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Frage: Sind Sie Extremist oder Terrorist?

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Status mit den Nerven fertig

Seit Montag ist die App online, mit der EU-Bürger_innen in Großbritannien um „Settled Status“ ansuchen können. Ich hab sie an mir selber ausprobiert.

Von Robert Rotifer

Ich weiß es noch nicht genau, vielleicht hab ich einen Fehler gemacht. Aber falls ja, dann hab ich ihn wenigstens für euch da draußen gemacht. Oder um es einzuschränken: Für die paar zigtausend Österreicher_innen hier auf der Insel und deren Angehörige und Bekanntschaften.

Die, die es betrifft, werden es wohl schon vernommen haben, aber diese Woche ging endlich jene App online, mit der sich im UK lebende EU-Bürger_innen den offiziellen Bescheid ihrer weiteren Duldung im Post-Brexit-Königreich abholen können, den sogenannten „Settled Status“, und zwar unter Beibehaltung derselben Rechte und Pflichten wie bisher, abgesehen davon, dass jener Status nach fünf Jahren Abwesenheit erlischt. Und ja, es gab natürlich prompt Probleme...

Aber dann hielt Theresa May am selben Tag eine Rede, in der sie eine seltene Love Bomb platzen ließ: Unser „Settled Status“ wird jetzt gratis sein, und doch nicht 65 Pfund kosten, wie ursprünglich angekündigt, weil hey, da ist Theresa jetzt nicht so.

So gewinnt man sie, die „hearts and minds“, und kaum hatte die EU das vernommen, wurde im Gegenzug sofort der Irish Backstop aus dem Austrittsvertrag entfernt, und der Deal war gerettet.

Nein, dem war natürlich nicht so, aber notiert wurde sie schon, die erste nette Geste seit weiß nicht wann. Die 65 Pfund entsprechen übrigens 74 Euro und 78 Cents. Vor einer Woche wären’s noch 70 Euro gewesen. Jawohl, das Pfund steigt, die Währungsspekulant_innen reden sich offenbar gerade ein, alles werde wieder gut. Es wird letztlich nicht zu No Deal kommen, heißt es, weil das keiner will. Nennt mich einen Schwarzmaler, aber mich beunruhigen solche von Taten auffällig unbegleiteten Weisheiten eher noch mehr. Schließlich haben sie vor dem Ersten Weltkrieg dasselbe gesagt.

So, und vielleicht lag es daran, vielleicht aber auch an der SMS von unserer guten Bekannten, einer Pass-Deutschen (verheiratet mit einem Briten), die sich ihren Settled Status besorgt hatte. Und meinte, dass das ganz einfach gegangen sei. Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass ich – wie ich mir einrede – die Berufung verspürte, nicht mehr länger herumzueiern, sondern hier im Sinne des Leser_innen-Service einen öffentlichen Selbstversuch durchzuführen. So oder so, ich hab’s getan.

Wie es sich trifft, ist erwähnte gute Bekannte namens Birgit Richards ausgebildete Anwältin. Seit der Brexit an die Tür klopft, hat sie sich auf britisches Einwanderungsrecht spezialisiert und betreibt nun hier eine Beratung namens UK Immigration Clinic. Außerdem hat sie ein Telefon mit aktuellem Android-Betriebssystem und ich einen Pass mit Chip.

Das trifft sich gut, denn für alle, die das nicht haben, gibt’s keine App, sondern nur die Möglichkeit, seinen ganzen Kram, Pass und alles, per Post einzuschicken, an einem von 13 (!) dafür vorgesehenen Orten in diesem gesamten Königinnenreich seinen Pass scannen zu lassen (die lachhafte Liste hier), oder (offizieller Ratschlag!) sich von jemand anders ein Android Phone zu borgen.

Heute morgen kam also Birgit mit ihrem kompatiblen Telefon vorbei, und nach einigem nervösen Gequassel gingen wir die Sache an.

Verwirrt mit Birgit Richards

Robert Rotifer

Auf Birgits Homescreen ist ein Krönchen, so wie die Königin es hat. Damit kann man sich den Weg zu seinem Platz in ihrem „EU Exit“-Empire 2.0 buchen. Dazu muss man bloß bestätigen, dass die Regierung alle Daten, die man abgibt, nicht nur für ihre Zwecke verwenden, sondern auch an Dritte weitergeben kann. Eigentlich ein glatter Rechtsbruch (GDPR, hallo?), aber damit halten wir uns jetzt einmal nicht auf.

Smartphone Menü Settled Status App

Robert Rotifer

Zuerst ging alles ganz einfach. Man muss den Pass scannen.
Dann begann die Zauberei.

Das Telefon muss auf den Pass gelegt werden

Robert Rotifer

Das Telefon wird auf den Pass gelegt, und das Home Office checkt aus der Ferne meinen Chip (Wusste eigentlich nicht, dass ein Android das kann, und der Gedanke gefällt mir nicht wahnsinnig gut, aber soll sein. Das ist übrigens der Punkt des Verfahrens, den iPhones nicht zulassen würden...).

Chip-Erkennung geht nicht

Robert Rotifer

Hier allerdings droht der Selbstversuch bereits zu scheitern. Der Große Bruder sieht nichts, sagt er. Die wilde Entschlossenheit, auf keinen Fall die Helpline anzurufen (die ist auch alles andere als umsonst), motiviert zum mehrfachen Versuch, bis es dann irgendwann geht.

