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Auschnitte aus den Filmstills zu Filmen, die auf der Besteliste stehen

Einhorn Film / Netflix / Marvel / Sony / Alessio Bolzoni, Amazon Studios

Die Filme des Jahres

Was vom Kinojahr übrig blieb: Die Lieblingsfilme der FM4 Filmredaktion.

Was bleibt über nach zahllosen Stunden im Kino und ebenso zahlreichen Diskussionen über Filme? Die FM4 Filmredaktion hat einen Blick zurück aufs Kinojahr 2018 geworfen und ihre Lieblinge gekürt. Horror, Tanz, Liebe, zweimal Luca Guadagnino, zwei Radiohead-Mitglieder und ein Superheld sind mit dabei.

Phantom Thread

Filmstills aus "Phantom Thread"

Universal

Paul Thomas Andersons jüngstes Meisterwerk ist vieles, nur kein mehrheitsfähiger Film. Wer identifiziert sich schon mit einem alternden Modedesigner wie Reynolds Woodcock, der seinen Status als eitler Sonderling genießt? Und welche moderne Frau findet einen Bezugspunkt zu seiner jungen Bewunderin Alma, die sich dem mürrischen Gockel zunächst willig unterwirft? Dabei entwickelt sich zwischen dem ungleichen Paar ein bizarres, fiebriges Verhältnis wie man es selten im aktuellen Kino sieht.

„Phantom Thread“, dieses obsessive Beziehungsdrama inmitten der Modeszene der 50er Jahre folgt, stellt alle Klischees über einen Maestro und seine Muse auf den Kopf. Eine dunkle Romanze mit einem perversen Touch von Alfred Hitchcock, so könnte man versuchen, den Film zu beschreiben. Aber es ist nicht bloß der Inhalt, der fasziniert. „Phantom Thread“ betört mit eleganten 35mm Bildern und einem orchestralen Soundtrack von Radiohead-Mitglied Johnny Greenwood. Daniel Day-Lewis begeistert in seinem allerletzten Film als Reynolds, Vicky Krieps als Alma ist aber ebenso sensationell. Die junge Schauspielerin aus Luxemburg erobert sich atemberaubend ihren Platz in dieser Altmänner-Erzählung. (Christian Fuchs)

Call me by your name

szenenbilder aus "Call me by your name"

sony

Immer noch hab ich es im Ohr, wie Armie Hammer und Timothée Chalamet ihre Namen flüstern. ElioElioElio, OliverOliverOliver. Luca Guadagnino hat mit „Call me by your name“ die schönste, herzklopfendste Liebesgeschichte seit Jahren erzählt. Trotz des Zitierens von Heidegger, des Streitens über Buñuel oder sprachwissenschaftlicher Monologe über das Wort Aprikose ist dieses Wunderwerk von einem Film kein Ausflug ins besserwisserische Bildungsbürgerkino.

Pia Reiser über „Call me by your name“, Februar 2018

Auch keine radikale Weiterentwicklung des „queer cinema“, sondern vielmehr ein Inszenieren der beutelnden Kraft der (ersten) Liebe. Außerdem: Armie Hammer tanzt kurzbehost zu „Love my Way“ von den Psycheledic Furs, your argument is invalid! (Pia Reiser)

Waldheims Walzer

Filmstill aus "Waldheims Walzer"

Filmladen

In einem innenpolitisch brisanten Jahr, einem Jahr, in dem populistische Politiker weltweit sogenannte alternative Fakten herbeikonstruieren, erscheint Ruth Beckermanns Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“. Der Film dokumentiert die Zeit rund um den Bundespräsidentenwahlkampf Kurt Waldheims im Jahr 1986. Der ehemalige UN-Generalsekretär und ÖVP-Politiker fällt auf durch große Lücken in seiner Biografie, die der Vertuschung seiner Tätigkeiten in der Zeit des NS-Regimes dienen. Unter den Rufen „Waldheim nein!“ formiert die Zivilgesellschaft breiten Protest, schließlich wird Waldheim dennoch zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt, während er im Ausland als höchst umstrittene Person gilt.

