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Spex-Cover von 1980

Spex

FM4 Im Sumpf

Die wichtigste Zeitschrift der Welt

Ex-Spex-Aushängeschild Diedrich Diederichsen über die vielen Häutungen eines Musikmagazins bis zu seinem Tod im Dezember 2018.

Von Thomas Edlinger

De:Bug, Skug, Intro, Groove, NME - alle diese Musikmagazine gibt es nicht oder nur mehr als Online-Version, einige andere stecken in der Krise. Nach über 38 Jahren und vielen Schwenks in der Blattlinie hat es nun auch Spex erwischt. Die Digitalisierung ist gefräßig. Musikmagazine haben es gleich mit einer doppelten Problemlage zu tun: Der allgemeine Rückgang von Leserzahlen und Einnahmen aus Inseraten trifft auf die Probleme der Musikindustrie, mit materiellen Tonträgern Geld zu verdienen.

Als im Oktober 2018 das endgültige Aus angekündigt wurde, gab es Katzenjammer und Häme. Die einen sagten: Eine Ära des mal schlauen, mal verstiegenen, mal versponnenen Dauergesprächs über Musik und den Rest der Welt geht zu Ende. Die anderen sagten: Gut, dass die alten Besserwisser und Gatekeeper endlich das Feld räumen. Auf meinem Rechner werden sie ohnehin durch mich immer besser durschauende, geschmacksverstärkende Algorithmen ersetzt. Du magst Leftfield Disco aus New York von 1976, Quom von 2012 aus Durban und suchst nach Vintage-Elektronik-Pionierinnen? Hier kommt deine Playlist!

(Jörg Gruneberg, Wikipedia)

Gemeinfrei

Diedrich Diederichsen im Gespräch mit Thomas Edlinger: FM4 Im Sumpf am 16.12.2018

Aber selbst maßgeschneiderte Playlists erzeugen alleine genauso wenig wie das Dauerfeuer aus unverbundenen, materialästhetischen Rezensionen wie in The Wire oder auf Pitchfork einen „Überschuss in eine andere Welt hinein“, wie Diedrich Diederichsen all das nennt, was über die Beschreibung des einzelnen Werks hinausgeht. Der in Wien lehrende Pop- und Kulturtheoretiker und Autor Diedrich Diederichsen stieß 1983 zur Redaktion in Köln hinzu und wurde zu einer der prägenden Figuren der Gründergeneration von Spex, deren Einfluss auf die Pop-Rezeption zwischen Academia, Feuilleton, Stadttheater und Kunstbetrieb bis heute nachwirkt. Im Spex, so Diederichsen in unserem Gespräch für FM4 Im Sumpf am 16. Dezember, ging es immer um die permanente Inthronisierung einer neuen wichtigsten Band der Welt. Diese wurde zunächst „wie ein neuer Mensch“ euphorisch aufgenommen und mit der nächsten Platte nur mehr als guter Bekannter oder Freund begrüßt: „Die Band Of Holy Joy ist zum dritten Mal wieder auf Tour. Schön, gute Band. Aber große Überraschung ist das jetzt auch keine mehr.“

Ich habe Spex um 1987 kennengelernt. Ich war 20, habe fast nichts gekannt und noch weniger verstanden. Aber irgendwie war das auch genau der Stoff, der mich an der Stange hielt. „Du warst insofern ein typischer Leser“, sagt Diederichsen, „als es uns genauso ging".

"Zeitschriften wie Andy Warhols Interview oder der britische NME etwa hatten zuvor für mich diese wissenserotische Komponente.“

Das Wesen des modernen Weltverhältnisses besteht, laut dem Soziologen Hartmut Rosa, im Streben danach, alles verfügbar in Reichweite zu bringen. Wenn das stimmt, dann könnte man die Jagd nach kulturellen Stimulanzien als Begehren nach einer Resonanzerfahrung begreifen. Etwas schwingt oder swingt oder groovt. Die Resonanz lässt sich nicht recht planen, obwohl wir nicht müde werden, sie zu planen. Früher fragten viele, die sonst keine Antworten fanden: Welche neue Musik gibt es, spricht sie zu mir und warum? Leiht sie mir eine Stimme oder erzählt sie von Stimmen, denen ich zuhören sollte? „Die Fülle selbstgemachter Produkte von kleinen Labels aus der damals noch nicht als Schrebergarten verstandenen Indie-Kultur führte Mitte/Ende der 1980er Jahre zu fast entropischen Zuständen, in denen fast nichts mehr Bedeutung hatte. Gleichzeitig schrie jedes einzelne dieser Werke danach, ernst und in seiner Bedeutung wahrgenommen zu werden."

