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Kleine Pflanze in ausgedörrtem Boden

Patrik STOLLARZ / AFP

Schwerpunkt Klimawandel

Gogo-gadgeto Selbsterhaltungstrieb

Die Klimakonferenz in Katowice erwägt die Rettung der Welt. Ein FM4-Schwerpunkt, ein FM4 Auf Laut, und einige Gedanken zur Klimakrise.

Von Albert Farkas

Vielleicht werden wir unser Leben statistisch einmal nicht mehr nach Jahreszahlen gliedern, sondern nach der zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils vorherrschenden CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre. Laut dieser neuen Zeitrechnung würde ich zum Beispiel dann nicht mehr sagen, ich bin im Jahr 1982 geboren worden, sondern zur Zeit von ca. 340 Millionstel Anteilen CO2 am atmosphärischen Gehalt.

Auf FM4 läuft anlässlich der Weltklimakonferenz COP24 in Katowice diese Woche ein Schwerpunkt zum Thema Klimakrise, mit Beiträgen u. a. über Klimavertriebene, CO2-Diäten, Post-Wachstums-Projekten, Klimawandelliteratur, und mit Berichten von der COP24 von Chris Cummins.

Wer im Jahr 0 unserer gegenwärtig üblichen Zeitrechnung auf die Welt gekommen wäre, hätte einen CO2-Wert von knapp 280 parts per million erlebt. Knapp 1800 Jahre später, zu Beginn des industriellen Zeitalters, hätte diese Person, wenn sie noch immer am Leben gewesen wäre, keinen wesentlichen Unterschied an diesem Wert messen können.

In den 36 Jahren meines bisherigen Lebensalters hingegen ist der CO2-Anteil alleine von bereits 340 ppm auf 407 ppm in die Höhe geschnellt, ein Anstieg um fast 20%. Größenordnungen wie 407 Millionstel klingen nicht nach viel, aber der aktuelle CO2-Eintrag unserer Atmosphäre lenkt die Erde auf einen Kurs von mindestens 1,5 Grad Celsius durchschnittliche Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Der in diesem rasanten atmosphärenchemischen Tempo beeinflusste Temperaturanstieg wird im bekannten, 1999 zum ersten Mal festgehaltenen Hockeyschläger-Diagramm veranschaulicht. Und der CO2-Anteil steigt weiterhin schneller, als vermutlich jemals zuvor in der Geschichte des Planeten.

Abweichung der durchschnittlichen Jahreslufttemperatur vom langjährigen Durchschnitt (1901-2000) in Österreich und global seit 1870 - Kurvengrafik Grafik

APA

Dimensionen an der Grenze des Fassbaren

Die Zeithorizonte sind während meiner Lebenszeit in einer atemberaubend, vielleicht nicht mental verarbeitbar schnellen Geschwindigkeit zusammengeschrumpft. Noch in den 1990ern und frühen 2000ern haben sich in Berichten über geologische Veränderungen die einschlägigen, genannten Werte auf kaum beunruhigend niedrigen und die Geschwindigkeiten auf gemächlich-langatmigen Niveaus gehalten. Im 20. Jahrhundert stieg der Meeresspiegel um durchschnittlich 1,7 mm pro Jahr. Jetzt, weniger als drei My Bloody Valentine-Alben später, könnte aufgrund nicht mehr abwendbarer Schmelzwasserpulse der Untergang sämtlicher Küstenstädte besiegelt sein. Vor 20 Jahren ist im Klima-Diskurs die Vorstellung vom Aussterben des Menschen nicht im Geringsten vorgekommen. Jetzt ist es als Folge eines uneingedämmten Klimawandels eine reelle Möglichkeit, der ins Auge geblickt werden muss.

Am 4. Dezember sprechen wir in FM4 Auf Laut über den Umgang mit der Klimakrise. Zu Gast bei Claudia Unterweger sind Umwelt-Kommunikations-Expertin Sibylle Chiari von der BOKU Wien und Mira Kapfinger von der Aktivismus-Plattform System Change, Not Climate Change.

