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Mythos Alkohol & Literatur

In ihrem autobiografischen Roman „Die Klarheit“ ergründet die US-amerikanische Autorin Leslie Jamison die charismatische Legende vom betrunkenen Genie und erzählt ihre durch die Sucht gewonnen Erkenntnisse.

Von David Pfister

„Wenn Suchtgeschichten sich von der Dunkelheit nähren, von der hypnotisierenden Spirale einer fortgesetzten, sich ausweitenden Krise, dann erscheint die Genesung oft als narrative Flaute, als glanzloses Territorium des Wohlergehens, als fader Nachklapp einer fesselnden Feuersbrunst. Aber ich wollte wissen, ob Geschichten über Genesung und Heilung nicht ebenso spannend sein konnten wie Geschichten über Zusammenbruch und Zerrüttung. Der Glaube an diese Möglichkeit war mir wichtig.“

Der 1983 geborenen Autorin Leslie Jamison war schon als Teenagerin ihr Lebensziel klar. Sie wollte trinkende Schriftstellerin werden. Sie wollte wie ein todesverachtender Hunter S. Thompson genialistisch durch die Popliteratur hetzen.

Später als sie diesen Wunsch dann erfolgreich realisiert hatte und eine junge, schreibende und alkoholkranke Frau war, tauchten Phänomene wie Essstörungen oder Hautritzen auf. Zu Beginn für sie erfreuliche Erscheinungen. Konnte Sie diese Ticks doch als weitere Beweise für ihre verletzte Seele nutzen. Nur, ihre Seele war nicht schwerwiegend verletzt. Sie war lustvoll und willentlich in eine Sucht gegangen. Natürlich spielten auch Mängel und Fragen des Selbstwerts eine Rolle, aber Leslie Jamison wollte vor allem besonders sein und im Club mitmachen.

Cover "Die Klarheit"

Hanser

„Die Klarheit“ von Leslie Jamison ist in einer Übersetzung von Kirsten Riesselmann bei Hanser Berlin erschienen.

„Meine Fähigkeit, alkoholisierte Dysfunktionalität reizvoll zu finden – und ihren Zusammenhang mit dem Genialischen zum Fetisch zu erheben war eine Folge des Privilegs, noch nie richtig gelitten zu haben.“

Leslie Jamison ist nicht wehleidig wenn sie in die „Die Klarheit“ bemerkenswert selbstkritisch und humorvoll von ihrer großen Liebe und ihrem großen Drama, dem Alkohol und der Literatur erzählt. Ihrer eigenen Geschichte stellt sie immer wieder die Suchtkrankheiten und Biografien großer saufender Schriftsteller-Ikonen gegenüber.

Wir begegnen etwa interessanten Giganten der Trink-Literatur wie Jean Rhys oder Charles Jackson. So ist Leslie Jamisons Buch, eine erweiterte Version ihrer Doktorarbeit, auch ein großer historischer und literarischer Impulsgeber.

Die Autorin seziert und dekonstruiert den großen Mythos des berauschten Genies, bis dieser Stereotyp seine Jämmerlichkeit und auch Dümmlichkeit offenbart. Gleichzeitig ist sie sich aber bewusst, dass eben diese Aspekte auch wichtige Bestandteile des Mythos des trinkenden Genius sind. Deshalb distanziert sie sich in ihrem Buch von dieser Legende auch nur bedingt und behält sich auch die Liebe zu der Darstellung menschlicher Unvollkommenheit.

„Im Laufe meines nüchternen Lebens, habe ich das unerreichbare Ideal, etwas zu sagen, das noch nie gesagt worden ist, aufgegeben.“

"Die Klarheit“ fügt der über die Jahrhunderte gewachsenen Trinker-Literatur eine außergewöhnliche, bemerkenswerte und großartig geschriebene neue Perspektive hinzu.

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