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Szene aus "True Detective"

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SERIE

Die Zeit ist ein flacher Kreis

Die erste Staffel von „True Detective“ hat Seriengeschichte geschrieben, danach waren die Reaktionen kontrovers. Jetzt kehrt die düstere Krimi-Anthologie nach längerer Pause zurück.

Von Christian Fuchs

Erinnert sich noch jemand an den „Yellow King“? Oder an das geheimnisvolle Wort „Carcosa“, das eine unheimliche Schreckensstadt symbolisiert? Im Frühjahr 2014 geisterten diese Begriffe plötzlich in meinem Freundeskreis herum. Wir durchforsteten das Internet nach Informationen, besorgten uns Bücher legendärer Horrorschreiber wie Ambrose Bierce oder H.P. Lovecraft, zu denen die Spur führte. Auch der Autor Thomas Ligotti, berüchtigt wegen seiner apokalyptischen und misanthropischen Traktate, machte in abgebrühteren Kreisen die Runde.

Der Grund für diese Recherche im Reich der Weird-Fiction war eine Fernsehserie. Und zwar nicht irgendeine. „True Detective“, produziert von HBO, entpuppte sich damals nicht nur formal und schauspielerisch als Show-Ereignis des Jahres. Die Thriller-Anthologie, erdacht vom Ex-Hochschullehrer Nic Pizzolatto, verpackte ein ganzes Sammelsurium an mythischen und morbiden Verweisen in einen verwinkelten Serienkiller-Plot.

Buchstäblich verkörpert wurde das finstere Referenzsystem durch eine der beiden Hauptfiguren. Rust Cohle, ein von Weltekel zerfressener Cop, erwies sich als Rockstar unter den kaputten Polizisten. Mit seinen existentialistischen Sprüchen erinnerte er eher an Ian Curtis, Jim Morrison oder Nick Cave als einen TV-Gesetzeshüter. Auch wenn Rust, extrem charismatisch von Matthew McConaughey gespielt, seinen Partner Marty Hart (Woody Harrelson) mit seinen Philosophien oft an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt, wir „True Detective“ Fans verklärten ihn 2014 zum pessimistischen Guru des NeoNoir.

Szene aus "True Detective"

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Leben und Sterben in LA

Ein Jahr später fühlen sich viele Anhänger der sinistren Serien-Glaubensgemeinschaft vor den Kopf gestoßen. In der zweiten„True Detective“ Staffel verlässt Nic Pizzolatto das sumpfige Louisiana und seine rätselhaften Southern-Gothic-Abgründe. Die von Presse und Publikum heftig kritisierten Folgen kreisen um eine Gruppe psychisch angekratzter Kriminalbeamter im sonnenverbrannten Los Angeles, im Mittelpunkt Colin Farrell als manischer Prügelbulle Ray Velcoro.

Zwar zitiert Pizzolatto auch diesmal wieder ausgiebig literarische Quellen, aber die Bezüge zu den Büchern von Crime-Papst James Ellroy interessieren nur mehr wenige. Für die Mehrheit der Seher bietet die komplizierte Story kaum Anknüpfungspunkte, viele steigen entnervt noch vor dem Finale aus. Dabei verpassen sie mit der überlangen Schluss-Episode definitiv ein Highlight der jüngeren TV-Geschichte.

Wie Nic Pizzolatto darin Farrell, Vince Vaughn und Taylor Kitsch pathetisch und blutig in die Hölle fahren lässt, geht unter die Haut. Aber auch die Folgen davor stecken - trotz einiger dramaturgischer Holprigkeiten - voller großartiger Momente. Pizzolatto trägt die Farbe Schwarz im Grunde mit einem noch dickeren Pinsel als in der ersten Staffel auf, suhlt sich in Melancholie und Hoffnungslosigkeit. „True Detective“ Season 2 ist ein pures Noir-Konzentrat. Wer dabei wen jagt und aus welchen Gründen wird im Vergleich zur Vorgängerstaffel zu einer Nebensächlichkeit.

Szene aus "True Detective"

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Comeback nach zweieinhalb Jahren

Bei all dem heftigen Gegenwind, der das Phänomen „True Detective“ danach umweht, glaubt eigentlich niemand mehr ernsthaft an eine Fortsetzung. Gary Fukanaga, der Emmy-gekrönte Regisseur der Rust-Cohle-Saga, denkt nicht im Traum an eine von Fans erhoffte Rückkehr (und dreht dafür den nächsten James-Bond-Streifen). Der Hype rund um Nic Pizzolatto verflüchtigt sich, etliche Foren im Netz machen sich über die vermeintliche Arroganz des schreibenden Shootingstars lustig.

Vor allem ändert sich die Serienlandschaft drastisch. Andere Anthologien wie „Fargo“ stoßen in die „True Detective“ Lücke und holen die LiebhaberInnen rabenschwarzer Unterhaltung ab. „Hannibal“ treibt die Ästhetisierung des Grauens auf die Spitze, „Mindhunter“ schockt mit echten Fällen aus dem Serienkiller-Archiv. Trotzdem verlautbart HBO irgendwann: Es wird eine dritte Staffel aus der Feder von Pizzolatto geben, der auch erneut die Funktion des Showrunners übernimmt.