Diese existenziell bedrohliche Zuspitzung gebietet es, dass wir als Menschen, bevor wir uns ganz auf die geeignetsten Gegensteuerungsmaßnahmen (oder das nächste Konsum-High) konzentrieren, auch einmal innehalten, einen Schritt zurücktreten, und uns vergegenwärtigen, was wir als Spezies bewirkt haben, auch, oder gerade deswegen, weil die Dimensionen vielleicht an die Grenzen unserer Fassbarkeit gehen.

Der im Oktober veröffentlichte Sonderbericht des Weltklimarates IPCC hatte die vornehmliche Aufgabe, die Unterschiede zwischen einer um 1,5° und einer um 2° Grad wärmeren Welt zu analysieren. Eines der Ergebnisse: Beim + 2°-Szenario dürften 100% aller weltweit vorkommenden Korallen zerstört werden. Bei +1,5° aber auch immer noch bis zu 90%. Im Moment steuert die Erde bis zum Jahr 2100 auf eine Erwärmung von 2,6° bis 5° zu (ohne Einberechnung möglicher in Gang kommender, verstärkender klimatischer Rückkopplungseffekte). Korallen gibt es seit 500 Millionen Jahren (in ihrer gegenwärtigen Inkarnation seit 20 Millionen Jahren). Menschenwesen gibt es seit 2,5 Millionen Jahren, den Homo Sapiens erst seit 300.000. Korallenriffe beherbergen 25% der Unterwassertierwelt. Die Welt von “Findet Nemo” (erst 2003 erschienen) könnte für Millionen von Jahren der Vergangenheit angehören. Der amerikanische Bioethiker Arthur W. Galston hat für so einen Akt der menschlich verursachten Auslöschung den Begriff “Ökozid” geprägt.

Totes Korallenriff in Japan

"AFP PHOTO / JAPANESE ENVIRONMENT MINISTRY"

Ein totes Korallenriff in der Kawahira Bay in Japan. Nur 1% des größten japanischen Korallenriffs ist in einem gesunden Zustand.

Auch eine durchschnittliche Erdtemperaturschwankung um 2-4° (oder mehr) allein innerhalb eines Jahrhunderts ist, zumindest seit Anbruch der menschlichen Zivilisation, beispiellos. Der blaue, metallene Ball ist nach einer Ewigkeit an Langmut und Stabilität ins Rollen geraten.

Die unbewohnbare Erde

Ich persönlich habe keine Kinder.
Meine Präferenz in Sachen Klimawandel, in absteigender Reihenfolge:

  • Ich würde den Erhalt komplexer menschlicher Gesellschaften bevorzugen.
  • Falls das nicht möglich sein sollte, würde ich mir das Überleben der menschlichen Rasse wünschen.
  • Mein Minimalwunsch wäre das Überleben irgendeiner Form von Leben auf der Erde.

Aber bei einer Erwärmung um über 2° innerhalb weniger Jahrzehnte scheint Bedingung 1 schwer vorstellbar, und auch 2 und 3 scheinen fraglich. Ökosysteme und Organismen sind nicht dafür beschaffen, sich an solche halsbrecherisch schnellen Temperaturveränderungen anzupassen.

Kunstschneeproduktion auf einer Schiwiese

APA/BARBARA GINDL

Wintersport in den Alpen ist immer mehr auf künstliche Schneeproduktion angewiesen.

Der momentane Zustand und die aus ihm erwachsenden Perspektiven, wenn wir jetzt nicht sofort entschlossen handeln, verleiht der Existenz der in der jetzigen Zeit gleichzeitig diesen Planeten bewohnenden Generationen an Menschen eine einzigartige Ominosität und Dramatik. Fast alles, was wir am Leben lieben und schätzen, steht zur Disposition. Die Demokratie ist noch nie einer Belastungsprobe durch eine solche Krise ausgesetzt gewesen, wie sie sich anbahnt. Überhaupt kann die Geschichte gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Gebarens unter existenziellem Druck keine besonders ruhmreiche, humanistisch beseelte Bilanz aufweisen.

