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Ex:Re

Marika Kochiashvila

fm4 artist of the week

Romance is dead and done

Elena Tonra, Sängerin und Gitarristin der britischen Band Daughter, wagt sich unter dem Namen Ex:Re an ihr Solodebüt. Ein emotionaler Befreiungsschlag mit kathartischer Wirkung - es geht natürlich um die Liebe. Unser FM4 Artist Of The Week.

Von Lisa Schneider

Ich bin eine junge Frau, 28 Jahre alt. „Wieso hast du noch keine Kinder? Wieso bist du noch nicht verheiratet?“ Diese Fragen stellt sich Elena Tonra am Song „New York“ selbst. Um sie herum die harmonischen Pärchen, während sie eher betrunken als glücklich durch die weiten Straßen des Big Apple zieht. Ein Spaziergang auf dem Nadelkissen, da sticht es, dort sticht es. Der größte Schmerz kommt aber nicht von außen: es sind die ewigen Selbstvorwürfe.

Daughter „on hiatus

Die britische Musikerin Elena Tonra hat 2010 gemeinsam mit Gitarrist Igor Haefeli und Schlagzeuger Remi Aguilella die Band Daughter gegründet, mit ihr drei sehr gute Alben veröffentlicht; der Geheimtippstatus im Dschungel Folk/Darkpop wandelt sich schnell in den einer ausgezeichneten Band, die den millenial-getreuen Weltschmerz wie wenig andere auf den Punkt bringt. Innensicht, das ewig deplatzierte Gefühl, wir sind alle Außenseiter: „I feel numb in this kingdom“ ist die diesbezüglich schönste Zeile („Numbers“) - es gibt derer aber natürlich unzählige mehr im Daughter’schen Oeuvre. Die Texte stammen immer aus der Feder von Elena Tonra, waren subjektiv geprägt. So persönlich wie die Songs ihres Soloprojekts Ex:Re sind sie aber nie gewesen.

2017 war „Music Before The Storm“ das letzte Album, das Daughter veröffentlicht haben - aktuell ist die Band „on hiatus“, von einem Aus war aber nie die Rede. Noch im selben Jahr hat Elena Tonra begonnen, wieder zu schreiben, ohne dass gleich klar war, dass dies nun keine weitere Daughter-Platte werden würde. Die Zeit, ihr Gefühl und die Stimmung haben aber gezeigt: das ist ein neues Kapitel.

Beziehungsaus und neue Selbstdefinition

Elena Tonra hat 2017 eine Beziehung beendet, das selbstbetitelte Debüt „Ex:Ra“ ist ein Break-Up-Album geworden. Eine Kategorie, die, um nur eine von vielen zu nennen, Amy Winehouse („Back To Black“) bravourös gemeistert hat, vor allem in Kombination mit Alkohol. Und doch sagt diese Einordnung zu wenig aus über die neuen Songs von Elena Tonra. Einerseits aufgrund der schlichten Tatsache, dass jede Liebesgeschichte ihren individuellen Anspruch hat. Aber auch aus anderen Gründen.

Ihren Exfreund etwa lernen die Zuhörer und Zuhörerinnen nicht kennen. Elena Tonra steht nicht nur als Erzählerin, sondern auch als Person im Mittelpunkt all ihrer Songs. Es geht deshalb auch viel weniger um die Beziehung an sich als darum, zu welchem Menschen Elena Tonra sich danach entwickelt hat. Verzweiflung („Too Sad“) gesellt sich zu fiebernden, einsamen Partyträumen („Romance“), endet aber auch oft in Frust, Wut und Enttäuschung: „Tell the truth, you self-absorbed lightweight“, singt sie im Song „Liar“.

Rational möchte man fragen: Wie wird der Exfreund mit solchen, an ihn gerichteten Zeilen umgehen? Oder aber: Wie geht es ihr damit, ein Album in die Welt zu schicken, das mit einer dem Publikum fremden Person so klar und direkt abrechnet? Sie war zu diesem Zeitpunkt, beim Schreiben der Songs, in einem völlig anderen „state of mind“, wie die Musikerin im Interview erzählt. Ohne Halt und ohne Hoffnung. Diese Wut im Bauch, die spürt sie jetzt nicht mehr. Über die Möglichkeit von Musik als Selbsttherapie ist viel und oft geschrieben worden.

