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Plattencover: Frau mit Minzblatt auf der Lippe

Alice Merton

Heimweh? Was ist das?

Alice Merton begeisterte mit „No Roots“ und hat nun endlich ihr Debutalbum fertig. Sie nennt es „Mint“. So frisch wie Minze klingen die Songs dann auch.

Von Eva Umbauer

Es sind nun etwas über zwei Jahre vergangen, seit Alice Merton ihren Song namens „No Roots“ veröffentlicht hat. Millionen von Klicks später und Alice hat endlich ein komplettes Album dazu gemacht. Bisher gab es ja nur ein paar weitere Songs, „Hit The Ground Running“, „Lash Out“, „Why So Serious“ und „Funny Business“. Auf dem Debutalbum „Mint“ gibt es jetzt Songs mit Titeln wie „Learn To Live“, „Speak Your Mind“ oder „I Don’t Hold A Grudge“.

Do It Yourself

Das englische „to hold a grudge against someone“ heißt so viel wie „nachtragend sein“. Zum Nachtragend-Sein hätte Alice Merton ein paar Gründe, etwa, dass sie Opernsängerin werden wollte, alle sechs Konservatorien, die sie anschrieb, sie aber ablehnten, und auch dass die großen Plattenfirmen nichts von Alice Merton hören wollten, nämlich ihren Song „No Roots“, den Alice dann selbst veröffentlichte und der noch immer verzückt.

The actual idea behind the song, for me, was very depressing. I was realizing that I didn’t have a home. I didn’t really feel at home in one place.

Millionen von Klicks und Auftritte in vielen verschiedenen Ländern, Nummer Eins in Frankreich, Auftritte bei US-Fernsehshows: Wer ist Alice Merton? Das wollten mit „No Roots“ nun alle LiebhaberInnen guter Popmusik wissen.

Plattencover: Frau mit Minzblatt auf der Lippe

Alice Merton

„Mint“ von Alice Merton ist bei ihrem Label Paper Plane Records erschienen. Der Labelname ist eine Hommage an den 2007er Hit von M.I.A. In den USA veröffentlicht Alice Merton bei Mom + Pop Records, wo etwa auch die Australierin Courtney Barnett ist.

Das Album heißt deshalb „Mint“, weil Minze das ist, was Alice Merton immer beruhigt, wenn sie nervös ist, etwa vor Auftritten: Minztee, Minzzuckerl oder einfach ein frisches Blatt Minze kauen. Cool!

Alice Merton wurde in Frankfurt am Main geboren, ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Engländer. Ihre Kindheit verbrachte Alice Merton in Kanada. Als ihre Familie nach München zog, war Alice dreizehn Jahre alt - und stinksauer. Sie weinte wochenlang, weil sie sich in München fremd fühlte.

Alice konnte nicht richtig Deutsch, verstand in der Schule den Stoff nicht so recht und fuhr auch nicht auf Klassenfahrt mit, aus Angst, dass bei ihrer Rückkehr von der Fahrt ihre Eltern nicht mehr da sein würden. Wieder umgezogen. Der Vater von Alice Merton ist Spezialist auf dem Gebiet des Bergbaus. Die Eltern Merton leben heute in England, was Alice ebenfalls als Zuhause betrachtet, aber zuallererst ist Berlin ihr Daheim und Alice Merton wechselt längst mühelos zwischen der englischen und der deutschen Sprache.

Eigensinniger Pop

In Mannheim besuchte Alice Merton die Popakademie, wo auch schon Kaliber wie Konstantin Gropper von Get Well Soon oder die Irin Wallis Bird waren. Das Wort „Pop“ mag man heute zwar meist mit Mainstreammusik mit wenig Herz und Seele verbinden, aber das muss es gewiss nicht sein. Der Pop der Alice Merton und manch anderer KünstlerInnen ist eigensinnig, im besten Sinn.

Die Musik der 80er Jahre mögen und auch den minz- bis türkisfarbenen Lidschatten dieser Ära lieben, Singer-Songwriterin sein, aber auch gern auf den Dancefloor gehen, die britische Band Franz-Ferdinand mögen und die US-Band The Killers, das alles und noch viel mehr ist Alice Merton - das „Fräuleinwunder“ ohne Wurzeln.

Alice Merton in minzgrünem Outfit

Alice Merton

Das Thema des Nicht-verwurzelt-Seins, des Nicht-verankert-Seins geht nach „No Roots“ weiter auf dem Album von Alice Merton, etwa im Piano-Song „Homesick“, in dem es heißt:

I was the new kid, I was scared of dogs and the weather, I never went on a field trip scared I would lose my mother and father. I was the new kid, I didn’t understand what’s going on.

Der erste Song auf dem Album von Alice Merton heißt „Learn To Live“: leben lernen. Eine rockige Gitarre, dazu die Textzeile „They’ve got fire, well, I’ve got lightning bolts. They keep hunting, trying to kill my hope.“ Alice Merton hat gar nicht erst versucht, „No Roots“ zu kopieren, sondern geht auf „Mint“ in verschiedene musikalische Richtungen.

Mal erinnert Alice Merton dezent an Florence & The Machine bei „Learn To Live“, mal an Lana del Rey bei „Honeymoon Heartbreak“. Weg mit dem Bass und den großen Drums, her mit dem zarten Keyboard, das ist die Ballade „Honeymoon Heartbreak“.

Von Träumen, Sehnsüchten, Ablehnung, Selbstzweifeln, davon, sich durchbeißen und stark sein zu müssen, und natürlich von den fehlenden Wurzeln singt Alice Merton. Ihr Album „Mint“ ist letztlich aber musikalisch etwas mehr Popakademie-beeinflusst als etwa von Punk, auch wenn die Songs immer wieder etwas herrlich Wildes andeuten, etwa bei „Speak Your Mind“, wo Postrock und der Shoegaze-Sound Pate standen.

Aber vielleicht ist gerade dieser Gegensatz von dunklen Texten und poppiger Musik eine ganz richtige Entscheidung von Alice Merton gewesen. Die Dynamik ist jedenfalls insgesamt eine tolle.

I don’t want to feel upset or annoyed when I’m hearing these songs, I want to take those negative feelings and put them into something positive.

P.S.: Trotz der vielen Umzüge in ihrem Leben, gibt es ein paar Orte für Alice Merton, an denen sie gerne einmal leben möchte: etwa in der - zur Zeit zwar krisengebeutelten - französischen Hauptstadt Paris, aber auch in Los Angeles oder der musikalisch sehr vitalen Stadt Portland, Oregon im etwas abgelegenen Nordwesten der USA.

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