Nachkriegsroadtrip zur Jugendliebe
„In Ordnung, jetzt sage ich es. Also, ich heiße Pomela Peović. Ich bin eine blonde Pomela, äußerlich. Ich habe aufgespritzte Lippen, eine brasilianische Intimrasur, ich fahre ein Cabriolet, einen Zweisitzer, Madzda MX-5, Farbe Gold, aber innerlich bin ich eine schwarze Pomlea. Voll schwarzen Safts.“
Pomela ist mit ihrem Cabriolet aufgebrochen, ihre Jugendliebe Fink zu suchen. Der letzte Anhaltspunkt sind Briefe, die der Straßenpoet und Künstler den Anrainern seines Hauses in der Dinko Šimunović-Straße geschrieben hat. Darin thematisiert er das Liebesgestöhne, das durch die Gasse hallt und ihn in der Nacht nicht schlafen lässt.
Den ersten Hinweis bekommt sie von Finks Freund, der zwischenzeitlich in seiner Wohnung wohnt und Pomela den nächsten Tipp gibt. Doch während ihrer Reise verschlimmert sich der Gesundheitszustand der erfolgreichen Drehbuchautorin. Ihre Erinnerungen verblassen immer mehr, sie kann sich schwer konzentrieren und vergisst allmählich die einfachsten, automatisierten Alltagshandlungen. Trotzdem versucht sie beharrlich, die Liebe ihres Lebens wiederzufinden, während sich Traum und Wirklichkeit vermischen.
Versehrtes Land und versehrte Seelen
Die kroatische Autorin Olja Savičević lässt uns mit „Sänger in der Nacht“ tief in die Seele und die Landschaft des ehemaligen Jugoslawien eintauchen.
„Tulumbe ist ein Geisterdorf in den Bergen zwischen Haselnusssträuchern und Wiesen voller Blaubeeren. Die alte Rote Schule mitten auf dem Feld ist von wildem Weizen überwuchert, und die vor langer Zeit niedergebrannten Häuser haben nun Pflanzen in Beschlag genommen. Hier und da war etwas Licht in der Dunkelheit, von Petroleumlampen, brummenden Stromgeneratoren nach Tulumbe hat es der Strom noch nicht geschafft, auch kein Asphalt, kein fließend Wasser, dafür gab es gutes Wasser aus dem Waldbrunnen.“

Voland & Quist
„Sänger in der Nacht“ von Olja Savičević ist von Blažena Radas aus dem Kroatischen übersetzt im Voland & Quist Verlag erschienen.
Die wildromantischen Beschreibungen stehen sehr eindrücklichen Charakterstudien gegenüber. Es sind Menschen, denen der Krieg die Seele verwundet hat und die mit Armut und Perspektivenlosigkeit zu kämpfen haben. Und trotzdem sind Olja Savičevićs Figuren voller Überlebenswillen und Humor. Auch die Romanheldin Pomela, die an den Folgen eines Unfalls leidet, verliert nie den Mut, ihre Jugendliebe zu finden und sieht all den Widrigkeiten gelassen entgegen, auch wenn sich Realität und Fiktion, Erinnerungen und Gegenwart immer mehr zu mischen beginnen. So ist auch das Buch wie ein Mosaik aus Rückblenden, den geschriebenen Briefen von Fink und der gegenwärtigen Reiseerlebnisse.
„Sänger in der Nacht“ ist aber auch ein sehr poetisches und zugleich nüchternes Buch über die Entwicklungen einer Nachkriegsgesellschaft, in der sich langsam der Kapitalismus und Hedonismus einschleicht. Dabei steht der Erfolgsweg von Liebesroman- und Seifenoper-Autorin Pomela dem steinigen und brotlosen Künstlerdasein von Fink diametral gegenüber. Wobei auch hier diese Grenzen immer wieder hinterfragt werden.
„Die Menschen brauchten viele billige und schnelle Gefühle, sie verbrauchten sie in größeren Mengen, als die produziert werden konnten, ganze Teams von Schreibern hauten täglich in die Tastaturen und schrieben völlige Hirngespinste ohne jede Leidenschaft, aber mit dem Schweiß wütender Schreibsklaven. Und aus diesem Schweiß sprossen zehn, hundert großartige Schundgeschichten, die bei den Menschen Lachen und Tränen, Liebe, Angst und Leidenschaft weckten, sie wie die besten Kunstwerke erschütterten.“
Dieser Roman ist etwas sehr besonderes. In klarer und authentischer Sprache wirft die kroatische Autorin einen ungeschönten und doch liebevollen Blick auf eine Nachkriegsgeneration die versucht, ihre Träume zu verwirklichen. Sie lässt uns darüber nachdenken, welchen Stellenwert Kunst und Schund haben kann, welchen Zwängen wir oft unterworfen sind und wie es Menschen schaffen, trotzdem ihren Weg zu gehen. Selbst wenn das Risiko besteht, dass die erhoffte Liebe immer nur ein Traum sein wird.
Publiziert am 10.01.2019