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Michel Houllebecq

APA/AFP/dpa/Boris Roessler

Verpanzerung, Verbitterung, Stagnation

Eine ganz persönliche Abrechnung eines Ex-Fans von Autor Michel Houellebecq mit seinem aktuellen Beststeller „Serotonin“.

Von Christian Fuchs

Hach Michel, was soll ich nun zu deinem aktuellen Buch sagen, durch das ich mich jetzt endlich durchgequält habe? Warum kann ich über die Lobeshymnen im Feuilleton nur den Kopf schütteln? Wieso verstehe ich die omnipräsente Begeisterung über „Serotonin“ nicht?

Vielleicht gehe ich kurz zu den Anfängen unserer kleinen literarischen Beziehung zurück. Deine früheren Werke faszinierten und bestürzten Anfang der Nullerjahre durch ihren Mut zur Niedertracht, ihrem Bekenntnis zur Depression, ihrem Abfeiern der niedrigsten Instinkte. Du hast in einigen verstörend guten Romanen die ungeheure Macht der Sexualität und der Ökonomie gleichermaßen beschrieben und verknüpft.

Deinen mittelalten Protagonisten entglitt gleichermaßen die Erotik wie der wirtschaftliche Wohlstand, männliche, weiße Modernisierungsverlierer in einer sich ausweitenden gesellschaftlichen Kampfzone waren sie allesamt. Ihre geheimen Gedanken, die unter den Fassaden des gesellschaftlichen Funktionierens verborgen waren, bildeten das Zentrum deiner Bücher voller grausamer Wahrheiten.

Michel Houellebeqs Roman "Serotonin"

Dumont Verlag

Michel Houellebecqs „Serotonin“ ist in der Übersetzung von Stephan Kleiner bei Dumont erschienen. Thomas Edlinger hat hier auch schon seine Meinung dazu kundgetan.

Tabubrüche gegen die Tristesse

Jetzt ist aber inzwischen etwas passiert. Die Änderung der politischen Gesamtsituation und die Allgegenwart des Internets führten dazu, dass viele Masken des Alltags gefallen sind. Die westliche Wirklichkeit besteht jetzt aus Armeen von Houellebecq-Figuren, die zu ihren dumpfen Gehässigkeiten, ihrem Sozialdarwinismus und ihrer als Schwermut getarnten Mimimi-Haltung offen und sogar stolz stehen. Trolle, Incels, orientierungslose Ex-Testosteron-Protze und soziophobe Einzelgänger bilden heute Kernwählerschichten und gehören zum rechten Mainstream.

Während deine schreibenden KollegInnen Sibylle Berg, Heinz Strunk und Matias Faldbakken - um nur drei ChronistInnen einer maroden Zivilisation zu nennen - auf diese Veränderungen in der Welt reagierten, mit wahlweise comichafter Zuspitzung, neu entdeckter Zurückhaltung oder gar Empathie, trittst du auf der Stelle, Michel.

Viel schlimmer noch: Du hast, wie „Die Zeit“ neulich feststellte, längst jede Trennlinie zwischen dem sexistischen, reaktionären, muffigen Personal deiner Bücher hinter dir gelassen und genießt die absolute Verschmelzung mit deren Denken in deinen diversen Interviews: Gegen die EU und moderne Geschlechtermodelle, für Nationalismus, Trump und das Recht auf Rauchen seid ihr beide, die Kunstfigur und der echte Houellebecq.

All das macht die Lektüre von „Serotonin“ so ermüdend. Schon wieder einem dieser durchschnittlich kaputten Kerle auf dem Weg in den unaufhaltsamen Untergang folgen zu müssen, noch dazu einer ausgesprochen fadgasigen Variante deiner bisherigen Macho-Melancholiker, ist echt eine Prüfung. Damit die Reise in das große schwarze Nichts nicht völlig in der Belanglosigkeit verschwimmt, peppst du erwartungsgemäß die Tristesse (Depression, Impotenz, Apathie) mit Tabubrüchen auf. Es gibt Zoophilie, Pädophilie, Waffenfetischismus und geplante Morde an Kleinkindern.

Das erinnert übrigens an den Regisseur Lars von Trier und seinen letzten Film „The House That Jack Built“, noch so einen Ex-Helden meinerseits, der sich künstlerisch im Kreis dreht. Und der mit 62, im exakt selben Alter wie du Michel, genau jene dämlich-provokativen Klischees umarmt, gegen die ich ihn Jahrzehnte lang in Schutz genommen habe.

Vielleicht wird es Zeit, sich von gewissen reiferen Männern in der Kulturproduktion zu verabschieden. Während ein 61-jähriger Nick Cave etwa auf seinem Blog zur klugen, berührenden und humorvollen Höchstform aufläuft, verpanzern andere sich, verbittern und stagnieren. Sorry, aber du bist gemeint, Michel.

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