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Foto von Bilderbuch in schwarz weiß

Hendrik Schneider

Nie Game Over

Sie spielen und probieren immer: Bilderbuch veröffentlichen ihr fünftes Album „Mea Culpa“. Im Februar folgt bereits der nächste Longplayer „Vernissage My Heart“. Musikalisch geht’s auf „Mea Culpa“ entspannt groovend Richtung Lounge. Alle Songs gibt’s hier zu hören.

Von Daniela Derntl

Solche Aktionen kennt man eigentlich nur von Stars wie Kanye West oder Beyonce, und nicht von österreichischen Indie-Bands. Quasi über Nacht ein neues Album veröffentlichen, das niemand in dieser Form am Schirm hatte.

Klar, mit einer neuen Single, EP oder einem Album hat man in Hinblick auf das Schönbrunn Konzert im Mai 2019 und die anstehende Tour schon gerechnet. Aber bei Bilderbuch wird geklotzt und nicht gekleckert. Am 4. Dezember veröffentlichen sie „Mea Culpa“, am 22. Februar schießen sie „Vernissage My Heart“ nach.

Das Plattencover zu Mea Culpa

Bilderbuch

Mea Culpa, erschienen auf Maschin Records

Genauso überraschend wie die plötzliche Album-Veröffentlichung klingt die neuen Platte auch. Bilderbuch halten sich eben nie mit Erwartungshaltungen auf. Sie sind selbstbewusst und smart genug, um zu wissen, dass ihr Mut, musikalische Wagnisse einzugehen, sie erst so richtig erfolgreich gemacht hat. Sie bleiben sich selbst treu, wenn die Musik so flexibel und unberechenbar bleibt, wie sie selbst.

Natürlich hält sich 2018 auch kaum noch jemand mit Genre-Purismus auf. Die Grenzen sind durchlässig und liquide - musikalisch wie gesellschaftlich. Nicht umsonst beschreibt man die von Unsicherheiten und Ungewissheiten geprägte Gegenwart als „flüssige Moderne“, Bilderbuch vertonen sie als Lifestyle-Band für Millennials, Individualisten, Narzissten, Rich-Kids, und solche, die es gern wären. Sie spielen dabei wieder, wenn auch weniger prahlerisch als auf den Vorgänger-Alben, mit Marken und Brands: I-Phone X, Megaplex, Netflix, Peugeot 406 - und suchen, weil Statussymbole ja doch nur für die Wohlstandsverwahrlosung taugen, nach der Liebe - im Internet.

Die neuen Songs klingen zwar immer noch nach Bilderbuch, also frech und feinsinnig, lasziv und lässig, verspielt und verrückt, doch die Hektik und Hitze früherer Gefechte haben sie hinter sich gelassen. „Mea Culpa“ klingt am ehesten wie „Sweetlove“, also nach Chillen in der Lounge.

Lounge 2.0

Bilderbuch langweilen zum Glück nicht mit der verdient geschmähten Lounge-Weichspüler-Ästhetik der 1990er Jahre, sie machen, wie ein Songtitel verrät, „Lounge 2.0“ und das steht für verschlafen-eiernde Beats, entschleunigte, aber immer noch virtuos groovende Gitarren, Two Step High Hats, Streicher, Bläser, Orgeln, Vocal-Samples und eine knisternde Atmosphäre. Man hört den Regen, Motorräder, Polizeisirenen, verstrahlte Cloud-Rap-Poesie. Und wie in jeder guten Lounge spielen Jazz und handverlesene Rauchwaren eine nicht unbedeutende Rolle.

Während Bilderbuch auf ihrem letzten Album „Magic Life“ noch die Insel der Seligen, die wohlhabende westliche Welt und ihren billigen Glamour in überbordenden Farben besungen haben, geht es auf „Mea Culpa“, trotz gelegentlicher Ausreißer wie „Megaplex“ musikalisch und gefühlsmäßig getragener und gedeckter zu.

Bilderbuch spüren der hedonistischen Ablenkung und Einsamkeit der Millennials nach, die sich nach authentischen Gefühlen in einem vom Zerbrechen bedrohten Europa sehnen. So könnte man zumindest das aktuelle, ganz in grau gehaltene Pressefoto der Band mit den zwölf Sternen der Europa-Flagge interpretieren. Das Lachen ist Maurice Ernst, Michael Krammer, Philipp Scheibl und Peter Horazdovsky auf dem Bild bereits vergangen. Spätestens nach der Veröffentlichung von „Vernissage My Heart“ werden wir wissen, was sie uns damit sagen wollen, denn auf der im Februar erscheinenden Platte befindet sich auch ein neun Minuten langer Song namens „Europe 22“. Bis 2022 wird Großbritannien voraussichtlich in der EU bleiben, vielleicht hat der Titel damit zu tun?