Das Entgleiten der Sicherheiten

Viele unserer gesellschaftlichen Ziele (Zugang zu Versorgung, Freiheit, Friede, Recht) könnten in unerreichbare Ferne rücken. Die Klimakrise ausgeklammert gäbe es in der heutigen Zeit durchaus zahlreiche Gründe für Optimismus (mehr personelle Diversität in der Politik und in Unternehmen, weniger Gewalt in Familien und zwischen Staaten). Aber das, was durch unermüdliche Arbeit und Kultivierung aufgebaut wurde, könnte wegbrechen, und Entwicklungen, die wir mit Fortschritt gleichsetzen, sich wieder umkehren - und dieses Jahrzehnt könnte dabei den Scheitelpunkt bilden. Die UNO-Welternährungsorganisation FAO hat in einem im September erschienenen Bericht festgehalten, dass die weltweiten Hunger- und Mangelernährungsraten, die 2015 einen historischen Tiefstand erreicht hatten, seitdem wieder sprunghaft angestiegen sind. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir der Klimakrise nicht mit aller Macht entgegentreten, brauchen wir uns um all die anderen Probleme auch nicht mehr kümmern.

Venedig unter Hochwasser

AFP PHOTO/ VINCENZO PINTO

Nicht nur Venedig ist von einem Anstieg des Meeresspiegels bedroht, in Bangladesch etwa liegen 10% der Landesfläche nur einen Meter über dem Meeresspiegel.

Betreffend die unseren ökologischen und kulturellen Referenzrahmen bestimmenden Fixpunkte, die bereits innerhalb der Lebensspanne heute lebender Menschen verschwinden könnten: Die Korallenriffe, Venedig, das arktische Meereis, der Golfstrom, sie alle sind auf dem Tisch, gemeinsam mit unzähligen symbolträchtigen und nicht-symbolträchtigen Tier- und Pflanzenarten. Nicht zuletzt könnten uns, die wir heute leben, auch in Österreich Ressourcenknappheit und eskalierende staatliche oder privat verübte Gewalt ereilen, und es könnte sein, dass unsere Kinder, oder auch wir selbst, nicht besonders alt werden. Auf gute Nachrichten bräuchte man, solange der CO2-Gehalt nicht sinkt, nicht hoffen. Die Zukunft wäre nicht mehr etwas, auf das man sich freut, sondern das durchlitten werden muss. Die menschliche Existenz würde wieder auf die Eigenschaften reduziert, die sie geschichtlich die meiste Zeit ausgezeichnet haben: Garstig, bestialisch und kurz.

Kosmische Ironie

Gleichzeitig kommt der Stellung der heutigen Generation eine unvergleichliche poetische Ironie und Bedeutungsschwere zu, und das Potential für elementare philosophische Einsichten. Wir sind individuell, wie uns die Wissenschaft zumindest bis jetzt nicht gegenteilig beschieden hat, eine Ewigkeit ungeboren, sind dann für ein kurzes Zeitfenster am Leben, und dann wieder eine Ewigkeit lang tot. Analog dazu sind wir in den menschlich-zivilisatorischen Höhepunkt hineingeboren, vor dem es eine Ewigkeit lang kein Leben, keine Menschen, und keinen vergleichbaren Lebensstandard und materielle Unbeschwertheit gegeben hat (womöglich im gesamten Universum), und nach der Ökokalypse womöglich nie wieder geben wird.

Demonstrantin hält ein Schild mit der AUfschrift "The climate is changing, why aren't our politicians?"

APA/AFP/Niklas HALLE'N

Bild von einer Demonstration der „Extinction Rebellion“ in London am 24. November 2018.

Stand 2018 leben die Bewohnerinnen und Bewohner der reichen Länder durch eine Zwischenzeit, in der das Verhängnis der Entwicklungen schon seinen Lauf zu nehmen beginnt, aber die Folgen noch nicht zu kritischer Heftigkeit ausgewachsen sind - eine Gnadenfrist. Noch haben wir ausreichend Wahlmöglichkeiten und Meinungsfreiheit, um die Machenschaften von Präsident Donald Trump und die Umwälzungen des Brexit (auch) als Unterhaltung im Stile von Verwechslungskomödien aufzunehmen, und uns über sie lustig zu machen. Noch haben wir die Muße, uns mit klarem Kopf die harten ethischen Fragen über unsere Rolle als gottgleiche potentielle Weltentöter zu stellen, und vielleicht ein Testament (zumindest um seiner selbst willen) unserer Spezies zu verfassen. Und zu fabulieren, welche Spezies nach uns zu höherer Intelligenz reifen und das Zepter übernehmen könnte (falls sich noch ausreichende dahingehende Evolutionszyklen bis zum Roten Riesen ausgehen). Bald könnten uns die Entbehrungen des täglichen Lebens davon abhalten. Ich wäre persönlich zumindest enttäuscht, wenn die Zeit bis dahin nicht eine Blütezeit des existentialistischen (Galgen-) Humors zeitigen würden. Wir können uns, und unsere Verantwortung, zurecht wichtig nehmen.

