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Once upon a time in Hollywood

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FILM

Filmrausch 2019 (II)

Teil 2: Drei Cinephile im Gespräch über Comedy-Hoffnungen, charismatische Gangster und Kino-Delirien, die alle Kategorien sprengen.

Von Christian Fuchs

Christian Fuchs: Eines der königlichsten Genres, die amerikanische Komödie, enttäuscht uns ja seit einiger Zeit leider sehr. Die Vorabgeschichten, die man über „Holmes & Watson“ hört, in dem Will Ferrell und John C. Reilly wieder blödelnd aufeinandertreffen, hören sich auch nicht gut an. Wie seht ihr das?

Sebastian Selig lebt im Kino und schreibt darüber online ausschweifende Erlebnisberichte, u.a. auch für so aufregend bunte Magazine wie Hard Sensations, NEGATIV oder Deadline.

Christoph Prenner schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an, über die er sich dann als Chefredakteur von SKIP buchstäblich freut.

Hier geht’s zu Teil 1 ihrer gemeinsamen Filmvorschau mit Christian Fuchs

Sebastian Selig: Besonders bitter für „Holmes & Watson“ war es, als bekannt wurde, dass das Studio den Film nach miserablen Testscreenings Netflix angeboten hat, aber selbst diese hätten ihn tatsächlich abgelehnt. Nun wird natürlich öffentlich diskutiert, wie schlecht muss ein Film sein, wenn ihn selbst Netflix nicht kauft?

Christian Fuchs: Glaubst du, dass die Comedytalente der Gegenwart alle im Serienbereich zu finden sind, Christoph?

Christoph Prenner: Der Vergleich macht einen da leider schnell sehr sicher – wenn man sich einerseits all die kühnen komödiantischen Grenzgänge in Erinnerung ruft, die uns das Fernsehen und seine formatschaffenden Freigeister von „Atlanta“ über „Corporate“ bis „Barry“ in der vergangenen Saison an scharfen Schandtaten geschenkt haben. Und wenn man andererseits einen Blick auf das wirft, was diese Woche bei den Globes allen Ernstes als beste Leinwand-Comedy ausgezeichnet wurde: die seifige, selbstgerecht schmunzelgerechte Lachundsachgeschichte „Green Book“.

JoJo Rabbit

Fox Searchlight

JoJo Rabbit

Christian Fuchs: Die komödiantischen Filmhoffnungen 2019, die mir aufgefallen sind, bieten vielleicht gar nicht einmal viele schenkelklopfenden Momente. In „JoJo Rabbit“ erträumt sich ein schüchterner deutscher Bub während des Zweiten Weltkriegs einen imaginären Freund, der dann ausgerechnet Adolf Hitler heißt. Was sich wie die Vorlage zu einer düsteren Coming-of-Age-Story anhört, verwandelt Regisseur Taika Waititi aber in eine rabenschwarze Anti-Nazi-Komödie. Der Neuseeländer, dem wir auch das letzte „Thor“-Abenteuer verdanken, könnte damit zur Topform seiner wüsten Vampirsatire „What We Do In The Shadows“ zurückkehren. Sam Rockwell spielt übrigens eine SS-Offizier und Scarlett Johansson eine junge jüdische Frau, die von der Familie des Buben versteckt wird.

Sebastian Selig: „What We Do In The Shadows“ wiederum kommt 2019 als TV-Serie zurück.

Christoph Prenner: Bei Waititi bin ich ja wiederum immer noch Team „Hunt For The Wilderpeople“: Eine Sonntagnachmittagsfilmperle for many, many years to come. Wo wir wird grad schon beim knusprigen Verschmelzen von Humor und Herzrührung sind: Heuer dürfen wir endlich auch wieder mal mit Woody und Buzz Lightyear in die einnehmendste aller Spielzeugkisten steigen. Und wenn „Toy Story 4“ auch nur annähernd so virtuos die Gefühlsklaviatur zu bedienen weiß wie sein Vorgänger, dann wird’s da mit einer Familienpackung Taschentücher nicht getan sein im Lichtspieltheater des Vertrauens.

Maniacs und Mobster

Christoph Prenner: So wie die wertige Kinokomödie schon tausendfach totgesagt – und doch immer wieder von Neuem auferstanden: Der Gangsterfilm im weitesten Sinne. 2019 scheint uns dahingehend ein besonders verheißungsvolles Comeback-Jahr ins Haus zu stehen, in dem unter anderem gleich zwei der größten Schwergewichte des Genres mit neuen Arbeiten antreten werden. Wobei es sich bei Martin Scorseses Dekaden moderner Verbrechensgeschichte umspannendem Herzensprojekt „The Irishman“ vermutlich um den bis dato teuersten Film aller Zeiten handeln dürfte, den man nicht im Kino schauen wird können. Aber anscheinend stellt einem dieser Tage eben nur noch Netflix vorbehaltlos 200-Millionen-Dollar-Schecks für digitale Verjüngungskuren an den Fassaden von De Niro, Pacino und Pesci aus.

