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Der Spuk in deinem Kopf

Um sich zu gruseln, braucht es kein verhextes Schloss, in diesem Fall sogar nur die eigene Wohnung. Mit „Geistergeschichte“ veröffentlicht Laura Freudenthaler ihren neuen Roman.

Von Lisa Schneider

Als Mr. Hiram B. Otis, der amerikanische Gesandte, Schloß Canterville kaufte, sagte ihm ein jeder, daß er sehr töricht daran täte, da dieses Schloß ohne Zweifel verwünscht sei.“ So der Beginn des ersten Kapitels von Oscar Wildes „Das Gespenst von Canterville“, eine der vielleicht klassischsten Geistergeschichten überhaupt. Verfluchtes Schloss, düstere Stimmung, Nacht, das große Gruseln - so die Eckpunkte.

Laura Freudenthaler nennt ihren neuen Roman ebenfalls „Geistergeschichte“ - klopft dem Begriff aber den Staub des Antiquarischen ab, und setzt ihn in einen modernen Zusammenhang. Ob alt oder neu: „Ich glaube, dass die Geistergeschichte davon lebt, dass die Wahrnehmung einer Figur in Frage gestellt wird“, erzählt sie im Interview.

Zeitgenössisches Gruseln

Der Roman spielt im Wien der Gegenwart, in einer Wohnung, in der ein verheiratetes Paar seit 20 Jahren gemeinsam lebt. Anne stammt ursprünglich aus Frankreich, ist Klavierlehrerin und nimmt sich ein Jahr Auszeit vom Beruf, um ein Lehrbuch zu verfassen. Ihr Mann Thomas hat eine Affäre mit einer Jüngeren.

Lesung

Am 12.2. liest Laura Freudenthaler aus ihrem zweiten Roman „Geistergeschichte“ in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien.

Am 19.2. gibt es eine Lesung im Literaturhaus Salzburg.

Es geschehen seltsame Dinge in der gemeinsamen Wohnung. Der Zahnputzbecher fällt scheinbar ohne fremdes Zutun zu Boden, auch die Zahnbürste liegt nicht mehr an der Stelle, an der Anne sie zurückgelassen hat. All das schreibt Anne der Geliebten ihres Mannes zu, die - wie ein Geist - durch die Wohnung spukt: "Schnell hebt sie die Hand zum Schalter und macht die Deckenlampe im Vorzimmer aus. Nun brennt nirgends in der Wohnung mehr Licht. Das Mädchen ist noch da, ein Nachbild auf ihrer Netzhaut, eine Einbildung, die sich langsam verflüchtigt.

Die Grenzen zwischen dem, was tatsächlich passiert und dem, was Anne begreift, verschwimmen. Sie verliert die Kontrolle. „An das Huschen in den Augenwinkeln hat sie sich gewöhnt, manchmal erschrickt sie trotzdem, wenn in dem Moment, da sie den Mantel aufhängt, etwas durch die offene Tür ins Wohnzimmer verschwindet. Oder wenn sie sich umwendet und ihr ist, als sei die Tür zu Thomas’ Zimmer eben noch offen gewesen und eilig geschlossen worden.

Der Geist dringt in Annes Ehe ein, und zerstört somit ihre intimste Beziehung. Der Raum zwischen ihr und ihrem Mann wird immer größer: „Zwar kann das Mädchen nur Geräusche erzeugen, von denen im nächsten Augenblick schon ungewiss ist, ob man sie tatsächlich vernommen hat, doch auch Thomas’ Geräusche werden immer mehr zu solchen.“

Keine Sicherheit mehr, nirgends

Der Geist dringt also auch ein in Annes intimsten Raum, ihr Zuhause. Das Un-Heimliche daran ist, dass er sie dort heimsucht, wo sie sich sonst sicher fühlt. Anne verlässt deshalb immer öfter die Wohnung, geht nach draußen, auf die Straße, in Kaffeehäuser.

Cover "Geistergeschichte" von Laura Freudenthaler

Droschl

„Geistergeschichte“ von Laura Freudenthaler erscheint im Literaturverlag Droschl.

Auch dort findet sie keine Ruhe, fühlt sich abgestoßen, hat keine Funktion mehr, weil sie ja auch nicht mehr berufstätig ist: „An manchen Tagen scheint sie nur zurück zur Wohnung zu gelangen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel sie dorthin bringt. Sie steigt dann irgendwo in einen Bus oder eine U-Bahn. Am Weg von der Station zur Wohnung stellt sie fest, dass ihr auch die üblichen Wege manchmal unvertraut werden.“

Der Roman ist eine vielschichtige Erzählung über verschiedene Formen von Einsamkeit: In Annes Ehe gibt es keine Gespräche, keine Berührungen, keinen Austausch mehr. Im ihr immer noch fremden Wien findet sie keinen Anhaltspunkt. Auch ihr Dasein als Frau eines bestimmten Alters - Ende 50 - spielt hier eine große Rolle.

Einsamkeit hat Laura Freudenthaler schon in ihrem vorhergehenden Roman „Die Königin schweigt“ zum zentralen Thema gemacht - jetzt beschreibt sie die zahlreichen Variationen menschlicher Isolation.

Der Kunstgriff am Schluss

Auch wenn in Laura Freudenthalers „Geistergeschichte“ Anne, ihr Ausschluss aus der Gesellschaft und ihr zunehmender Identitätsverlust im Mittelpunkt stehen, wird hier nicht einfach die Gefühlswelt einer Person geschildert. Es sind nicht Annes Gedanken, die einen schaudern lassen, sondern empirisch nachweisbare Phänomene - der Kleiderschrank wurde von irgendjemandem zerwühlt!

Weil aber die Protagonistin, der man wie in einen Sog gezogen über die Seiten folgt, nicht mehr zwischen Realität und Phantasie unterscheiden kann, kann man es als Leser der Geschichte auch nicht länger. Und das ist das eigentlich Schaurige.

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