Keine Zukunftsgeilheit mehr auf der Transmediale
Von Felix Knoke
„Was bewegt Dich?“ Nach drei Tagen Meditation über eines der Mottos der Transmediale ist meine Antwort noch immer dieselbe wie am ersten Tag: Nicht diese Transmediale. Im Berliner Haus der Kulturen der Welt und den (von mir nicht besuchten) Satellitenveranstaltungen in der ganzen Stadt sollte es darum gehen, „wie Gefühle in Objekte technologischen Designs gemacht werden“ und „welche Rolle Emotionen und Empathie in der digitalen Kultur“ spielen. Ich fand die Frage so spannend: Was sind die affektiven Infrastrukturen und Architekturen, die durch, mithilfe und entgegen der digitalen Systeme auf uns einwirken, unser (politisches) Handeln bestimmen und unsere Beziehungen regulieren.
Aber dafür, dass es um Affekte gehen sollte, war für mich die ganze Veranstaltung ungewohnt steril und wenig mutig. Dabei wollten die VeranstalterInnen doch mit ihrem neuen, offenen Konzept der großen Gemeinschaftsflächen (statt Kleingruppenarbeit) der Affektarbeit entgegen kommen. Anstatt der düsteren, geheimnisvollen, fast schon verschwörerischen Laboratmosphäre der letzten Male, die für mich war wie ein Eintauchen in die dunkle Nacht der Theorie, kam ich mir manchmal vor wie in einer Reha-Anstalt für Gegenwartsbeschädigte. Hier wurden keine Ideen und Praktiken am zerfasernden Rand einer neuen Welt erforscht, sondern es ging es vor allem um die Reaktion auf eine als gefährlich und von einem Außen aufgedrängte Welt technologischer Fernsteuerung. Und ich weiß nicht, was es bedeutet – aber es bedeutet etwas: Am ersten Tag vergingen sechs Stunden, bis ich zum ersten Mal das Wort „Internet“ hörte!
Liebe und Spiritualität, Atemübungen und Opfer-Selbstidentifikation
Bei der Transmediale 2019 wurde vor allem ein Mangel verhandelt und nicht die Beschleunigung in spekulative Zukünfte, von der ich mich in den letzten Jahren gerne hab mitreißen lassen. Mangel und Angst, Überforderung und Vereinsamung waren die Themen. Und der Umgang mit algorithmischer Beeinflussung und medial-moderierter affektiver Systeme lief nicht auf Aufrufe zur Umarmung und Nutzbarmachung hinaus, sondern wurde entweder als Diagnose oder – noch schlimmer und überflüssiger – als Aufruf zur Rückbesinnung aufs authentische Menschsein verarbeitet. Sogar Solidarität wurde auf „sich kümmern“ verkürzt.
Statt Immaterialität und Virtualität, Körper-zurück-Lassen und Experimente im luftleeren Raum, schien es eher um die Festigung der letzten Sicherheiten zu gehen: Rette sich wer kann und wir müssen alle zusammenhalten, damit noch etwas von uns als ganz altmodische Menschen übrig bleibt. Wie traurig! Zumal es auch theoretisch viel, viel weniger geil-schwurbelig war als in der Vergangenheit, als es noch um Zukunft (oder Zukunftshaftigkeit) ging und nicht um die blöde Gegenwart. Extreme Nowness, aber total langweilig.
Der Körper als Festung gegen das digitale System
In manchen Situationen, zum Beispiel den zwei (für mich nicht sonderlich ergiebigen) Workshop-Ergebnispräsentationen, kam mir das geradezu regressiv vor. Eine Atemübung, um den Körper spüren – um sich von der Maschine zu entkoppeln, um nicht in ihr aufzugehen? Wurde hier Affekt als dem Menschen vorbehalten und damit einzig authentische Handlungsmöglichkeit gezeigt? Für mich war diese Transmediale nicht subversiv, noch nicht mal im subkulturellen Sinne. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass die Transmediale hintendran ist: Strategien der Absicherung statt Hinauswagen in den Raum gefährlicher Möglichkeiten. Der Körper als Festung, die gegen die Übergriffe eines gegen uns gerichteten digitalen Systems geschützt werden müsse. Wo sind die KritikerInnen mit ihrer Zukunftsgeilheit, die solche regressiven Ansätze am nächsten Router aufgehängt hätten.
Aber trotz aller Kritik: Auch auf dieser Transmediale gab es natürlich die vielen tollen Momente und Möglichkeiten des intellektuellen Irrlichterns. Mir gefiel Jeremy Gilberts Aufruf gegen das zelebrierte Leiden: Nicht die gemeinsame Identität oder ein Gefühl von Opfersein mobilisiert, sondern das Wissen um das geteilte Potenzial: „Man radikalisiert sich, wenn man das Gefühl hat, sich selbst befreien zu können.“ Ich hätte es spannend gefunden, wäre (wie früher!) mehr auf die Möglichkeiten eingegangen worden, wie man die technologischen und technischen affektiven Infrastrukturen dazu nutzen könnte, um neue affektive Modi und Gefühle zu entwickeln.
Aber so etwas passierte hier eher am Rande oder als Publikumseinwurf: Berlin zum Beispiel sei ja deshalb so interessant, weil es ein Ort verschiedener affektiver Infrastrukturen sei. So seien die hiesigen Clubs ja transgressive Orte – und ich dachte mir dazu: In denen neue Möglichkeiten des Fühlens und sich emotional mit anderen zu solidarisieren oder wenigstens Verbindung zu finden, möglich sind. Es ist ja eben nicht so, dass die Facebooks und Googles die einzigen affektiven Infrastrukturen sind. Ich glaube nicht einmal, dass sie irgendwie dominant wären, auch wenn das gerne behauptet wird.
Scheitern für die Befreiung
Ein bisschen den Geist der früheren, aufgeweckteren, mutigeren Transmedialen entdeckte ich in einem Vortrag, in dem allen Ernstes gefordert wurde, dass man nicht nur die Maschinen menschlicher machen solle (was derzeit alle tun und befürchten), sondern dass man den Menschen maschineller machen könnte, um ihn so von dem Performance-Druck zu befreien, authentisch, lebendig, teilnehmend und selbstbewusst sein zu müssen.
Vielleicht ist es eine Alterserscheinung, aber wirklich berührt war ich nur bei einer Performance des franko-belgischen Bastel- und Technozauberers Julien Maire, die wirklich und katastrophal und umfassend scheiterte. Nichts funktionierte und zwar auf eine so katastrophale und umfassende Art, dass ich dachte, es sei Absicht. Die zuvor als Monster beschworene, uns überrumpelnde, Handlungsfähigkeit beraubende und entmenschlichende Technik, wurde hier als Phantasma entlarvt. Der restlos überforderte Maire, die kleinen Zaubertricks, die nicht wollten, die ganze Katastrophe – aber als die Show vorbei war und alle Ehrfurcht vor der Technik zerschlagen und unmöglich, breitete sich Liebe aus: Maire wurde mit einem langen Applaus geherzt. Das hatte mich bewegt.
Publiziert am 04.02.2019