Christian Fuchs: Einer, der noch große Budgets für Filme abseits der Multiplex-Superhelden-Invasion bekommt, ist Quentin Tarantino. Ich weiß ja nicht, ob man „Once Upon A Time In Hollywood“ in die Kategorie „Gangsterfilm“ einordnen kann, aber immerhin spielt eines der berüchtigtsten Verbrechen der amerikanischen Kriminalgeschichte darin eine zentrale Rolle. Tarantino schildert die Stimmung in Hollywood im düsteren Umbruchsjahr 1969, als die Morde der Manson Family für Angst und Schrecken sorgten. Man sollte sich allerdings kein True-Crime-Movie erwarten. Ein abgehalfterter TV-Star und sein Bodyguard stolpern darin durch die Partyszene und treffen dabei wohl auch Charles Manson himself, der damals ja als Hippieguru omnipräsent war. Als privater 1969er-Forscher bin ich extrem gespannt.

Christoph Prenner: Brillant besetzt wurde Manson übrigens, pikanterweise genauso wie in der kommenden zweiten Staffel von „Mindhunter“, mit Damon Herriman, einem der interessantesten Fernsehgesichter der letzten Jahre („Justified“, „Quarry“). Was bisher, ob der aus allen topkräftig aus allen Rohren feuernden Cast-Liste – so, mal kräftig Luft holen – mit unter anderem Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Dakota Fanning, Al Pacino, Tim Roth, Lena Dunham, Timothy Olyphant, Michael Madsen, Kurt Russell und James Marsden verständlicherweise bisher noch ein wenig untergegangen sein könnte.

Once upon a time in Hollywood

Sony

Once Upon A Time In Hollywood (siehe auch Coverbild)

Sebastian Selig: Neon-Noir der Spitzenklasse verspricht wiederum der neue Film von Antonio Campos, dem wir den hypnotischen Sektenthriller „Martha Marcy May Marlene” verdanken. Er hat mit großer Besetzung - Chris Evans, Robert Pattinson, Mia Wasikowska, Mia Goth, Tom Holland - tatsächlich Donald Ray Pollocks Roman „The Devil All The Time“ verfilmt. Der Mittlere Westen als fiebriger Albtraum voller gefährlicher Serienkiller, korrupter Sheriffs und der Kirche entrückter Priester.

Christian Fuchs: „Fonzo“ könnte auch nicht unspannend werden. Der junge Josh Trank, der durch seinen überambitionierten „Fantastic Four“-Film zu Unrecht zum Untalent erklärt wurde, nähert sich Gangsterlegende Al Capone. Tom Hardy, ja genau, schlüpft in die Rolle des Big Boss, der nach Jahren im Gefängnis an schwerer Demenz erkrankt. Linda Cardellini, Matt Dillon und unser Liebling Kyle MacLachlan sind in weiteren Rollen zu sehen.

Sebastian Selig: Und noch was: Mit „Good Time“ haben die Brüder Josh und Benny Safdie das Kino flirrend schön inszeniert noch einmal neu erfunden. Mit einer Dringlichkeit und visuellen Wucht wie nur ganz wenig Filme in den letzten Jahren. 2019 legen sie nun ein paar „Uncut Gems“ nach. Mit Adam Sandler in New York. Kleinganoven-Kino mit Schubladen-sprengender Besetzung, wenn auch leider wohl weitestgehend am Kino vorbei auf Netflix. Schade.

Fonzo

A Band Apart

Fonzo - Tom Hardy als Al Capone

Schönheiten außer Konkurrenz

Christoph Prenner: Jetzt haben wir ja doch wieder sehr viel Aufregendes zusammengetragen – und doch auch wieder auf Vieles verzichten müssen. Auch weil wir nicht immer genau wussten, was denn heuer tatsächlich noch fertig und entsprechend auch noch in den heimischen Kinos landen wird.

Christian Fuchs: Ein paar Risikonennungen sollten wir uns am Ende aber doch noch erlauben.

Christoph Prenner: Ich würde da ganz gern noch Greta Gerwigs „Lady Bird“-Nachfolgerfilm „Little Women“ ins Treffen führen – 25 Jahre nach der bislang letzten Aufarbeitung des Literaturklassikers (mit Winona Ryder, Kirsten Dunst und Claire Danes) werden uns diesmal Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh (yeah, schon wieder!), Meryl Streep und Laura Dern, mutmaßlich noch am Ende dieses Jahres, die dann schon in erhöhter Weihnachtsseligkeit eingestimmten Tränendrüsen ankurbeln. Und dann wären da noch einige, von uns teils auch schon vor einem Jahr herbeigesehnten kräftigen neuen Schandtaten von nicht nur bezüglich termingerechter Fertigstellungen wunderbar unberechenbaren Regie-Desperados.

Sebastian Selig: Zwingt man mich nur drei Kinofilme zu nennen, auf die ich mich 2019 noch einmal mehr als auf alle anderen freue, dann wären das zweifelsohne: „The Beach Bum“ von Harmony Korine, Paul Verhoevens Nonnensex-Drama „Benedetta“ mit Charlotte Rampling sowie natürlich Terrence Malicks neuer Film „Radegund“ über den gegen Nazis aufbegehrenden Österreicher Franz Jägerstätter. Beim Letzteren kann man vielleicht sogar schon auf eine Premiere auf der Berlinale im Februar hoffen. In Harmony Korines Nachfolgefilm zum allerschönsten Kinofilm dieses Jahrzehnts („Spring Breakers“) streichen wir mit Matthew McConaughey bekifft noch mal runter an den Strand, ehe wir mit Paul Verhoeven dann mal ein paar Tabus brechen gehen.

Christian Fuchs: OK, da treffen wir uns dann definitiv 2019, unten am Strand mit Matthew McConaughey herumlungernd. Bis dann freu ich mich auf ein funkelndes Kinojahr.

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