Petra Erdmann über „Waldheims Walzer“ anlässlich der Premiere auf der Berlinale, Februar 2018

Ruth Beckermann gelingt es mit ihrem Dokumentarfilm, der viele eindringliche Archivaufnahmen aus der Zeit des Wahlkampfs zeigt, nicht nur den damaligen Zeitgeist einzufangen, sondern auch unbehaglich gegenwärtig erscheint. Über allem schwebt das Ringen der österreichischen Identität mit seiner eigenen Geschichte, seinem kollektiven Bewusstsein, in dem man zugleich Opfer wie auch Täter des Nationalsozialismus gewesen ist. „Waldheims Walzer“ erscheint passenderweise im selben Jahr, in dem mit dem Haus der Geschichte auch endlich ein Museum zur österreichischen Zeitgeschichte eröffnet. Beckermanns Film ist eine höchst wichtige Markierung in der noch längst nicht vollständigen Aufarbeitung der österreichischen Geschichte seit dem zweiten Weltkrieg. (Jan Hestmann)

Roma

Filmstill aus Roma

Netflix

Wer in einem Anflug von Kulturpessimissmus behauptet, dass die wahren Klassiker der Filmgeschichte alle schon gedreht wurden, irrt sich. Mit seinem Familiendrama „Roma“ schließt Alfonso Cuarón an Meilensteine von Fellini, Truffaut oder Scorsese an. Dabei hat ausgerechnet der Streaminganbieter Netflix das Schwarzweißepos produziert. 135 Minuten Laufzeit, lange Kameraeineinstellungen, unbekannte Schauspieler, dazu eine sich zunächst gemächlich entfaltende Familiengeschichte im Mexiko der 70er Jahre: Das war den Hollywood-Studios eindeutig zu riskant. Selbst wenn sich Regisseur Cuarón mit Sci-Fi-Erfolgen wie „Gravity“ als Oscar-Abräumer erwiesen hat.

Das Dumme ist nur, dass die Generation Laptop mit dem Film auch an Grenzen stoßen dürfte. Denn „Roma“ entfaltet sich nur auf einer großen Leinwand. Wer das Glück hatte, ihn bei der Viennale oder wenigen Kinoeinsätzen zu sehen, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Momente stiller Intimität und Massenszenen, die eine gewaltige Gänsehaut hervorrufen, lösen sich ab. Dabei steht im Zentrum der beeindruckenden Bilder eine Erzählung über männliche Ignoranz und weibliche Solidarität, die mitten ins Herz trifft. (Christian Fuchs)

Hereditary

Filmstill aus Hereditary

Einhorn Film

Langsam ist das neue Schnell. Auch der Horrorschocker des jungen Regiedebütanten Ari Aster nimmt sich verdammt viel Zeit. Auf Nonstop-Jump-Scares wie in den Erfolgshits der „Insidious“- oder „Conjuring“-Reihen wartet man vergeblich. „Hereditary“ ist eher Arthouse als Blumhouse. Dabei mündet der schleichende Schrecken, den Aster auf den Spuren von Roman Polanski und David Lynch aufbaut, irgendwann in hysterische Angst. Ja genau, „Hereditary“ ist der eine Horrorfilm 2018, der auch abgebrühten Genrekennern wie dem Schreiber dieser Zeilen einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

Ignoriert man das Ende des Films, kann man „Hereditary“ auch ganz anders sehen: als eisiges Portrait einer schrecklich netten Familie. Die Kinder der Grahams sind beschädigt, Gabriel Byrne als Vater schwer apathisch und Mutter Annie, beklemmend gespielt von Toni Colette, ein Neurosenbündel. Dabei darf man in dem tollen Ensemble nicht auf Ann Dowd vergessen, die schon in „The Leftovers“ für Gänsehaut sorgte. Und auch die kleine Milly Shapiro, ein Broadway-Kinderstar, sorgt mit ihrer Performance für nachhaltige Erschütterung. Über die artifizielle Ästhetik, die avantgardistische Musik, die Konsequenz der Inszenierung könnte man auch noch lange schwärmen. (Christian Fuchs)

The Shape of Water

The Shape of Water Still

The Shape of Water

In politisch düsteren Zeiten wimmelt es im Genre-Kino nur so von menschlichen Monstern und märchenhaften Gestalten. Das ist nichts Neues aus der Filmgeschichte. Doch 2018 haben selten schöne und seltsame Außenseiter den Widerstand mit betörenden Tanz- und Musicalmanövern geprobt.