Foto von Bilderbuch in schwarz weiß

Hendrik Schneider

Die auf „Mea Culpa“ besungenen Beziehungen sind prekär, finanziell und emotional. Das unterstreicht sogar der von Störgeräuschen zerfurchte, jazzige Instrumentaltrack „Emotion“. Sie wäre schön, doch sie ist schon ziemlich kaputt, die „Emotion“.

Bilderbuch auf Tour

08. Dez.: Zell am See, Skiopening
06. April: Posthalle, Würzburg
07. April: Beethovensaal, Stuttgart
08. April: Capitol, Offenbach
09. April: Turbinenhalle, Oberhausen
11. April: Haus Auensee, Leipzig
12. April: Capitol, Hannover
13. April: Palladium, Köln
14. April: Stadthalle, Kassel
16. April: Zenith, München
17. April: Docks, Hamburg
18. April: Columbiahalle, Berlin
24. April: Dogana, Innsbruck
25. April: Volkshaus, Basel
26. April: X-Tra, Zürich
24. Mai: Open Air Schloss Schönbrunn, Wien
13. Juli: Donaulände Open Air, Linz
24. August: Freiluftarena B, Messe Graz

Neben Worten wie „Liebe“ und „Allein“ dominieren technische Begriffe wie „Display“, „Internet“, „Online“, „Apps“, „Memory Card“, und „LED Screen“ das Album.

Sänger Maurice Ernst interessiert die unter Digital Natives weit verbreitete Internet-Tristesse, wie er uns in einem Interview vor dem FM4-Überraschungskonzert im März erzählt hat:

„Die Einsamkeit finde ich spannend. In den Neunziger Jahren hat man immer gesagt, in der Stadt sind die Leute einsam. Die sitzen in der U-Bahn, aber sind alle allein. Das ist so ein Gefühl – und ich finde, jetzt ist die U-Bahn unser Handy, und es betrifft nicht mehr nur die Stadt. Es hat aber auch eine unglaubliche Schönheit. Ich finde zum Beispiel, wenn ein Display schwarz ist, ist es ein wunderschönes Schwarz. Es hat unglaublich viel Kraft. Es ist unglaublich tief. Gleichzeitig spiegelt es alles. Das sind so Sachen, wie Melancholie stattfindet in modernen Zeiten. Da will ich hin. Da bin ich auch nicht mehr der Blonde mit den bunten Hemden. Da bin ich dann auch ein bissl traurig, aber nicht zerstört.“

Was macht das Internet mit uns? Unseren Beziehungen? Unseren Gefühlen?

Diese Fragen stellen sich natürlich nicht nur Bilderbuch. Björk’s „Utopia“ war ihr Tinder-Album, Father John Misty besingt Online-Dating auf „God’s Favorite Customer“. Und wie es der Zufall so will, hat ein britisches Pop-Quartett, das sich wie Bilderbuch in der Schule gegründet hat und ebenfalls nächstes Jahr schon wieder eine neue Platte herausbringt, ebenfalls ein aktuelles Album zum Thema veröffentlicht: „A Brief Inquiery Into Online Relationships“ von The 1975. In diesen täglich anwachsenden Highspeed-Herzschmerz-Kanon reihen sich nun auch Bilderbuch mit „Mea Culpa“ ein. Ein Album am Puls der digitalen Zeit.

von der Vernissage My Heart

Mafia Tabak

Vernissage My Heart erscheint am 22.2.2019 auf Maschin Records

Mit seinen neun Songs und einer Spieldauer von 34 Minuten wirkt „Mea Culpa“ wie ein in sich geschlossenes Mixtape, das mit seinem Spannungsbogen auch die Momentaufnahme einer verschwommenen Nacht und des darauffolgenden Tages sein könnte. Große Hits wie „Bungalow“ oder „Maschin“ findet man nicht. Die Nummer mit dem Bilderbuch so eigenen, hymnenhaften Pop-Appeal, ist „Memory Card“. Und auch „Checkpoint“, ein melancholischer, aber doch zuversichtlicher Shoegaze-Schmurgler, hat mit seinem mantrahaften Refrain „Wir sind nie Game Over“ das Zeug zum hartnäckigen Ohrwurm und Schlachtruf einer gebeutelten Generation.

#judgeabilderbuchbyitscover

Man darf vermuten, dass „Mea Culpa“ ein Zwischenschritt ist und „Vernissage My Heart“ wieder in eine vollkommen andere, explosivere Richtung gehen könnte. Das legt zumindest der Vergleich der beiden Album-Cover nahe, denn da hat das Blass-Violett von „Mea Culpa“ gegen den kräftigen Expressionismus von „Vernissage My Heart“ eindeutig das Nachsehen.

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