seiner Datensammlungspraxis durch Office24 und andere Cloud-Anwendungen in Vorbereitung. Amazon wiederum wird von Trump bei jeder passenden Gelegenheit als Paradebeispiel für eine verantwortungsloses US-Unternehmen vorgeführt.
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Über allen fünf Konzernen aber schwebt die Drohung der EU mit einer Steuer auf die Umsätze. Auch wenn diese Drohung derzeit wenig handfest ist, trägt sie zur allgemeinen Stimmung an den Börsen sehr wesentlich bei. Neben Zinserhöhungen ist die Besteuerung von Umsätzen das hauptsächliche Schreckgespenst aller Börsianer, egal ob sie mehr zu den Bullen oder der Bärenfraktion gehören.
Publiziert am 29.11.2018