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APA/BARBARA GINDL

Wird nach Lawinenabgängen die falsche Diskussion geführt?

Wie fast jeden Winter kommen Forderungen nach härteren Strafen für „verantwortungslose“ FreeriderInnen und TourengeherInnen auf. Heuer wird die Diskussion über Strafen besonders hitzig geführt, dabei sollte eigentlich über etwas ganz anderes geredet werden, wenn es nach Alpinexperten geht.

Von Simon Welebil

Lawinenunfälle und Lawinentote werden jedes Jahr zum großen Aufregerthema, auch weil Lawinen - im Gegensatz etwa zu Unfällen auf der Skipiste - sehr stark emotional behaftet sind. Und jedes Jahr werden in der Aufregung über Lawinentote schnell strengere Strafen für LawinenauslöserInnen oder „verantwortungslose“ TourengeherInnen oder FreeriderInnen gefordert.

Nach den großen Schneefällen Anfang Jänner ist die Diskussion um Strafen besonders hitzig geworden. Politiker wie der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und sein Stellvertreter Michael Schickhofer haben sich für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen und auf Social Media wurden Leute, die Tiefschneefotos gepostet haben, pauschal als Selbstmörder bezeichnet.

Mitleidseffekt mit den Rettern

Dass diese Diskussion so emotional geworden ist, erklärt sich Michael Larcher, Leiter der Abteilung Bergsport beim Österreichischen Alpenverein, dadurch, dass sie durch einen Mitleidseffekt mit den Bergrettern aufgebauscht worden sei, „die unter Lebensgefahr die ‚Idioten‘ - ich zitiere die Kronenzeitung - retten müssen“. Dieses „schreckliche Bild“ würde aber nicht der Wirklichkeit entsprechen, denn bei der Bergrettung gehe bei jedem Rettungseinsatz zuerst immer die eigene Sicherheit vor. Und unabhängig davon wüssten die Bergretter, dass man am Berg auch Fehler machen könne und auch bei Fehlverhalten ein Recht auf Rettung hätte, wie etwa auch die Bergrettung Steiermark in einer Aussendung bestätigt.

Unterschiedliche Erfahrungshorizonte

Auch Wolfgang Diethard hat die Argumentation, dass die Bergrettung ein Fehlverhalten von SkitourengeherInnen büßen müsste, in den letzten Wochen oft genug mitbekommen. Er ist Administrator der Facebook-Gruppe Skitouren Forum Steiermark, in der über 6.000 Mitglieder normalerweise Likes abstauben, wenn sie Skitoureninfos und -fotos posten. Nach den großen Schneefällen im Jänner ist der Ton in der Gruppe allerdings recht rau geworden. User, die Tiefschneebilder gepostet haben, sind von anderen pauschal als Selbstmörder beschimpft worden, was ihn zum Eingreifen gebracht hat.

Screenshot eines Facebook-Postings

Facebook-Screenshot

Dass die Diskussion sogar unter Tourengehern ausgeartet ist, erklärt sich Diethard mit unterschiedlicher Tourenerfahrung und Lawinenwissen in der Gruppe. Anfänger ohne die entsprechende Ausbildung hätten es schwer, Touren einzuschätzen, die von erfahrenen AlpinistInnen gemacht würden. Und diese Differenzen würden oft nicht sachlich ausdiskutiert, sondern enden stattdessen in Anschuldigungen und Beschimpfungen: „Bei Facebook ist es leider so, dass es in unserem Fall ein 6.000 Menschen großer Stammtisch ist, an dem manche ihr Herz auf der Zunge tragen und entsprechende Kommentare raushauen.“

Die Möglichkeit zu strafen existiert bereits

Die Heftigkeit der Diskussion um Lawinenabgänge ist nachvollziehbar, ihre Forderung nach höheren Strafen für „verantwortungslose“ FreeriderInnen und TourengeherInnen sieht Michael Larcher vom Alpenverein aber als populistisch und als Anlassgesetzgebung. Denn die gesetzlichen Grundlagen für Strafen gäbe es jetzt schon. Unter dem Strafbestand der „Gemeingefährdung“ kann bereits jetzt jemand, der andere Menschen in Gefahr bringt - und nicht erst, wenn sie verletzt werden - mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden.

Außerdem müsse nach Michael Larcher auch die Verhältnismäßigkeit in die Diskussion miteinbeziehen. Trotz einer sehr heiklen Lawinensituation über ganz Österreich sei die Unfallbilanz bescheiden geblieben. Die Sicherungsmaßnahmen hätten da ganz gut gegriffen.

Chancen statt Strafen

Auch vor diesem Hintergrund sieht Michael Larcher die falsche Diskussion geführt. Statt über Strafen sollte man über Chancen reden, die der Bergsport bietet, etwa die Eigenverantwortung zu stärken. „Der eigenverantwortliche Umgang mit Risiken ist ein riesiges Defizit in unserer Gesellschaft,“ sagt Larcher. Man müsse froh sein, dass es Bereiche in unserer Gesellschaft gebe, wie etwa den Bergsport, in denen man eigenverantwortliches Handeln lernen könne.

Skitourengruppe

ÖAV - Norbert Freudenthaler

Eigenverantwortliches Handeln erfordert natürlich auch Wissen über die Gefahren, die einem begegnen können, und die Nachfrage nach solch einem Wissen ist überaus groß, wie Michael Larcher in den letzten Wochen selbst erfahren hat. In ganz Österreich hat er seit letztem November 22 Theorievorträge zu Lawinengefahren gehalten, sogenannte Lawinen Updates, die sehr gut besucht waren. In Wien war etwa nicht nur der eigentliche Vortrag, sondern auch ein extra anberaumter Zusatztermin mit jeweils hunderten Interessieren ausgebucht. Dass die Androhung von Strafen Menschen dazu gebracht hat, diese Veranstaltung zu besuchen und ihr Lawinenwissen zu vertiefen, ist eher unwahrscheinlich.

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