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Kaum ein Spiel kommt mehr ohne Multiplayer-Modi und Online-Features aus. Oft ist der Einzelspieler-Content geringfügig oder gar nicht mehr vorhanden. Umso absurder ist die gängige Praxis, dass oft nach wenigen Jahren mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit die zugehörigen Games-Server abgeschaltet werden.

Von Robert Glashüttner

Da lagen sie plötzlich. Prominent platziert inmitten der Konsolen-Bundles und der Retro-Hardware. Da dürfte es eine Lagerräumung gegeben haben, dachte ich. Kann ja sonst nicht sein, dass man über drei Jahre später plötzlich wieder zwei Dutzend „Guitar Hero Live“-Spiele samt Plastikklampfen im Elektronikmarkt anbietet - wahlweise für PS3 und PS4. Das Ende Oktober 2015 erschienene Spiel war eine Art Revival, ein Wiederauflebenlassen eines ehemaligen Industrie-Hypes. Schon Anfang des Jahrzehnts war das Genre der Gitarrenrhythmusspiele kommerziell nahezu obsolet.

Mit ein paar Jahren Abstand, dachte sich der zuständige Publisher Activision vermutlich, könnte man aber doch mal versuchen, dem angegrauten Spielprinzip neues Leben einzuhauchen. „Guitar Hero Live“ änderte zwar am Grundprinzip des rhythmischen Tastendrückens nichts, dennoch hatte man sich bemüht, das Spielerlebnis für Mitte der 2010er Jahre zu erfrischen. Die Knopfbelegung änderte sich vom Format 1x5 zu 2x3, vor allem aber wurde an den Modi geschraubt: Im Singleplayer-Modus schlüpfte man auf zwei Festivals in die Rolle unterschiedlicher Bandmitglieder. Aus einer abgefilmten POV-Perspektive ging man mit seinen KollegInnen auf die Bühne, lies sich von den jubelnden Massen begeistern und rockte schließlich das Haus.

Das eigentliche Herzstück war aber der MehrspielerInnen-Modus, „Guitar Hero TV“: Dabei konnte man durch unterschiedliche - Achtung, Anachronismus! - Musik-TV-Sender zappen und sich live interaktiv einklinken. Leaderboards und Online-Duelle waren da selbstverständlich, ebenso wie eine sich stetig erweiternde Songliste. Rund 500 Stück waren es noch Mitte 2018. Ende des Jahres sind nur noch die 42 Offline-Lieder des Singleplayer-Modus verfügbar. So erklärt sich also der Abverkauf im Elektronikmarkt.

Guitar Hero Live

flickr / Marco Verch / CC BY 2.0

Spieler mit „Guitar Hero Live“, CC BY 2.0

„Guitar Hero Live“ hat sich rund drei Millionen mal verkauft. Das klingt erst mal nicht schlecht, ist aber eine enttäuschende Zahl verglichen mit den rund 16 Millionen Einheiten, die „Guitar Hero III“ einst (2007) abgesetzt hat. Die kommerzielle Halbwertszeit von Games ist bekanntermaßen kurz und wird immer kürzer - und weil Gitarrenrhythmusspiele ihre Hochzeit ja schon Jahre vor dem Release von „Live“ hinter sich hatten, ist die Zeit über diesen Titel noch schneller hinweggegangen.

Bleibt also nur ein wirtschaftlich sinnvoller Schritt für den Publisher: Server abschalten und den Support für den Titel auf ein notwendiges Minimum herunterfahren. Mitte des Jahres wurde der Schritt bereits angekündigt, am 1. Dezember war dann Schluss mit „Guitar Hero TV“ - und damit auch mit über 90 Prozent des ehemaligen Song-Katalogs. „Danke für euren Support und eure Treue“, steht in so einem Fall dann im Hauptmenü des Spiels und auf der Website. In den Foren kann man seinem Ärger Luft machen, das ändert aber natürlich nichts an den Tatsachen. Die Achievements, die nur im „TV“-Modus freigeschaltet werden können, gibt es freilich noch. Das war’s dann mit der Platin-Trophäe. Vielleicht kommt ja noch ein Patch. Man sollte nicht damit rechnen.

Games as a Disservice

Nicht mal zwei Wochen nach dem massiven Einschnitt in „Guitar Hero Live“ platzt in der kompetitiven Community von „Heroes of the Storm“ die Bombe: Hersteller Blizzard (Teil des Activision-Konzerns) kündigt an, die Pflege für ihr 2015 erschienenes MOBA zu verringern - es wird künftig weniger Updates und seltener neue Inhalte geben. Auch hier ist der Schritt selbstverständlich rein wirtschaftlich begründet: Das Spiel führt im Vergleich zu den Zugpferden „Overwatch“ und „Hearthstone“ ein Nischendasein, „Heroes of the Storm“ konnte nach dreieinhalb Jahren den übermächtigen Konkurrenztiteln „League of Legends“ und „DOTA 2“ nicht annähernd die Stirn bieten.