Zur weiteren Lektüre über das Verderben durch einen außer Kontrolle geratenen Klimawandel: Der ausführliche Artikel von David Wallace-Wells aus dem New York Magazine vom Juli 2017

Jetzt, besser als morgen

In Katowice in Polen hat die 24. Weltklimakonferenz begonnen. Natürlich sollte man sich immer Hoffnungen machen dürfen, dass die Abordnungen der Regierungen auf Grundlage jüngster wissenschaftlicher Erkenntnisse Schritte in Richtung tiefgreifenderer, stringenterer und verteilungsgerechter Klimaschutzmaßnahmen setzen. Allerdings gab es eben schon 23 solcher Klimakonferenzen vor dieser, und ihre Erklärungen und die darauf folgenden Taten lesen sich wie ein Protokoll des fortgesetzten kollektiven Versagens. Überhaupt hat die plötzliche Panik, in deren Zeichen die Konferenz in Katowice steht, fast etwas Komisches, wie ein Kränzchen von Biologieschülern, die auf einmal eine Operation am offenen Herzen durchführen müssen. Und trotz all der gebotenen Eile soll die jetzige und nächstjährige Tagung hauptsächlich vorbereitenden Charakter für den großen Klimagipfel 2020, wenn die Erkenntnisse aus dem laufenden, fünfjährigen Bewertungszyklus des Weltklimarates auf dem Tisch liegen sollten (der neu gewählte, klimawandelleugnende, rechtsmilitaristische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat das Angebot der Gastgeberschaft seines Landes für die Konferenz 2019 unterdessen zurückgezogen).

UN-Generalsekretär Antonio Guterres eröffnet die COP24 in Polen

APA/AFP/Janek SKARZYNSKI

UN-Generalsekretär Antonio Guterres eröffnet die COP24 in Polen

Manche Bewohnerinnen und Bewohner dieses Planeten wollen nicht solange warten und formieren sich in Protestbewegungen. Sie möchten angesichts der von ihnen beobachteten Verheerung des Lebens auf der Erde und der drohenden Zukunftslosigkeit aus diesem weltweiten Selbstmordkult austreten und Widerstand leisten. In Großbritannien hat die selbst ernannte “Extinction Rebellion” in den letzten Monaten Aktionen des zivilen Ungehorsams gesetzt und Straßen und Brücken blockiert. In Deutschland haben sich die Besetzerinnen des Hambacher Forsts gegen dessen Abholzung zugunsten des fortgesetzten Kohleabbaus zur Wehr gesetzt. In Österreich organisiert die Plattform System Change Not Climate Change unter anderem Proteste gegen angekündigte Großinfrastrukturprojekte wie die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat und den Lobautunnel in Wien.

Aber People Power kann sich auch gegen ökologische Vorhaben wie erhöhte Treibstoffsteuern - oder zumindest das neoliberale System, in das sie eingebettet sind, erheben, wie gerade in Frankreich.

Hier erfährt man, wie man in Österreich Volksbegehren für beliebige Zwecke initiieren kann.
Und hier, wie man sich am besten an einem Bohrturm festkettet.
Am 23. November 2019 ist der nächste Buy Nothing Day.

Carpe diem.

FM4 Auf Laut: Der Klimawandel und du. Zwischen Apathie und Aktivismus

Am 4. Dezember sprechen wir in FM4 Auf Laut über den Umgang mit der Klimakrise. Zu Gast bei Claudia Unterweger ist Umwelt-Kommunikations - Expertin Sibylle Chiari von der BOKU Wien und Mira Kapfinger von der Aktivismus-Plattform System Change, Not Climate Change.

Ihr könnt mit uns diskutieren und eure Erfahrungen teilen unter der Nummer 0800 226 996. Heute in FM4 Auf Laut ab 21 Uhr.

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