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drei Bücher

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Schöne Bücher

Manche nennen sie Coffeetablebooks. Für die folgenden drei Bücher langt ein Kaffee nicht. Aber wie ein starker Kaffee wirken sie durchaus nach.

Von Zita Bereuter

Es gibt Bücher, die nimmt man in die Hand und nach kurzem Blättern vergisst man die Umgebung und die Zeit. Und irgendwann klappt man das Buch zu, taucht wieder in der Gegenwart auf und denkt: Schön war’s. Hier sind drei Bücher für dieses Gefühl.

„8630 Mariazell“

„Was? Ein Bildband über Mariazell?“ Die beiden FM4-Kollegen schauen erst mich fragend, dann sich an und prusten laut los. Ob das mein Ernst sei? Und ob!

Erwin Polanc: 8630 Mariazell. Fotohof edition

Leseprobe auf erwinpolanc.com

„8630 Mariazell“ wurde mit dem Staatspreis für das schönste Buch Österreichs ausgezeichnet.

Denkt man „Mariazell“, sieht man eine weiß-rosafarbene Kirche, Berge oder Lebkuchen vor sich. Ein geradezu pittoresker Wallfahrtsort, wie frisch aus dem Österreichwerbungsprospekt. Aber neben dem auf Hochglanz polierten Pilgerort gibt noch ein anderes Mariazell. Das zeigt Erwin Polanc. Der Grazer Fotograf hat in Mariazell Leute und Momente fotografiert. „8630 Mariazell“ ist der simple Titel und genau das wird auch gezeigt. Bewohnerinnen und Bewohner, Häuserecken, Straßenszenen und Plätze. Unaufgeregt, unaufgeräumt und ungeschminkt. Das ist Alltag. Das ist Leben.

So ist ein Portrait entstanden – vom Ort und den Bewohnerinnen und Bewohnern. Ein Fotobildband, in dem man gerne blättert. Mariazell, wie man es nicht kennt. Aber unbedingt kennenlernen sollte.

„Mute. Die Geschichte eines Labels“

„All I ever wanted. All I ever needed.“ Warnung: Dieses Buch nimmt man in die Hand und vergisst sehr schnell Zeit und Ort. Dafür muss man kein Fan von Depeche Mode sein. Man blättert und kippt irgendwann rein - in die Welt von Mute. Eines der wichtigsten und einflussreichsten Indie-Labels: Depeche Mode, Nick Cave, Moby, Einstürzende Neubauten, Kraftwerk oder Goldfrapp. Sie alle waren bei Mute. Und viele andere auch.

Terry Burrows, Daniel Miller: Mute. Die Geschichte eines Labels. 1978 bis morgen
Übersetzt von Bernhard Schmid
Blumenbar Verlag
Originaltitel: Mute: A Visual Document

Leseprobe

Der ideale Mute-Künstler ist: „ein eigenständiger, abenteuerlustiger und innovativer Musiker, der sich nicht einordnen lässt. Er setzt sich über alle Konventionen hinweg“, meint Daniel Miller. Er ist Herz und Hirn hinter Mute, das er 1978 gründete. Eigentlich ein „Zufallslabel“, wie er seinen Ein-Mann-Betrieb nennt, das zu dem Label der 80er wurde. (Mittlerweile gehört Mute zu einem großen Konzern.)

Endlich gibt es die Erfolgsgeschichte auch auf Deutsch zum Nachlesen und visuell erzählt. Cover, Artwork, Fotos, Verpackungen, Design – kombiniert mit gut gesetzter Typo. Da freuen sich die Freundinnen und Freunde von Musik und guter Gestaltung gleichermaßen.

„Heimat. Ein deutsches Familienalbum“

Das ist eines der schönsten Bücher, das ich 2018 gesehen habe. Eine handgeschriebene Mischung aus Skizzenbuch, Tagebuch, Notizbuch und Fotoalbum. Man findet Illustrationen, Collagen, Fotos und verschiedenste Dokumente. „Heimat. Ein deutsches Familienalbum“ ist der leichte Titel. Und doch ist es ein Buch mit schwerem Inhalt.

Nora Krug: Heimat. Ein deutsches Familienalbum
Penguin Verlag

Leseprobe und Videos vom Entstehungsprozess auf
nora-krug.com

Es geht um den Zweiten Weltkrieg. Um Schuld, um Erbschuld. Um Täter und Mitläufer. Nora Krug hat dieses Buch gezeichnet und geschrieben. Sie ist eine große Vertreterin des Sehens und genauen Hinschauens. „Wir müssen immer genau hingucken und dürfen uns nicht scheuen vor dem Hingucken. Ich finde, dass es unsere Verantwortung ist, sich unserer eigenen Familiengeschichte zu stellen.“ Dabei ist ihr wichtig, keine Schuld zuzuweisen, aber zu überlegen „Wie beeinflusst uns diese Geschichte bis heute? Weil die Erinnerung an den Krieg wird ja über Generationen hinweg kommuniziert und weitergegeben. Auf ganz verschiedenen Ebenen. Auch auf subtilen Ebenen. Ich finde, dass wir uns dessen bewusst sein müssen, wie stark wir dadurch auch heute noch geprägt sind.“

Nora Krug lebt seit 20 Jahren im englischsprachigen Ausland. In Brooklyn in New York lehrt sie Illustration. Auch aus dieser geographischen Distanz hat sie sich gefragt, was „Heimat“ bedeutet. Was „Identität“ bedeutet. Also hat sie ihre Familiengeschichte aufgearbeitet mit dem Ziel zu verstehen. „Also einen klareren und greifbareren Eindruck davon zu bekommen, wie es sich angefühlt hat, unter dem Naziregime zu leben.“

In ihrer Familie gab es keine überzeugten Nazis. Aber auch niemanden, der Widerstand leistete. Ihre Vorfahren waren typische Mitläufer. Das findet Nora Krug beachtenswert: „Dass wir schnell uns damit zurechtfinden oder abgeben, dass ‚Mitläufer‘ ein Begriff ist, den wir nicht weiter durchleuchten müssen. Weil, wenn die meisten Deutschen Mitläufer waren, dann hat man ja so ein bisschen das Gefühl, dann muss man auch nicht groß recherchieren. Damit macht man es sich zu leicht. Es gab unter dem Naziregime alle möglichen Fragen und Entscheidungen, die man treffen konnte. Zu denen man sich entschlossen hat oder nicht entschlossen hat. Und es gab auch Wege, auf denen man helfen konnte, ohne dafür selbst ermordet zu werden oder ins Gefängnis zu kommen. Und trotzdem haben sich viele Deutsche dagegen entschieden zu helfen.
Ich finde, da muss man auch sich ganz gezielte Fragen stellen.“ Das macht Nora Krug.

Beeindruckend baut sie ihre Familiengeschichte auf. Mütterlicher- und Väterlicherseits. Forscht, sucht und fragt nach. Ungereimtheiten geht sie nach, Unangenehmem nicht aus dem Weg. Das Ergebnis ist großartig gestaltet - aber nicht nur visuell beeindruckend. Dieses Buch ist eines der besten, schönsten und wichtigsten von 2018.

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