Der Abzug von Personal hin zu lukrativeren Blizzard-Projekten bedeutet zwar nicht das aus für das Game, besonders pikant ist allerdings die gleichzeitige Streichung der hauseigenen E-Sport-Liga „Heroes Global Championship“ (HGC). Die HGC war das Herz der Community von „Heroes of the Storm“, um das herum sich ein eigenes professionelles Biotop gebildet hatte: Progamer, Caster, Streamer, Manager, usw. haben in den letzten Jahren viel in die Szene investiert und dann plötzlich durch ein Social-Media-Post erfahren dürfen, dass im kommenden Jahre die Grundfeste ihrer Infrastruktur - und damit ihre Jobs - zusammenbrechen werden.

Natürlich waren es „schwierige Entscheidungen“, die da getroffen werden mussten, wie in dem Blogpost zu lesen ist. Doch so ist das eben im Kapitalismus: Was nicht gut genug performt, wird ausgemustert.

Heroes of the storm logo

Bago Games

Natürlich kann man der Community von „Heroes of the Storm“ vorwerfen, sich viel zu stark von Blizzard abhängig gemacht zu machen. Die Unterstützung der entsprechenden Entwicklerfirma für eine vitale E-Sport-Szene eines Spiels ist nicht zwingend notwendig - das hat unter anderem der erstaunliche Aufstieg des originalen „Starcraft“ in Südkorea schon vor 20 Jahren bewiesen. Doch eben genau hier hat Blizzard schon vor einigen Jahren angesetzt: 2012 hat die Firma die StarCraft II World Championship Series begründet, eine Art Dachverband, der alle offiziellen Ligen und Turniere genehmigt und verwaltet. Daran vorbeizukommen war aber einem gewissen Punkt unmöglich, wenn man nicht komplett unter der Aufmerksamkeitsgrenze verschwinden wollte.

Sehr ähnlich verhält es sich mit der Overwatch League und eben auch der Heroes Global Championship: Sitzt die Entwicklerfirma nicht nur am jeweiligen Spiel, sondern auch der dazugehörigen kompetitiven Szene wie eine Glucke drauf, gibt es kaum einen Weg mehr aus der Abhängigkeit. So werkt und hofft man von einem Monat zum anderen - bis irgendwann doch die ach so schwierigen wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen werden. Viele werden sich empören, die Karawane zieht trotzdem weiter. What do you want to do about it?

Es ist aus individueller Perspektive nicht einfach, aus abgedrehten Servern, zurückgefahrener Betreuung und eingestampften E-Sport-Dachverbänden eine sinnvolle Lehre zu ziehen. Zwar könnte man Spiele grundsätzlich boykottieren, die über Online-Zwang verfügen, große Teile ihres Content in Multiplayer-Modi bereithalten und deren Wesen von der ständigen Wartung des Herstellers abhängig ist. Aber das würde im kompletten Widerspruch zu zeitgenössischer Gameskultur stehen und wäre damit alles andere als mehrheitsfähig.

Besser wäre da schon eine allgemein kritischere Auseinandersetzung mit der Halbwertszeit von Spielen, etwa mit der immer wiederkehrenden Frage, wie es denn aussehen würde, wenn der zuständige Entwickler seinen ehemaligen Star irgendwann auf der Straße aussetzt.

Welche Spielinhalte würden dann übrig bleiben? Auf welchem System wäre das jeweilige Game dann eventuell gar nicht mehr spielbar? Welche Hersteller haben sich in den letzten Jahren mit Serverabschaltungen und eingestelltem Service besonders negativ hervorgetan? Und keine Sorge: Nicht nur Activision ist das Problem. Natürlich drehen auch Ubisoft, EA, Sony, usw., immer wieder Online-Inhalte und -Services ab, wenn die jeweiligen Spiele nicht genug Geld reinspülen.

Wir sprechen viel über Inhalte von Games, Probleme bei der Entwicklung (Überstunden, Crunch) und gesellschaftliche Verantwortung. Wäre es nicht auch an der Zeit, die Publisher in Bezug auf Nachhaltigkeit in die Pflicht zu nehmen?

Ewige Neuauflagen von alten Spielen für neue Systeme sind die eine Sache, das Hochjazzen aktueller Online-Games und -Modi, die dann nach wenigen Jahren möglicherweise schon wieder wie altes Obst fallengelassen werden, die andere. Regulierungen, (freiwillige) Verpflichtungen oder Gütesiegel, dass ein Computerspiel eine bestimmte Zeit lang mit vollem inhaltlichen Umfang betreut wird, wären Ideen, über die zuständige Konsumenten- als auch Industrieverbände nachdenken sollten. Sonst gibt es ja auch überall zumindest Garantien, die man für einen kleinen Aufpreis abschließen kann und dann für eine Weile Gewissheit hat. Auch die Frage, ob das Betreiben eines (Online-)Spiels - mit allem, was dazugehört - komplett in der Hand des zuständigen Konzerns liegen soll, sollte gestellt werden.

Und jene, ob ab einem gewissen Punkt der gesellschaftlichen Relevanz die Öffentlichkeit und die Politik nicht auch ein Wörtchen mitreden dürfen sollte - etwa, wenn es darum geht, Online-Welten zu konservieren oder es Non-Profit-Verbänden zu erlauben, weiterhin eigene Spieleserver betreiben zu dürfen. Digitale Spielkultur ist für unsere Gesellschaft zu wichtig geworden, um sie zu 100% der kapitalistischen Wirtschaftslogik zu überlassen.

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