Im Spex wurden solche dialektischen Gemengelagen erschöpfend verhandelt. Gegründet 1980, war es von einer Generation schreibender Fans geprägt, die erstmals im deutschsprachigen Raum die auf eine radikal subjektive und intellektuell assoziative, so hochtrabende wie bodenlose Sprache bestanden. Das las sich ab den mir zugänglichen späten 1980er Jahren streckenweise wie aus dem Lehrbuch der salonkommunistischen Kommunikationsguerilla: hermetisch und antihierarchisch, elitär und egalitär, apodiktisch und differenzfanatisch, messianisch und hedonistisch, todernst und hochkomisch.

„Man glaubte damals, in Zungen zu reden und eine religiös autorisierte Sprache anstatt des standardisierten Sprechens zu gebrauchen.“

Das Spex hat viele Häutungen hinter sich. Schon 1999 betitelte die das schon damals schlingernde Schiff verlassende alte Redaktionsgarde ihre Schlussnummer mit „Letzte Worte“. Davor wurden aber viele erste und weiterführende Worte und Gegenworte gewechselt: zum Prinzip DIY und zum Verfall der Utopie Indie, zum Kontinuum von Soul und schon sehr früh zum Urknall HipHop, zu Madonna und Rrriot Girls, zum Problem Deutsch-Sein und zur deutschen Sprache, zum Mainstream der Minderheiten und zum Ende der Jugendkultur, zum Cultural-Studies-Import und zu Political Correctness als neuem Punk. „Der größte Konflikt damals war nicht zwischen HipHop und Indie, sondern zwischen Dancefloor-Hedonismus und einem wortreich angelegten Rezeptionstheater.“

Nach 1999 wechselte die Redaktionszusammensetzung immer häufiger. Andere Magazine wie De:Bug, teils redaktionell gespeist aus dem Spex-Team, bildeten die neuen „elektronischen Lebensaspekte“ besser ab. Anfang 2007 zog das Spex nach Berlin. Das Internet wurde mehr und mehr zum Universal-Plattenladen für Nerds aller Genres. Musik war nur mehr einen Klick entfernt und die nächste Referenz dazu ebenso. Auch die seit 2000 beigelegten Gratis-CDs konnten den schleichenden Bedeutungsverlust des Hefts nicht mehr aufhalten. Spex lieferte nun nicht mehr DIE „Musik zur Zeit“, sondern war EIN „Magazin für Popkultur“ – oft übrigens immer noch mit tollen Texten. Aber das Heft wirkte nicht mehr als ein singulärer Durchlauferhitzer der Popdiskurse. Und es konnte die Deutungshoheit von früher nicht mehr länger behaupten. Der Szenezusammenhang war unter Druck geraten. Schon allein deshalb, weil die Gentrifizierung die Städte verändert hat:

„Man läuft sich nicht mehr automatisch über den Weg, weil nicht mehr jeder in einer billigen Innenstadtwohnung lebt.“

Diederichsen hat selbst in den letzten Jahren im Spex noch eine fixe Kolumne über entlegene, experimentelle Musik zwischen Improvisation, Neuer E-Musik, Jazz, antifunktioneller Elektronik und Sound Art betrieben. Die darin besprochene Musik erscheint außerhalb des Netzes in materiellen Winzauflagen. Ob der Bedarf für inhaltlich halbwegs autonome Musikzeitschriften verschwunden ist oder diese bloß kaum mehr finanzierbar sind, lässt sich schwer sagen. Diederichsens Traum einer Zeitschrift für morgen wäre jedenfalls „die anlasslose Zeitschrift".

"Die anlasslose Zeitschrift könnte einem anderen Medium beigelegt und ganz billig produziert werden. Ob sie aber unbedingt in erster Linie von Musik handeln muss, weiß ich nicht.“

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