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Aktueller Musiktitel:

Methyl Ethel

Xan Thorrhoea

fm4 artist of the week

„You can call me pretentious“

Endlich wieder ein bisschen mehr Überheblichkeit. Methyl Ethel sind mit ihrem dritten Album „Triage“ und ihrem feinteiligen, wunderbaren Psychrock unsere FM4 Artists Of The Week.

Von Lisa Schneider

„Wunderbar“ steht bei der aus Perth, Australien stammenden Band Methyl Ethel nicht etwa für „herausragend gut“ - obwohl auch das zutreffen würde. Es steht für die Vielschichtigkeit der Musik, die sich ähnlich einer Zwiebel weiter und weiter abschält zu einer immer noch überraschenderen Stelle. Musik, die im Ohr weiterwächst.

Nur so kann ich mir erklären, dass der fiebrige, dramatisch inszenierte Chamberpop der Single „Scream Whole“ erst nach mehrwöchigem Hören in meiner aktuellen Top-10-Playlist gelandet ist. Vielleicht hat sich aber auch einfach der für Methyl Ethel maßstäbliche Ohrwurm „Ubu“ in meinem Kopf festgesetzt. Der Song, der statt eines Refrains mit einer 48-fachen Wiederholung der Phrase „Why did you (have to go and) cut your hair“ durchkommt. Der zeigt, wie gewissenhaft Jake Webb, der als Songschreiber und Produzent alle Fäden zieht, nur scheinbar plakative Popsongs konstruiert: Die Wiederholung wird zum Motiv, und das Motiv gräbt sich in die Gehörgänge. (Der Song war damals auch ein FM4 Song zum Sonntag.)

„Dream-Pop for Insomniacs“

„Ubu“ war 2017 der erste große, auch internationale Erfolg von Methyl Ethel. Und auch, wenn der Rest der Welt noch immer überlegt, wie man diesen herrlichen Zungenbrecher von einem Bandnamen richtig ausspricht, gibt’s Methyl Ethel schon seit 2013. Hervorgegangen aus dem Soloprojekt von Jake Webb, erscheint 2016 am verlässlichen englischen Label 4AD das Debütalbum „On Inhuman Spectacle“. 2017 folgt das zweite, es heißt „Everything Is Forgotten“. „Spooky Psychedelic Rock“ titelt damals NME, am schönsten aber The Irish Times mit „Dream-Pop for Insomniacs“.

Auch Album Nummer drei hat Jake Webb, der sich selbst als „a little bit of a control freak“ bezeichnet, wieder in völliger Eigenregie geschrieben, aufgenommen und produziert - unterstützt nur in letzter Instanz von Soundwizard Marta Salogni (Björk, M.I.A., Alex Cameron).

Cover "Triage" von Methyl Ethel

4AD

„Triage“ von Methyl Ethel erscheint via 4AD.

Jakes Webbs intensives Falsett ist eine der eindringlichsten Stimmen der gesamten australischen Westküste; die von ihr besungenen Inhalte waren bis jetzt immer an größeren, übergreifenderen Themen orientiert als nur an der eigenen Sinnsuche. Besagter Song „Ubu“ etwa verhandelt nicht nur Jake Webbs Vorliebe für die uneinordenbare amerikanische Rockband Pere Ubu, sondern gräbt tiefer und geht dem gleichnamigen Theaterstück von Alfred Jarry nach. Ein großer, grober Spaß, die Geschichte des Königs Ubu, einer Figur zwischen Hanswurst und Massenmörder, die für viele als die Geburtsstunde des Modernen Theaters gilt.

You might be hearing one thing, but the title directs you in another direction, suggesting something else, so it scrambles your preconceptions of what the song may be about.“ Die oft in die Irre führenden Songtitel streicht Jake Webb am neuen Album „Triage“, auch dem Wunsch entsprechend, diesmal mehr von sich selbst zu erzählen.

Extrovertierter in Inhalt und Musik

„That’s a kind of shining a different light on what was songs steming from personal experience“. Die persönlichere Herangehensweise greift von den Texten auf die Musik über. Wenig ist zugänglicher als ein guter Popsong; auf „All The Elements“ etwa gibt’s sogar einen kleinen Arcade-Fire-Moment.

Ungewohnt geradlinig kommt auch „Real Tight“ daher, „unashamed“, wie Webb selbst sagt, im Inhalt wie auch in der musikalischen Uptempo-Umsetzung. Es blubbert, vibriert, aber ganz geschmeidig, wenn er singt „I don’t want to be left behind“. Er tanzt sogar im Video - schon wieder eine Überraschung.

Immer öfter schleicht sich ein „Ich“ hinein in die Songs, das die herumirrenden Figuren früherer Texte ersetzt. „I’m just a child“ singt Jake Webb am zappelnden Album-Opener „Ruiner“ - in seiner Art, einen Refrain durch ein chorgeleitetes Motiv zu ersetzen, ganz in „Ubu“-Nachfolge. Die Kindheit ist ein Thema, das auf „Triage“ oft angesprochen wird; die Entwicklung der Person, zu der man geworden ist, oder die Entwicklung der Beziehungen, die man geführt hat.

„I got a voltage that’s running high / I can barely close my eyes“, so eine Zeile aus dem zurückgelehnten Disko-Ausflug „Trip The Mains“: Aufgekratzt wie eh und je, ein Künstler, der nicht stillsitzen kann, das ist Jake Webb. Seinen Gefühlen von Angst und Isolation, seinen Gedanken zu Existenzialismus und Liebe, vor allem aber Einsamkeit lässt er hier freien Lauf: „It’s easy to see / you’re slipping away from me“. Mit Sätzen wie diesen, die Jake Webb zwischen abstrakt formulierte Verse streut, unterstreicht er den auch musikalischen Anspruch, sein bis jetzt zugänglichstes Album zu schreiben.

Überheblichkeit hin oder her

In einer Popwelt, in der Songs regieren, in denen ganz offen gesagt wird, wie sehr daneben sich die Exfreundin benommen hat („My mum don’t like you and she likes everyone“, Justin Bieber), oder wie schnell man sich von Beziehung zu Beziehung hantelt („thank u, next“, Ariana Grande) ist es schön, mit Methyl Ethel ein bisschen tiefer zu gehen, nachzudenken, den doppelten Boden zu suchen.

Es muss dabei nicht alles ausgesprochen - oder erklärt werden.

"I found that some people find it offensive to dare intelligence as if it’s an affront to them. „You should just be more direct“, they say, „who you’re trying to prove?" I’ve been called pretentious, which I wear with a little bit of pride. I am pretentious, but the difference is, that I think that it means that there is a meaning behind what you do - and there is a lot of meaning behind my choices.“

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