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Buchcover

Reprodukt, Abrams, Nobrow

Leinwand lesen

Man kann nicht immer Filme anschauen, manchmal muss man auch über Filme lesen. Drei Filmbücher-Herzensempfehlungen aus dem Jahr 2018.

Von Pia Reiser

1. „Das Ritual“: Der Mann und die Monster

Nimmt man ein Buch, das einen vom Cover her anspricht in die Hand und dreht es um, geht es einen oft wie Cloris Leachman in „Kiss me deadly“ viel zu viel Werbesprech-Information brüllt einem grell entgegen, blendet und formiert sich zu einem Monster das „Kauf mich schon, aber zack“ brüllt.

Herrlich ruhig geht es auf der Rückseite von Nicolas Mahlers neuem Buch „Das Ritual“ zu, genügt ja auch, dass sich am Cover zwei Monster mit ausgestreckten Armen gegenüberstehen. Hinten aber nur acht Worte, die einen rein informativ im Regen stehen lassen, aber - und das ist viel wichtiger - auf menschliche Neugier und die Anziehungskraft von Geheimnissen setzen: „Nur Männer in Gummikostümen vermitteln ein bestimmtes Gefühl“. Kaufimpuls activated.

Gezeichnetes Monster in Buch "Das Ritual"

reprodukt

Mahler, Meister des Minimalismus mit größtmöglichem Effekt und einer Art deadpan-Komik nicht abgeneigt, erzählt in „Das Ritual“ auf zwei Zeitebenen, so wie Hollywood das eben auch gerne macht, wenn es von Leben und Werk eines Menschen erzählen will. Wobei Mahler, eben ein Minimalist mit System, den Namen des Menschen, der im Zentrum von „Das Ritual“ steht, nicht mal erwähnt. Da sitzt ein Mann mit Hut und Sonnnenbrille an einem Tisch und sagt uns, dass er nie einen ganzen Film hätte inszenieren wollen, er sei mit den Tricksequenzen zufrieden gewesen. Auf der zweiten Zeitebene sehen wir die Filme, für die dieser Mann gearbeitet hat. Hier treffen sich städtezerstampfende Riesenurzeitechsen, Aliens, verrückte Professoren, Tintenfischkopf-Kreaturen aus der Meerestiefe.

Eiji Tsuburaya

gemeinfrei

Der Meister und die Monster: Eiji Tsuburaya am Filmset

Heute, 14.12 liest Nicolas Mahler bei Graphic Vienna im Wien Museum

Wessen Herz, wie Nicolas Mahlers, für den (japanischen) Monsterfilm schlägt, der erkennt in dem Mann, der auf sein professionelles Leben als Monster-Erschaffer zurückblickt, Eiji Tsuburaya. Alle anderen würden dank der Kulturtechnik „Googlesuche“ auch zu dieser Erkenntnis kommen. Tsuburaya sieht in den 1930er Jahren „King Kong“ und beschließt, dass er eines Tages auch einen Monsterfilm machen kann - und tatsächlich wird er zur prägenden Figur der Popkultur, in dem er bei „Godzilla“ im Jahr 1954 nicht auf die Stop-Motion-Technik setzt, sondern auf Männer in Gummikostümen und Miniatur-Sets. Godzilla, Ultraman, Mothra, sie alle sind Geschöpfe von Eiji Tsuburaya.

Es gibt wunderschöne Fotos von Tsuburaya, der stets Hut und Anzug trägt, umgeben von den monströsen Kreaturen, in denen doch ein Herz schlägt (weil ja eben auch ein Mensch im Gummianzug drinsteckt, aber nicht nur deswegen).

„Das Ritual“ ist bei Reprodukt erschienen. Am 6. Jänner 2019 wird Nicolas Mahler das Buch im Rahmein einer „Monsterclass“ im Österreichischen Filmmuseum vorstellen. Im Anschluss daran wird „Godzilla“ (1954) gezeigt

Lakonisch und knapp lässt der Mahler’sche Tsuburaya in „Das Ritual“ uns an seinen Geschichten und Thesen zu seiner Arbeit als Special-Effekts-Zampano und Monster-Erschöpfer teilhaben und formuliert auch einen Eckpfeiler des Kinos: „Realismus hat mich nie interessiert. Warum soll man Dinge so darstellen, wie sie sind“.

„Das Ritual“ ist eine Lieblingserklärung ans Monsterkino, an die Kreaturen, die im Dunklen des Kinosaals auf uns warten und denen man - entgegen jeder Logik - Liebe und Empathie entgegenbringt. Und eine Würdigung an die Menschen hinter den Kulissen.