Nächster Schritt: Gesichtsscan (Gut, dass ich der Person vertrauen kann, deren Telefon ich mir gerade borge, das nur nebenbei bemerkt).

Gesichtsscan

Robert Rotifer

Weiter verifiziert durch ein Selfie.

Seflie machen

Robert Rotifer

Und die App ist mit ihren Diensten fertig, schickt mich weiter auf die Website des Home Office.

Die App sagt: Auf der Website weitermachen

Robert Rotifer

Dort wissen sie schon Bescheid und warten auf mich.

Menüpunkt: Apply to stay in the UK after it leaves the EU

Robert Rotifer

Sie sagen mir, wie lange es dauern wird: Ca. 30 Minuten zum Beantworten aller Fragen. Und solang, wie es eben braucht, bis zum Bescheid. Birgit wartete einen halben Tag.

Sie sagen mir auch, wieviel es kostet, dass ich das Geld aber bis 30. März wieder zurück krieg, weil Theresa das am Montag so versprochen hat.

How much it costs

Robert Rotifer

Bin schon gespannt, was die 65 Pfund bis dahin wert sein werden.
Aber egal.

Sie fragen mich, ob ich schon eine Permanent Residence Card besitze. Nope.

Do you have a residence card?

Robert Rotifer

Oder ein Zertifikat über unbestimmtes Aufenthaltsrecht (Indefinite Leave to Remain). Auch nope.

Have you got Indefinite Leave to Remain?

Robert Rotifer

Hätte ich eins von den beiden, würde mir dieses Ansuchen übrigens nicht erspart bleiben, es wäre bloß gratis (Was es nun sowieso sein wird. Leute, die sich die graue ILR-Karte besorgt haben, dürfen also mit Recht grantig sein)

Die Dinge, die es nun auszufüllen gibt: Name, Geburtstag, Adresse, National Insurance Number.

Und ein paar persönliche Fragen:

Frage: Sind Sie Extremist oder Terrorist?

Robert Rotifer

"Haben Sie je unterstützt, ermutigt, oder waren Sie verwickelt in

  • terroristische Aktivitäten
  • Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Genozid
  • eine extremistische Organisation"

Ich frage mich natürlich schon, was passiert, wenn man da „Yes“ oder „Save and return later“ drückt.

Frage nach Criminal Record

Robert Rotifer

Man gelangt jedenfalls vermutlich nicht vor dem Eintreffen des Sonderkommandos zur nächsten Frage:

"Wurden Sie je

  • wegen eines Verbrechens verurteilt?
  • festgenommen oder angezeigt für ein Vergehen, für das Sie vor Gericht stehen oder ein Verfahren erwarten?"

Ich durfte auch hier reinen Gewissens „No“ klicken. Dann hab ich meine Antworten noch einmal gecheckt.

Check your answers

Robert Rotifer

Eh einverstanden.
Alle Fragen waren beantwortet, alle Erfordernisse erfüllt.

Alle Kriterien erfüllt

Robert Rotifer

Und dann in Blitzeseile der erste Erfolg. Die Hürde, an der bereits so einige gescheitert sind, nämlich den regierungsinternen Datencheck, hatte ich gemeistert.

Was immer Finanzamt und Sozialversicherung an Daten über mich haben, muss bestätigt haben, dass ich die letzten 22 Jahre bzw. zumindest die letzten 5 in diesem Land verbracht hab. Im Fall von „Computer says no“ hätte ich mich mit einem „pre-settled status“ begnügen und zusätzliche Dokumente nachliefern müssen. Das kann äußerst mühsam werden.

Your application will be considered

Robert Rotifer

Ist aber nicht, denn hier steht es weiß auf blau: Sie ziehen mich in Betracht.

Nett von denen.

Unsere zwei Kinder dürfen erst einmal davon ausgehen, dass ihr Vater dableiben darf.

Und ich darf einstweilen in meinem eigenen Zuhause weiter wohnen.

Toll auch.

Aber auf die eigentliche Entscheidung, gegen die es keine ordentliche Berufung sondern nur die Chance auf einen „administrative review“ gibt, warte ich noch.
Die kommt per Email, irgendwann bald, und ja, ich hab seit dem Abschicken andauernd nachgeschaut.

Mein derzeitiger Status:

Irrational nervös.
Plötzlich wieder ziemlich depressiv.
Von Großbritannien gehörig angepisst.
Bereit, irgendwo anders hin zu gehen.

Cholerisch, sobald ich die Stimmen der ewig selben Deppen in den Nachrichten die ewig selben hohlen Phrasen dreschen höre.

Zornig, wenn ich auf meiner Twitter-Timeline lese, wie sich Corbyn-Jünger_innen darüber ins Fäustchen lachen, dass aus dem „Eitelkeitsprojekt“ der Zentrist_innen, dem Zweiten Referendum, nun offenbar doch nichts wird.

Gleichzeitig bewusst, dass das alles überhaupt gar nichts ist im Vergleich dazu, was andere Eingewanderte nicht nur in Großbritannien, sondern überall in Europa andauernd mitmachen. Ich bewundere diese Leute für ihre Geduld und ihre Würde.

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