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Teenage Dschihad: John Wrays Afghanistan-Roman „Gotteskind“

Eine 18-jährige Kalifornierin zieht aus, den Koran zu studieren. Dafür fliegt sie nach Pakistan und nimmt die Identität eines jungen Mannes an. John Wrays neuer Roman „Gotteskind“ ist mitreißend und spannender als die 2. Staffel „Serial“.

Von Maria Motter

Ausgerechnet in Afghanistan, irgendwo am Land, hat sich John Wray eingestanden, dass er kein guter Detektiv ist. John Wray ist Autor, er ist ein Meister der Geschichten und im Vorjahr war er Juror beim FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut. Für sein neues Buch wollte er den realen Fall jenes jungen Mannes recherchieren, der als „American Taliban“ traurige, doch spektakuläre Schlagzeilen gemacht hatte. Und tatsächlich hat John Wray nördlich von Kabul einen alten Mann getroffen, der sich an John Walker Lindh erinnern mochte und nebenbei bemerkte, er hätte auch von dem Mädchen gehört. Von einem Mädchen?!

Cover: Gotteskind

Rowohlt

„Gotteskind“ ist 2019 bei Rowohlt erschienen, aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Hineinlesen kann man hier.

Jetzt ist der Roman „Godsend“ unter dem deutschen Titel "Gotteskind“ erschienen und darin erzählt John Wray die fiktive Geschichte einer 18-jährigen Kalifornierin, die sich trotzig von ihren Eltern verabschiedet und ein Ziel hat: Sie will den Koran studieren. Anders als ihr Vater, der Islamstudien lehrt und doch nur die Schönheit der Schrift zu schätzen vermag, verfolgt die fiktive Hauptfigur Aden Grace Sawyer einen Glauben. Dem Vater rezitiert sie jene Sure, die für Ehebrecher bestimmt ist, und auch die Verabschiedung von ihrer alkoholkranken Mutter fällt nicht wesentlich freundlicher aus.

Mit Spekulationen über Adens Motive hält sich John Wray nicht auf und das ist der erste Kunstgriff. Auf wenigen Seiten erklärt sie sich selbst in Briefen. Nichts würde Teenagern schlimmer vorkommen als Scheinheiligkeit, stellte John Wray in einem Interview fest. „Gotteskind“ ist ein Trip in eine Radikalisierung, die man so nicht kommen sieht.

Das goldene Licht Kaliforniens und ein aufmerksamer Blick im Flughafenterminal markieren einen Abschied: „Kein Ort war so amerikanisch wie dieser. Eine leuchtend helle Leere“, heißt es über den Flughafen. Aden ist sympathisch und präsentiert sich aufs Erste als dickköpfiger Charakter. An ihrer Seite im Flugzeug ist Decker Yousafzai, der Aden selbst mit kurzgeschorenen Haaren liebt und der dem Trugschluss unterliegt, ihr Boyfriend zu sein. Und der entsetzt ist, als Aden sich ihre kleinen Brüste flach bandagiert.

Die Dynamik zwischen den beiden jungen Menschen beruht von Anfang an auf einem Ungleichgewicht. Aden ist fest entschlossen, im Mittleren Osten als Mann aufzutreten. Aus Aden Grace Sawyer wird mit wenigen Handgriffen Bruder Suleyman Al-Na’ama. Nur so kann sie in einer Koranschule aufgenommen werden. Die Blicke werden trüb und „sie meinte, die Worte zwischen den Zähnen vibrieren zu spüren“. Die Suren surren regelrecht durch diesen Roman, auch wenn man in die Gebetsverse nicht allzu viel Prophezeiung für die folgende Handlung lesen muss.

9/11 wird erst geschehen - in vier knappen Sätzen („Es gibt keinen Finanzdistrikt mehr. Kein World Trade Center. Keine Börse. Damit ist es vorbei.“). Die Hauptfigur, die sich mit einem der berühmtesten Buben der US-amerikanischen Literaturgeschichte den Nachnamen Sawyer teilt, wird in Camps das Töten trainieren.

Und wenn Aden als Suleyman von einem Ort zum nächsten entführt wird, ist man als Leser längst komplett auch dort verortet in diesen ärmlichen Behausungen im Nirgendwo. John Wray schreibt so gut. Man krabbelt frühmorgens mit Aden von einer Pritsche und ist plötzlich nur noch von Männern umgeben, deren Antriebe man ebensowenig einordnen kann wie Adens nächste Schritte. Schon die bloßen zierlichen Füße könnten sie verraten und ihr Verhängnis werden, doch auch ihr ist alles zuzutrauen.

Cover: Gotteskind

Jan Schoelzel

Wenn John Wray bald in Österreich lesen wird, könnte man ihn fragen, wieviele Stunden er den Koran gelesen hat.

In Salzburg am 4.2., in Graz am 5.2. und in Lech am 19.2.2019 stellt er seinen neuen und fünften Roman vor.

John Wray - ein Porträt mit Musiktipps von Zita Bereuter.

Eine Inspiration für Adens Crossdressing ist die Praxis „Bacha Posh“: Afghanische Eltern erziehen Mädchen von klein auf so, als wären diese Buben.

Die Anführer der islamistischen Miliz rufen Aden „unseren kleinen Mudschaheddin“, diesen „amerikanischen Teenager mit seltsamen Hocharabisch und ohne Pass“. Aber es ist Aden, die ihnen erklärt, dass dies längst nicht ihr erster Dschihad wäre. Trotz allem unbändigen Willen hat man es hier mit einem Teenager zu tun, bei dem Manipulation Verliebtheit verursacht.

„Es war jetzt leichter. Unter ihrer Trauer spürte sie ein neues Gefühl, eine Kälte oder eine Leere, eine Taubheit, wo einmal Vertrauen zu ihm gewesen war. Dass es verschwunden war, empfand sie fast als Erleichterung.“

Medrese - Koranschule. Taliban - Studenten. John Wray lässt seine Recherchen über die Gegebenheiten der Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan nicht heraushängen. Vor vier Jahren reiste er nach Afghanistan, um eine andere Geschichte für das Esquire Magazin zu recherhieren. Landschaftsbeschreibungen, präzis entwickelte Charaktere und Debatten über das, was denn unter Religion zu verstehen wäre, sind eingewoben in eine Handlung, die sich mehrfach überschlägt und bis zuletzt eine Spannung aufbaut, die andere Narrationen über vermeintliche „Gottes“-Krieger auch noch mit poetischer Anmut toppt.

Denn zugegeben: Es geht ein nervenkitzelnder Reiz aus von Erzählungen über Menschen, die in Kriegsgebieten in Gefangenschaft von Terrormilizen geraten und sich diesen anschließen. Die TV-Serien „Hatufim“ und „Homeland“ feierten Riesenerfolge. Der US-amerikanische Podcast „Serial“ unternahm in seiner zweiten Staffeln den Versuch, den Fall des US-Soldaten Bowe Berdahl aufzurollen. Wer auf solche Geschichten reinkippt, den wird John Wrays Entwicklungs- und Abenteuerroman „Gotteskind“ bestens unterhalten.

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