2. „The Coen Brothers“: Brüder im Geiste (und in echt)

Man freut sich kurz, dass Autor und Filmkritiker Adam Nayman der Versuchung widerstanden hat, seine Abhandlung über Joel und Ethan Coen „O Brothers where art thou“ zu nennen und dann stürzt man mit Aufklappen des Buches schon hinein in die liebevolle, tiefgehende, mit Interviews, Trivia und vor Wissen um und Liebe zu den Coens berstende Auseinandersetzung mit dem Werk der Brüder. Die Coen Brüder, die das US Indiekino der 1990er Jahre prägend mitgestaltet haben, deren Filme oft dem Geist des Film Noir huldigen, Filme, in denen Schicksal eine große Rolle spielt. Auf die Erwähnung der Coen Brothers folgt meistens ein Hinweis auf den schwarzen Humor der Beiden, der oft in die Gefilde des Zynismus überschwappt.

Buch: "The Coen Brothers"

Abrams

„The Coen Brothers“ ist bei Abrams Book erschienen

Doch das greift viel zu kurz: Schon beim ersten Daumenkino-Fast-Forward „The Coen Brothers“, also beim schnellen Vorbeirasenlassen der Buchseiten, wird man darin erinnert, dass das Coen-Werk natürlich auch ein Bildgewaltiges ist.

Eines, das manchmal im Neonlicht leuchtet („Blood Simple“) und manchmal auf die gleißende Sonne setzt („No country for old men“). Während die Coen Brüder selbst meistens T-Shirts und Kapuzensweater am Set tragen (und aussehen als wären sie die Zweitbesetzung von „The Notwist“), setzen sie in ihren Filmen auf hochstilisierte Bilder, tunken Balladen in schwarz-weiß („The Man who wasn’t there“) oder ihre Liebeserklärung an vergangene Kinozeiten in Technicolor („Hail Caesar“).

Buch "The Coen Brothers"

abrams

Bild aus „The Hudsucker Proxy“

Film für Film wird in „The Coen Brothers“ bild- und substanzreich besprochen, bis am Ende des Buches das eintritt, womit ich nie gerechnet hätte, nämlich der seltsame Gedanke, doch „Intolerable Cruelty“ noch mal eine Chance zu geben. FreundInnen und KollaborateurInnen wie Carter Burwell und Roger Deakins kommen zu Wort und natürlich Frances McDormand: „I no longer work with Joel and Ethan Coen. I live with Joel and Ethan Coen. One is my husband and the other my brother-in-law. I enjoy the fact that many people don’t know which is which and I think we should keep it that way“. An dem Kauf führt coen Weg vorbei.

3. "An Illustrated History of Filmmaking: Filmgeschichte, aufgemalt

Nur konsequent, dass die Geschichte des Mediums Film, das zuerst der Sprache noch gar nicht mächtig war, auch in Bildern erzählt wird. Adam Allsuch Boardman hat mit „The Illustrated History of Filmmaking“ alle essentiellen Infos zum Buch schon in den Titel gepackt, bestens, kann man gleich zur freudigen Besprechung übergehen. Gleich mit der Coverauswahl zeigt Boardman, das er weiß, was er hier tut und statt auf ein altbekanntes Gesicht oder Symbol (der leidige Zelluloidstreifen)am Cover zu setzen, wählt er den sogenannten doorway shot.

"An illustrated history of filmmaking" Buchcover, Szenenbild aus "the searchers"

nobrow

Durch eine geöffnete Tür sehen wir aus einem Raum hinaus in die Welt. Eine Einstellung, die mit dem Western „The Searchers“ verbunden ist, sie kreiert einen „Frame within the Frame“ - nur statt John Wayne (wie in „The Searchers“) sehen wir hier Kamera, Licht, einen Mikrophon-Boom.

"An Illustrated History of Filmmaking"

Nobrow

„The Illustrated History of Filmmaking“ ist bei Nobrow erschienen

Also Dinge, die wir üblicherweise bei einem Film nicht sehen. Bei seinem ersten Kinobesuch im Jahr 1977, so Bordman in der Einleitung, durfte er in den Projektionsraum des Kinos und seither fasziniert ihn (auch) die Technik hinter dem Wunder Film. Und Boardman vergisst bei seinem Blick auf die Filmgeschichte, bei seiner tatsächlichen Aufzeichnung des Zusammenhangs zwischen technischen Errungenschaften und Erzählweisen des Kinos, nicht auf die Frauen.

Wenn von „Mad Max:Fury Road“ die Rede ist, dann findet nicht nur Regisseur George Miller Erwähnung, sondern auch Cutterin Margaret Sixel und Kostümbildnerin Jenny Beavan. „An Illustrated History of Filmmaking“ ist die großartige Verschmelzung von großer Liebe zum und großem Wissen über ein Medium, die optimale Popkulturmischung.

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