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Bilder aus dem Film "Widows"

Centfox

Style, Spannung und Substanz

Mit seinem Thriller „Widows“ beweist sich der britische Arthouse-Regisseur Steve McQueen auch als Genrespezialist. Im Unterschied zu anderen Gangsterfilmen geben bei ihm aber Frauen den Ton an.

Von Christian Fuchs

Da ist sie also wieder, die alte Diskussion über Kunst und Kommerz. Darf ein engagierter Autorenfilm auch simple Unterhaltungsknöpfe drücken? Wer sagt eigentlich, dass raue Action und sozialkritische Reflexionen nicht verknüpfbar sind? Verträgt sich melodramatisches Pathos nicht locker mit ernsthaften Gedanken zu Geschlechterverhältnissen und Rassenproblematiken?

Für den britischen Regisseur Steve McQueen stellen sich diese Fragen gar nicht ernsthaft, wie er in aktuellen Interviews betont. „Ich dachte mir nie, ‚Oh, ich mache jetzt einen Genrefilm‘“, sagt der ehemalige Bildende Künstler. „Ich wollte nur einen aufregenden Film machen.“ Und das ist McQueen gelungen. Nach verstörenden Werken wie „Hunger“, „Shame“ und „12 Years A Slave“, die sich an ein spezielleres Publikum richteten, präsentiert er einen souveränen Abstecher ins massenkompatible Heistmovie-Terrain.

Widows“, inspiriert von einer gleichnamigen britischen TV-Miniserie aus den 80ern, ist ein Epos in der Tradition von Großmeistern wie Martin Scorsese oder Michael Mann. Während sich aber die meisten Gangsterfilmklassiker um Männer drehen, fokussiert sich Steve McQueen auf eine Gruppe Frauen.

Bilder aus dem Film "Widows"

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Korrupte Männernetzwerke regieren

In einer packenden Eröffnungssequenz rast eine Gruppe Einbrecher, angeführt vom Veteranen Harry (Liam Neeson), durch die nächtlichen Straßen von Chicago. Als der Fluchtwagen im Mündungsfeuer der Polizei explodiert, verbrennt nicht nur die gesamte Gang darin. Auch die Beute geht in Flammen auf. Die zurückbleibenden Witwen haben deswegen nicht bloß den Verlust ihrer Männer zu verarbeiten, sondern auch eine Racheaktion zu fürchten.

Der von Harry bestohlene lokale Gangsterboss kontaktiert dessen Frau Veronica (Viola Davis) mit einem Ultimatum. Entweder werden die Millionenschulden innerhalb eines Monats beglichen oder es gibt drastische Konsequenzen. Veronica trifft sich mit den anderen beiden Witwen, kraftvoll von Elizabeth Debicki und Michelle Rodriguez verkörpert, die noch immer fassungslos durch den Alltag taumeln. Dank geheimer Dokumente aus dem Nachlass von Harry reift schnell ein Plan zu einem gewaltigen Raubüberfall heran, den die drei Frauen gemeinsam durchziehen wollen.

Die Geschichte dieses größenwahnsinnigen Coups könnte der Stoff für solides Entertainment-Kino sein, zuletzt setzte bereits der „Ocean’s Eight“ Film auf eine weibliche Einbrecherinnen-Truppe. Aber Oscar-Gewinner Steve McQueen will wie erwartet mehr. Der relativ klassische Plot ist für ihn nur der Startpunkt, um von einer Gegenwart zu erzählen, in der korrupte Männer-Netzwerke regieren. Wir beobachten kriminelle Politiker, politisierende Ganoven und machtbewusste Priester beim gemeinsamen Fädenziehen.

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Großartiger Cast, bestechende Bilder

Obwohl „Widows“ eindeutig ein Thriller für die Ära von #MeToo and #Blacklivesmatter ist, unterwandert Steve McQueen die dazugehörigen Stereotypen. Jamal, der afroamerikanische Kandidat für den Stadtrat (Brian Tyree Henry), der Teilen der ärmeren Bevölkerung Hoffnung vermittelt, ist gleichzeitig jener Mobsterboss, der Veronica brutal erpresst. Sein aalglatter weißer Gegner im Polit-Haifischbecken, gespielt von Colin Farrell, zweifelt dafür bisweilen an seiner neoliberalen Agenda. Auch bei den weiblichen (Anti-)Heldinnen, die im Zentrum stehen, sind die Grenzen zwischen Gut und Böse durchaus fließend.

Die moralischen und emotionalen Grauzonen machen den Film natürlich zum Traumprojekt für die erwähnten Akteure, allen voran die unglaubliche Viola Davis. Cynthia Erivo, Daniel Kaluuya und Robert Duvall ragen in kleineren Rolle ebenfalls aus dem großartigen Cast hervor. Würden sich biedere Regisseure aber mit staubbtrockenem Schauspielerkino zufriedengeben, erweist sich Steve McQueen erneut als Spezialist für bestechende Bilder, visuelle Einfälle und hypnotische Montage. Hans Zimmers ausnahmsweise eher zurückhaltender Score, der subtil Dramatik aufbaut, verstärkt die dichte Atmosphäre.

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Die formale Brillanz, von der auch schon die vorigen Arbeiten des Regisseurs lebten, besonders das Sexsüchtigen-Drama „Shame“, lässt auch Vergleiche mit diversen ähnlich gelagerten Serien verblassen. Sicher, „The Wire“ beleuchtete in mehreren Staffeln ähnliche Verstrickungen wie in „Widows“ ungleich präziser. Aber der pure Schauwert war dabei minimal. Steve McQueens neuer Film dagegen vereint Style, Spannung und inhaltliche Substanz zugleich.

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