Zweieinhalb Jahre nach der Ausstrahlung der letzten Episode ist es jetzt soweit: „True Detective“ feiert am 14. Januar ein Comeback, hierzulande vom Bezahlsender SKY ausgestrahlt. Fünf von acht Folgen dürfen sich Journalisten vorab ansehen, den Schreiber dieser Zeilen begleitet dabei am Anfang regelrechtes Herzklopfen. In welche verstörenden Gebiete wird es die Protagonisten diesmal verschlagen, welche Noir-Würdigungen darf man sich von Mr. Pizzolatto erwarten? Ich wünsche mir von der ersten Sekunde an, dass sich dieses typische bedrohliche und zugleich tragische „True Detective“ Feeling einstellt.

Szene aus "True Detective"

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Déjà-vu-Gefühle in trostloser Gegend

Dabei schließt der Vorspann optisch zwar nahtlos an die magischen Titelsequenzen der vorherigen Staffeln an, aber der rauchige Soulsong auf der Tonspur wirkt zu geschmäcklerisch, um Gänsehaut zu evozieren. Die Nackenhaare sträuben sich zunächst auch nicht bei der Erzählung, die sich schleichend entfaltet, zwischen den Jahren 1980, 1990 und 2015 hin- und herpendelnd.

Der afroamerikanische Cop Wayne Hayes (Oscar-Preisträger Mahershala Ali) schlittert mit seinem weißen Partner Roland West (Stephen Dorff) in einen scheinbar unauflösbaren Fall. Zwei Kinder verschwinden eines Tages spurlos in Fayetteville, Arkansas, die Indizien deuten auf ein rituelles Verbrechen hin. Tatverdächtige bieten sich in der trostlosen Umgebung etliche an, es mangelt aber zunächst an jeglichen Beweisen.

Schon bald lässt sich ein gewisses Déjà-vu-Gefühl nicht leugnen. Zwei Polizisten, die durch eine menschlich und sozial verwahrloste Gegend driften und dabei im Dienstwagen ausschweifende Dialoge führen, am Tatort hinterlegte Puppenfiguren, eine unheildräuende Atmosphäre, ein experimenteller Score von T Bone Burnett: Man wartet wirklich nur, dass Rust Cohle als Verstärkung in der schroffen Landschaft der Ozark Mountains auftaucht. Und seinen berühmten Satz „Time is a flat circle“ in die Kamera sagt. Die Zeit, die vergeht in Staffel 3 übrigens super langsam.

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Meisterregisseure und überzeugende Besetzung

Die irreale Düsternis der ersten Staffel erreichen die Abenteuer von Wayne und Roland, trotz der packenden visuellen Umsetzung, letztlich nicht. Ist das „True Detective“ in der Light-Version, frage ich mich zwischendurch, so blutarm (im wahrsten Sinn des Wortes) und bemüht subtil präsentiert sich die Mördersuche. Bis es mir dann spätestens während der fünften Folge dämmert: Dieser zurückhaltende Thriller will vielleicht gar kein Thriller sein. „I’m not even sure this is properly noir“ bestätigt auch Nic Pizzolatto in einem aktuellen Interview diesen Eindruck.

Der Autor benutzt die erwähnten Trademark-Elemente seiner Show, um im Grunde ein tieftrauriges Drama rund um verlorene Erinnerungen, zerstörte Freundschaften und brutal nagende Gewissenskonflikte zu erzählen. Das ist durchaus mutig, verzichtet „True Detective“ anno 2019 doch auf übertrieben plakative Szenarien und überlässt die Glamourisierung des Dämonischen der Serienkonkurrenz.

Dass diese neue Seriosität tatsächlich überzeugt, verdankt sich neben Meisterregisseuren wie Jeremy Saulnier („Hold the Dark“) und Drehbuch-Helfern wie David Milch („Deadwood“) vor allem der Besetzung. Steht man Mahershala Ali’s Figur zunächst vielleicht skeptisch gegenüber, weil dieser schwarze Cop nicht den Furor eines Rust Cohle oder Ray Velcoro besitzt, überrollt einen der Schauspieler irgendwann mit seiner Kunst. Und zwar nachhaltig. Der innerlich brennende, äußerlich stoische Kriminalpolizist Wayne, lässt die gängigen Thriller-Stereotypen hinter sich.

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In der furchterregendsten Einstellung der ersten fünf Folgen braucht es keine Lovecraft’schen Schocks mehr, wir verfolgen den an Alzheimer erkrankten, ergrauten Ex-Cop bei einer Panikattacke in seiner leeren Wohnung. „Carcosa“, das ist in dieser ungewöhnlichen „True Detective“ Staffel der Schrecken, der auf uns alle lauert, draußen in dieser zerklüfteten Zone, die wir „das wirkliche Leben“ nennen.

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