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Chilly Gonzales bei der FM4 Radio Session

David Višnjić

fm4 radiosession

Raffiniert wie immer: Chilly Gonzales im RKH

Bei diesem Konzert kamen keine Klaviere zu Schaden: Chilly Gonzales kehrte kontemplativer als sonst – mehr Artist als Entertainer – ins Radiokulturhaus zu seiner zweiten FM4 Radio Session zurück.

Von Katharina Seidler

„One of these days I will shut up and play the piano“, dieser Satz ist für Jason Beck aka Chilly Gonzales Versprechen und Albtraum zugleich. “Hello microphone it’s me, Chilly”, beginnt er ebendiesen Song von seinem Orchestral rap-Album “The Unspeakable Chilly Gonzales” aus 2011, nur um sich gleich selbst auszubessern: “Hello microphone it’s me, Jason”. Die zwei Seelen in der Brust des frankokanadischen, selbsterklärten musical genius sind die des Entertainers und die des Künstlers, Chilly und Jason. Diese zwei Begriffe werden von Menschen, die auch auf die Unterscheidung der Uraltkategorien „U-" und „E-" Musik Wert legen, bekanntlich als Gegensatzpaare begriffen.

Gonzales selbst hat sich schon lange als Brückenbauer zwischen diesen behaupteten Welten behauptet, mehr noch: Sein größter Trick ist die Verschachtelung der Ebenen; ein Musikgenie, das den witzreißenden Hochstapler spielt, der das Musikgenie spielt. Gonzales sagt: „Eines meiner Solo Piano-Stücke klang zu Beginn wie Chopin vom Aldi, aber dann habe ich es verfeinert“, und hat damit nicht nur die Lacher im deutschsprachigen Raum auf seiner Seite, sondern nimmt auch potentiellen Kritikern seiner Kompositionen den Wind aus den Segeln. Seine „Solo Piano“-Alben wollen schließlich genau dies sein, perlende Impressionen, für Hobby-PianistInnen einfach nachzuspielen, aufgebaut auf neo-romantischen Harmonien mit der genau richtigen Dosis Melancholie.

Bei seinem letzten Besuch im Großen Sendesaal des RKH legte Chilly Gonzales die zu Recht legendäre Zusammenarbeit mit dem Rundfunk-Symphonieorchester selbst für seine Begriffe besonders megalomanisch an. Das ihm schon zur Gewohnheit gewordene Klettern ins Klavier war neben Tanzeinlagen mit dem Dirigenten Cornelius Meister, Improvisationen mit vollständigem Orchester und Crowdsurfen über die Sitzreihen („I don’t have insurance“) noch eine der unspektakuläreren Aktionen dieses denkwürdigen Abends im Jahr 2011.

Selbst er habe sich damals allerdings gefragt: „Bin ich diesmal zu weit gegangen?“, erzählt Gonzales am Freitagabend im wieder bis in die oberste Balkonreihe gefüllten Sendesaal, und dass er erleichtert gewesen sei, als eine weitere Einladung von FM4 ins Haus trudelte. Seine zweite FM4 Radio Session ging der Künstler also ruhiger an, mehr artist als Entertainer, und hatte passenderweise seinen soeben veröffentlichten Abschluss der „Solo Piano"-Albumtrilogie im Gepäck. Im ersten Teil des Konzerts also hat man die seltene Gelegenheit, Jason Beck ohne Mikrophon am Klavier zu erleben, versunken in sein Spiel. Wenn er zwischen den Medleys aus seinen Kompositionen dann doch das Wort ergreift, hält er kleine musikwissenschaftliche Vorträge, natürlich ebenso witzig wie kenntnisreich, und erzählt etwa, warum der F-Dur-Septakkord in seinem Stück „Be Natural“ unaufgelöst bleibt: „Auch im echten Leben lösen sich nicht alle Angelegenheiten in Wohlgefallen auf, kleine Dissonanzen bestimmen den Alltag.“

Chilly Gonzales RS Orgel

David Višnjić

Später wird es exzentrischer. Ab der zweiten Hälfte bekommt Gonzales musikalische Unterstützung, erst von Stella Le Page am Cello, dann noch von Joe Flory an Schlagwerk und Flügelhorn. Gemeinsam heben sie Gonzales-Hits wie „Knight Moves“ oder „The Grudge“ zu neu arrangierten Höhen, dazwischen nimmt sich der Maestro für gut erprobte Blödeleien wie eine kompositorische Analyse von und ein Mashup aus „Smells like teen spirit“ und „Hit me baby one more time“ ausgiebig Zeit („Auf Deutsch heißt es ‚Schlag mir Kinder noch einmal‘, richtig?“). Der Titel des Tracks „Cello Gonzales“ sei ihm heute peinlich, erfahren wir außerdem.

Auch die riesige Orgel des Sendesaals erlebt man an diesem Abend in Aktion. Gonzales steht mit ausgebreiteten Armen da, während sich der Vorhang langsam öffnet, dann nimmt er Platz und spielt sich durch ihre verschiedenen Register. Je weiter die fast zweistündige Radio Session voranschreitet, desto unverkrampfter wird auch das Publikum. Mit seinem mitreißenden Charme bringt Gonzales noch jede und jeden im Saal zu Standing Ovations, und seine Entertainerqualitäten weiß er auch nur kurze Zeit lang zu verbergen. Den Spagat zwischen Pop und Klassik, Easy Listening und Experiment inszeniert Chilly Gonzales 2018 als raffiniertes Vexierspiel mit mehr shut up und mehr Piano. Die Begeisterungsstürme im Saal geben ihm recht.

Die FM4 Radio Session mit Chilly Gonzales on Air und als Video on demand

Am Mittwoch, 5.12. gibt es die Highlights der FM4 Radio Session mit Chilly Gonzales in Connected und der Homebase zu hören. Gleichzeitig wird auch das Video der Session auf fm4.orf.at erscheinen.

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