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Weihnachten

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mit akzent

Wenn sich alle in friedliche Kinder verwandeln

In jeder Wohnung in der westlichen Welt, im Keller, in der Garage, oder am Dachboden gibt es eine Ecke, wo der Weihnachtsschmuck aufbewahrt wird. Die Glaskugeln sind sorgsam in Papier eingewickelt und die Girlanden und die bunten Lichterketten zu einer Kugel zusammengebunden.

Von Todor Ovtcharov

Diese staubige Ecke wird im Moment zum wichtigsten Ort der Wohnung. Die Mütter und die Väter holen die Kisten mit einer ernsthaften Miene und stauben sie ab. Man stellt sie in der Mitte des Zimmmers und die ganze Familie bildet einen Kreis um sie herum. Jede Kugel, die herausgeholt wird, macht uns Freude. Die Kinder freuen sich, wenn sie ihre Gesichter in den verspiegelten Glaskugeln sehen können und sie sehen wie rosawangige süße Zwerge aus.

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Die Älteren warnen die Jüngeren davor, ja aufzupassen, damit sie den Weihnachtsschmuck nicht kaputt machen und sich verletzen. Man übergibt die Glaskugeln von Hand zu Hand, bis sie die Zweige des Weihnachstbaums erreichen. Nachdem der geschmückt ist, schauen ihn alle ehrfürchtig an und sind sich sicher, dass er noch nie so schön war. Auf jeden Fall schöner, als der in der Nachbarwohnung. Sogar diejenigen, die keinen Platz oder Geld für einen ganzen Baum haben und nur einen Tannenzweig geschmückt haben, sind sich sicher, dass sie den schönsten Weihnachtsbaum haben. Und alle haben recht, denn sie haben ihre Bäume mit Liebe geschmückt.

Man holt die alte CD mit den Weihnachtsliedern heraus und „Driving Home for Cristmas“ und „Jingle Bells“ dröhnen aus den Boxen. Im Fernsehen läuft wieder „Kevin – Allein zu Haus“. Alle lachen wieder, wenn der charmante Macaulay Culkin die „Wet Bandits“ verarscht. Kevins Mutter eilt nach Hause, um den süßen Kevin zu umarmen. Niemand interessiert sich dafür, dass Macaulay Culkin inzwischen ein Erwachsener mit durchaus bewegter Vergangenheit ist. Für sie ist er ein ewiges Kind, das das Böse im Fernsehen besiegt.

Alle Zuschauer haben sich auch in liebe Kinder verwandelt. Junge, Mittelalte und Alte schauen in die verspiegelten Flächen der Glaskugel am Weihnachtsbaum und sehen wie rosawangige Zwerge aus. Ihre Seelen leuchten. Alle sind bereit, etwas Schönes und Großzügiges zu tun - wie in der Kurzgeschichte von „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry aus dem Jahr 1906. In der sie ihre Haare verkauft, um ihm eine Kette für seine Uhr zu kaufen - und er verkauft seine Uhr, um ihr einen Kamm zu schenken. All das, bis die Feiertage vorbei sind und der Weihnachtsschmuck wieder in der Kiste verstaubt. Bis zum nächsten Weihnachtsfest dürfen wir alle wieder Arschlöcher sein.

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