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"Green Book"

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My Fair Tony

Ein altmodischer, nach dem Oscar schielender Film, der die rassistische Geschichte der USA verflacht und der, was schwarze Figuren im Hollywood-Film angeht, ein Schritt zurück ist. „Green Book“ kann leider auch nicht von Mahershala Ali und Viggo Mortensen gerettet werden. Traniges Besänftigungskino.

Von Pia Reiser

Ganz oben auf Hollywoods Prioritätenliste steht seit Jahrzehnten die Wertschätzung des Stereotyp des Italo-Amerikaners. Diese Figuren, die gerne Frankie Fourfingers oder Tony Knuckles heißen, tragen weiße Unterhemden, sind Strizzis mit goldenem Ketterl und goldenem Herz. In einem Film braucht so eine Figur im Grunde nur durchs Bild zu gehen und an einer Zigarette zu ziehen und wir wissen, in was für einer Geschichte wir uns befinden. Tony Vallelonga, gespielt von Viggo Mortensen, ist so ein Bronx-Strizzi, Anfang der 1960er Jahre. Familienvater, Rausschmeißer in einem Club - und Rassist.

Als zwei schwarze Arbeiter in seinem Haus etwas trinken, schmeißt er die Gläser weg. Doch auch im Jahr 2019 funktioniert eine weiße, rassistische Hauptfigur als Identifikationsfigur für eine oscarnominierte Hollywood-Produktion - unter anderem deshalb, weil Tony eben zu jener etablierten und von der Filmgeschichte geliebten Personengruppe der Italian-Americans gehört und, weil natürlich im Lauf des Films eine Portion Hirn- und Herzensbildung passiert, auch das ein Liebling des Hollywood-Narrativs.

szenenbilder aus "Green Book"

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Tony soll als Fahrer einen schwarzen klassischen Konzertpianisten bei seiner Tour durch den Süden der USA begleiten. In New York ist dieser Don Shirley ein gefeierter Mann, der über der Carniege Hall wohnt und auch dort auftritt. Und die Italo-Amerikaner sind zwar rassistisch, doch sind sich ihres Verhaltens immerhin soweit bewusst, dass sie diese Äußerungen in Gegenwart von Schwarzen auf italienisch kundtun. Das kann man von den Menschen, die im Süden der USA leben nicht erwarten und nicht nur deswegen, weil hier wohl keine italienisch spricht.

Es ist die Ära der Segregation, die Plattenfirma drückt vor der Abfahrt Tony noch das titelgebende „Green Book“ in die Hand, ein kleines Büchlein, in dem Motels aufgeführt werden, in denen man als Schwarzer absteigen kann - und das Gegenden nennt, um die man lieber einen ganz großen Bogen machen sollte. Dieses Büchlein hat es tatsächlich gegeben.

Der dauerrendende, fluchende, rauchende Tony aus der Bronx und Don Shirley, das musikalische Genie und Doktor der Musik und Liturgie, ein weltgewandter Mann, der stets wie aus dem Ei gepellt ist sind Gegensätze, wie das klassische Hollywoodkino sie lebt. Das alte „Pygmalion“-Prinzip, wo synergetisch Herzensbildung gegen Bildung ausgetauscht wird, bis alles in ein harmonisches Happy End übergehen kann und jeder zu einem zumindest ein bisschen besseren Menschen geworden ist. Eliza Doolittle und Henry Higgins in einem umgedrehten „Driving Miss Daisy“-Szenario, das in der Vergangenheit spielt und auf einer wahren Geschichte beruht. Klingt nach einem Film, den die alte AMPAS-Riege lieben müsste, die Familie des Pianisten Don Shirley allerdings nennt „Green Book“ „a symphony of lies“. Im Film ist Don ein der Welt entrückt wirkender Mann, der keinen Kontakt zu seiner Familie hat und auch keine Anknüpfungspunkte an die „black culture“ oder halt das, was der Film als „black culture“ definiert, hat. Tony versteht die Welt nicht mehr, als er einen schwarzen Mann trifft, der klassische Musik spielt, aber Little Richard und Aretha Franklin nicht kennt oder noch nie im Leben fried chicken gegessen hat.

szenenbilder aus "Green Book"

Centfox

Ein schwarzer Konzertpianist, ein musikalisches Wunderkind, der in den 1960er Jahren durch den Süden der USA reist, wo er zwar in den stattlichen Anwesen von Weißen Konzerte geben, nicht aber deren Toilette benutzen darf, wäre ja an sich schon Stoff genug für ein Biopic. Doch „Green Book“ interessiert sich für Don Shirley gar nicht wirklich, im Zentrum der Geschichte steht vielmehr Tony, ihm widmet der Film eine ausführliche Einführunsgeschichte, während Don ein Enigma bleibt.

Im Grunde ist Don Shirley in „Green Book“ ein weiteres Beispiel für den Stereotyp des „Magical N*“, eine Figur, die in Hollywoodfilmen einem Weißen hilft, ein Problem zu lösen (schlimmstes Beispiel dafür: „The Legend of Bagger Vance“). Aber auch die Tatsache, dass Don Shirley während er durch einen Teil des Landes reist, wo er in eigenen Motels schlafen muss und wo Gewalt und Diskriminierung zum Alltag gehören, sich drum kümmern muss, Tony zu einem besseren Menschen zu erziehen, ist an der Grenze zur Farce.

szenenbilder aus "Green Book"

Centfox

Die Politik der Segregation ist zwar Teil der Handlung, doch es wird abgeflacht und verdünnt erzählt und kaum ist etwas Schreckliches passiert, sitzen Tony und Don auch schon wieder in dem schicken Auto, es ertönt Fingerschnipp-Soundtrack und sie erfreuen sich an der Schönheit der Landschaft. Einem selbst wird irgendwann bei soviel besänftigendem Narrativ, das dann auch noch auf ein Happy End am Weihnachtsabend zusteuert, doch ein bisschen schlecht.

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