Draußen gibts nur Dummheit und Schmerz

Earl Sweatshirt ist ein junger Poet, der eines Tages wohl auch Eingang in die Geschichtsbücher finden wird. Bis dahin kann man sich sein neues Album „Some Rap Songs“ anhören, ein Album des Jahres.

Von Natalie Brunner

Earl Sweatshirt hat ein neues Album veröffentlicht, das er übertrieben schlicht „Some rap songs“ betitelt hat. Tiefstapeln war immer schon ein besonderes Talent des - neben Tyler the creator - bekanntesten MCs aus der Odd Future Wolf Gang: Von der überschwänglichen Freud an intelligenter und komplexer Subversion, mit der die jungen Helden vor knapp zehn Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit getreten sind, ist im Fall von Earl Sweatshirt nur mehr wenig übrig. Wir haben es mit einem jungen Poeten zu tun, der noch nicht genau weiß, wer er ist und zu uns von the Dark Side of the Moon spricht.

Depressionen und Schmerz, selbstgewählte Isolation und eine musikalische Sprache, die es darauf anlegt, immer haarscharf am Schönen und Erhabenen vorbei zu schrammen, zeichnen die 15 Nummern aus, die Earl Sweatshirt unter dem Titel „Some Rap Songs“ Anfang letzten Monats veröffentlicht hat.

Die erste Single „Nowhere2go“ dreht sich um Isolation. Sie unterstreicht nochmal, was durch den Titel des Vorgängeralbums „I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside": An Album by Earl Sweatshirt“ und den Namen seiner Radioshow „Earl Sweatshirt stays inside“ bereits ziemlich deutlich von unserem Helden klar gestellt wurde: Da draußen außerhalb der eigenen vier Wände gibt es nichts außer Dummheit und Schmerz.

Drinnen: lähmende Trägheit. Zu hören in den - an Dilla erinnernden - Beatloops, durch die stellenweise Earl Sweatshirt sein Genie durchblitzen lässt. Die Dinge, mit denen er sich beschäftigt, liegen nicht nur innen, sondern tief drinnen, in seiner Geschichte.

Das Album ist eine Auseinandersetzung des Menschen Thebe Kgositsile mit seiner Geschichte und mit der vom ihm erschaffenen Figur Earl Sweatshirt, beide sind mit einigem Gepäck vorbelastet. Das Cover ist deshalb auch ein verwischtes Foto des Artists.

Das Gepäck von Earl: Mit 16 war er auf dem Weg zum Superstartum und wurde von seiner Mutter wegen Selbstdestruktion und exzessivem Marihuanakonsum auf ein Internat auf die Insel Samoa geschickt. Das plötzliche Verschwinden macht ihn noch berühmter. Das ist das Gepäck, das Earl mit sich mitschleppt.

Das Gepäck von Thebe ist noch schwerer. Thebe wurde in eine Familie von Genies geboren. Seine Mutter ist Professorin für Verfassungsrecht an der UCLA und sein Vater ist Keorapetse Kgositsile, südafrikanischer Poet, ins Exil verbannter Freiheitskämpfer und politischer Aktivist, Spoken Word Poet. Seine Stiefmutter war Vizepräsidentin Südafrikas. Thebes Eltern trennen sich, als er sieben ist. 2018 - kurz vor einem geplanten Wiedersehen - stirbt sein Vater überraschend. In dem Track „Playing Possum“ lässt er seine Eltern via Samples in einen Dialog treten, den sie ihm und sich selbst wahrscheinlich verweigert haben. Sein Vater liest eines seiner Gedichte und seine Mutter hält eine Rede an der Uni.

In „Playing Possum“ lässt Earl seinen Vater den gekrönten Poet Laureate von Südafrika, den Zugang seiner Mutter zum Thema Verantwortung und Familie als westlich Bürgerliches also limitiertes Konstrukt vom Tisch wischen.

Die Reviews preisen „Some Rap Songs“ als die Zusammenführung von Avantgarde Jazz und Hip Hop, womit das Werk in der Tradition seines Vaters stehen würde.
Earl Sweatshirt kommentiert, dass es wohl sehr unterschiedliche Erfahrungen sind, mit 21 vor dem Apartheid-Regime Südafrikas flüchten zu müssen oder beim SXSW Festival zu spielen.

Aber gleichzeitig bringt er auf den Punkt, was der essentielle Unterschied zwischen Rap und Jazz und Pop/Unterhaltungsmusik in jeglicher Form ist - und wie irrelevant im Angesicht dieser, in Musik ausgedrückten Wahrheiten und Schmerzen, irgendeine Review ist: „What is Rap? Black Expression. And what is Jazz? Black Expression. I´m going back to what it is. Black Expression is directly related to pain, at least this black expression is and if you want to compare it to jazz when it became avant-garde. Ns was whaling using this instruments to express very crazy emotions that come as a result of this sometimes cursed existence."

Größe und Weisheit kommt bei Earl Sweatshirt mit einem bewusst tiefgestapelten Namen „Some Rap Songs“ und in einem noch zerrissenen und rauen Gewand, an dessen Machart und Verarbeitung aber schon zu erkennen ist, dass Earl Sweatshirt vielleicht unter einem anderen Namen, vielleicht als Thebe Kgositsile, ein Platz nicht nur in den Musik-Jahresbestenlisten, sondern in den Geschichtsbüchern sicher ist.