Schaurig und smart hat der mexikanische Meister Guillermo del Toro in diesem Jahr das Fantasy-Genre so komplex vorangetrieben wie kein anderer. Eine intelligente Kreatur wird im unterirdischen US-Hochsicherheitslabor von sadistischen Opportunisten gefoltert. Von der stummen Putzfrau aber wird der sexy Wassermann bis in die Ewigkeit geliebt. „The Shape of Water“ ist eine bildgewaltige Anspielung auf die erstickte Sexualität in den 50er Jahren. Starre Biederkeit hat in den zitierten Hollywood-Musicals einen eskapistischen Höhepunkt gefunden. „The Shape of Water“ ist ein himmelhochjauchzendes Plädoyer für alle zu Tode betrübten Außenseiter_innen. Dream on! (Petra Erdmann)

Suspiria

"Suspiria" Remake Filmstill

Alessio Bolzoni / Amazon Studios

1973 hat keine strenge Ballettlehrerin eine weiße Weste. Tilda Swinton manipuliert mit ihrer Choreographie die Mädchenkörper solange, bis sie blutig verrenkt und untot in der Ecke kauern. Dass sich Tanz als grausames Folterinstrument für widerliche Grabenkämpfe unter Hexenmeisterinnen bewährt, hat Luca Guadagnino mit seinem Horror-Remake „Suspira“ auf allen Sinnesebenen vorgemacht.

„Suspiria“ erzählt von totalitären Machtsystemen und verstört mit magischem Schrecken und Thom Yorkes Soundtrack. Dieser hyperrealistische Retro-Genrefilm kann politisch aktueller und schöner nicht aufgeladen sein. (Petra Erdmann)

Thelma

Szenenbild aus "Thelma"

Thimfilm

Eine wunderbare Film-Überraschung gab es dieses Jahr aus Norwegen von Regisseur Joachim Trier (entfernt verwandt mit Lars von Trier). Sein Film „Thelma“ ist romantisches Coming-of-Age-Drama und Mystery-Thriller zugleich: Abseits des städtischen Lebens, umringt von der rauen Natur Norwegens, wächst Thelma im Kreis der Familie isoliert auf.

Als sie der Obhut der streng religiösen Eltern schließlich entwächst, beschließt sie, nach Oslo zu gehen, um zu studieren. Dort lernt sie die kokette Anja kennen, und fühlt sich bald zu ihr hingezogen. Nach und nach kommt es allerdings immer öfter zu unheimlichen, ja übernatürlichen Ereignissen.

Weite Aufnahmen, die die Gewalt der Natur dem Verlorensein in der Stadt gegenüberstellt, erzeugen eine Sogwirkung wie riesige Gemälde. Darin spielt Joachim Trier poetisch mit den Elementen, mit Wasser und mit Feuer, und erzeugt dabei wunderschöne wie auch grauenhafte Momente. „Thelma“ ist eine prall gefüllte Wundertüte und dabei selbst ein kleines Wunder, das Skandinavien einmal öfter als verlässlichen Lieferanten für innovatives und höchstqualitatives Kino positioniert. (Jan Hestmann)

Black Panther

szenenbilder von "black panther"

marvel studios

Ein Film aus der unermüdlich schnurrenden Marvel-Fabrik hat sicherlich den stärksten cultural moment des Jahres 2018. Ein schwarzer Superheld, Frauenfiguren jenseits der Inszenierung als Superheldenbeiwerk im Latexanzug. „Black Panther“ ist ein politisch aufgeladener Superheldenfilm und ein Meilenstein in Sachen Sichtbarmachung, Repräsentation - und dem Neu-Denken von „black history“.

Das Kino zeigt seine wahre Supermacht, nämlich die der Repräsentation, der Film ist ein Befreiungsschlag von jahrzehntelangen Stereotypisierungen. (Pia Reiser)

Three Billboards outside Ebbing, Missouri

Frances McDormand

Twentieth Century Fox

Vielleicht der Film, der (neben „Call Me By Your Name“) am meisten „Gesamtkunstwerk“ für mich war.
Trotz der nicht immer leicht anzusehenden Gewalttätigkeiten. Ein Lehrstück über Rage, Rache, Hilflosigkeit, aber auch über Zusammenhalt, Ideale und sowas wie Liebe. Ein Film, dem die Theateraffinität seines Cast gut anmerkbar ist.

Frances McDormands filmische Tour de Force für ihre ermordete Tochter und Gerechtigkeit gegen einen anscheinend unfähig wie auch mitunter rassistischen Polizeiapparat, hat ihr Oscar und Golden Globe beschert. An ihrer Seite spielen großartig Woody Harrelson sowie ein als bester Nebendarsteller ebenfalls oscar-ausgezeichneter und zu absoluten Hochtouren aufgelaufener Sam Rockwell. Stichworte: blauer Damen-Arbeits-Overall, Undercut und ziemlich wilder Westen.
(Martina Bauer)

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