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Soldier Studies: Cross-Dressing in der Wehrmacht

Der Fotoband „Soldier Studies“ von Martin Dammann zeigt einen verdrängten Aspekt der Geschichte der privaten Soldatenfotografie.

Von Martin Pieper

Alleine der Titel ist ein kleiner Skandal: „Soldier Studies - Cross-Dressing in der Wehrmacht“ zeigt genau, was es verspricht. Der Fotoband zeigt Männer in Frauenkleidern oder Kleidern, die man dafür halten könnte.

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Die Männer sind Soldaten, Mitglieder der deutschen Wehrmacht, und sie sind im Krieg. Über die Verbrechen der Wehrmacht ist spätestens seit den 90er Jahren viel von Zeithistorikerinnen geforscht worden. Der Künstler und Sammler von privaten Fotografien, Martin Dammann, sammelt schon lange Bilder aus dem Soldatenalltag, die nicht der Repräsentation, sondern der privaten Erinnerung dienen. Auf Flohmärkten, Dachböden und in vergilbten Fotoalben hat er sich umgesehen und die Bilder nicht nach historischen Ereignissen geordnet, sondern nach Bildmotiven.

Soldaten in Frauenkleidung

Im Vorwort zu dieser speziellen Auswahl schreibt er: „Es fiel mir auf, dass es immer wieder Fotos von Soldaten gibt, die sich als Frauen verkleiden – und ich fing an, sie zu sammeln. (…) Das Phänomen von Soldaten in Frauenkleidung zieht sich durch die Aufnahme aller Nationalitäten und Konflikte, die fotografisch dokumentiert worden sind. Eigenartigerweise aber gibt es eine besondere Fülle von solchem Material ausgerechnet in deutschen Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg.“

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Warum das so ist, darauf gibt auch das Buch „Soldier Studies – Cross-Dressing in der Wehrmacht“ keine Antworten. Im Gegenteil: Beim Betrachten der schwarz-weiß-gelblichen Fotos stellen sich nur noch mehr Fragen. „Sehnsüchte nach Frauen. Nach Männern. Frau zu sein. Woanders. Wer anders. Zurück vielleicht. Normalität als Sonderfall“, so umreißt Martin Dammann die Situation der Abgebildeten im Vorwort. Ein paar wenige Erklärungen zum historischen Kontext - die Fotos sind unter anderem in Frankreich oder auch nach Kriegsende in den Kriegsgefangenenlagern der Alliierten entstanden – müssen für dieses Buch reichen. Dabei arbeitet Dammann neben seiner Tätigkeit als bildender Künstler im Londoner „Archive of Modern Conflict“ als Fotografie-Einkäufer und Experte und hätte sicher noch mehr zu berichten über seine Soldier Studies.

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Soldatische Normalität?

Wie ein geschlossenes, fast ausschließlich männliches System, noch dazu unter dem Druck eines Vernichtungskrieges, verdrängen, sublimieren, ausweichen muss, zeigen diese merkwürdigen Fotos, die sich allen Eindeutigkeiten entziehen. Spaß und Verrohung, Rollenspiele, Transgression und die „soziale Dynamik von Krieg und Vernichtung“, wie es der Historiker und Sozialpsychologe Harald Welzer im Text „Soldatische Normalität“ im Anschluss an den Fototeil des Buches nennt, sind ein paar der Begriffe, die vielleicht helfen, diesen Bilderschatz einzuordnen. Cross-Dressing, Drag und Gendertrouble wird ja spätestens seit den 90er Jahren ein queeres, subversives Potential nachgesagt. Wie das mit der Kriegsmaschinerie der Wehrmacht zusammenzubringen ist, darauf geben auch die „Soldier Studies“ von Martin Dammann keine definitiven Antworten.

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