Schonungslos ehrlich ist Elena Tonra aber nicht nur hinsichtlich der Fehler ihres Exfreundes. Es sind vor allem die eigenen Unzulänglichkeiten, die sie quälen. Das geht so tief, und klatscht so direkt ins Gesicht, dass der klassische Vergleich mit dem Autounfall, bei dem niemand wegsehen kann, herhalten muss. So spielt der schon erwähnte Alkohol(missbrauch) auf „Ex:Re“ keine unwesentliche Rolle. Elena Tonra verliert den Kampf gegen die Minibar im einsamen Hotelzimmer allzu oft, während die einzigen Freunde (oder Feinde) in dem Moment die eigenen Gedanken sind.

Dazwischen transportieren „Crushing“ und „Romance“ mit Dribbel-Percussions und stetem, tranceartigem Beat ein Gefühl von party light. Es sind die Stellen des Albums, die noch am ehesten als leise Lebensbejahung durchgehen - der Stimmcharakter irgendwo zwischen Florence Welsh und Leslie Feist. Aber wie immer pocht bald auch schon der Morgen laut an die Tür und die eigenen Schläfen. Katerstimmung herrscht etwa auf „Dazzler“.

Stripped down - eine einmalige Sache

Musikalisch gesehen setzt „Ex:Re“ auf Minimalismus. Das satte, atmosphärische Spiel lässt Elena Tonra mit ihren Daughter-Bandkollegen zurück, nur eine dezente Auswahl an Gitarrenspuren und Percussions dürfen die unverkennbare Altstimme begleiten. Dass Popsongstrukturen Elena Tonra diesmal nur wenig interessiert haben, ist wenig überraschend; die ewige zynische amerikanische Folkrocklegende Mark Kozelek müsste an diesem teils monologartig vorgetragenen Album großen Gefallen finden.

Cover Album Ex:Re

4AD

Das selbstbetitelte Debütalbum von Ex:Re erscheint via 4AD.

Wie auch seine Songs sind die von Ex:Re kein immer einfaches Vergnügen. Sie verlangen viel Zeit, viel Aufmerksamkeit. Und es kann durchaus sein, dass das erste Anhören eher Fadesse und (unverdiente) Trostlosigkeit auslöst. Gibt man ihnen Zeit, werden aber vor allem die Texte nach und nach zu altbekannten Leidensgenossen; das ist der Vorteil bei Geschichten über die zerbrochene Liebe, der Empathiemoment ist bei wenigen Themen stärker. „Ex:Re“ ist demnach eine Einladung an alle, die ähnliches erlebt haben. Also an alle.

Mit unheimlich starkem Drang, diese ganze, schreckliche Phase, auszuspucken (sie selbst vergleicht den Prozess des Schreibens und Aufnehmes selbst mit den Wörtern „to vomit“) und loszuwerden, steht Elena Tonras Solo-Release auch den klassischen Marketingstrategien entgegen: Nur vier Tage nach Veröffentlichung der ersten Single („Romance“) ist auch das ganze Ex:Re-Album erschienen. So schnell wie die Veröffentlichung sind auch die Albumaufnahmen passiert. Passend zum sehr privaten Inhalt und ihrem neu gewählten Solopfad hat Elena Tonra das Album selbst produziert - mit Unterstützung von Fabian Prynn, in-house-wizard beim immer verlässlichen, englischen Label 4AD. Bei dem übrigens auch Daughter ihre letzten Alben veröffentlicht haben.

Ex:Re soll als musikalisches Projekt eine einmalige Sache sein. So lässt sich auch der gewählte Name, der schon den Inhalt des Albums vorwegnimmt, besser verstehen: Ex:Re bezieht sich auf die englische Wendung „regarding ex“, gleichzeitig aber auch auf X-Ray als die Röntgenstrahlen.

Die freilegen, was mit bloßem Auge nicht sichtbar ist: das kann unangenehm sein. Am Ende aber wartet Erkenntnis, Erleichterung, Loslassen. Und im besten Fall? Katharsis.

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