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Das war der Protestsongcontest 2019

Beim fünften Antritt hat es geklappt: Die Liedermacherin Sigrid Horn gewinnt das Finale des Protestsongcontests.

Von Daniela Derntl

So knapp war es noch nie. Letztendlich hat das Publikum die Mostviertler Liedermacherin Sigrid Horn mit nur einem Punkt Vorsprung zur Siegerin gekürt! Ex aequo auf Platz Zwei landeten Lisa Jäger & Band und die all-female-Rap-Formation Mag-D x Ms Def x Yasmo x Lady Ill-Ya x Bella Diablo x Misses U. So viele Frauen auf den ersten drei Plätzen, auch das gab es noch nie in einem Protestsongcontest-Finale.

Sigrid Horn gewinnt den Protestsongcontest

Seit 15 Jahren ist der Protestsongcontest ein Megafon für Gesellschaftskritik; ein Radar, das aufzeigt, welche Themen den Musikschaffenden unter den Nägeln brennen. Der musikalische Schlagabtausch findet jedes Jahr am 12. Februar, im Gedenken an den österreichischen Bürgerkrieg 1934, im Rabenhoftheater statt.

Eröffnet wurde der Abend stimmungsvoll wie immer durch den Österreichischen Arbeitersängerbund mit den Revolutions-Liedern „Bella Ciao“ und „Arbeiter von Wien“. Der Schauspieler Michael „Immer Zeit für ein Selfie oder eine Insta-Story“ Ostrowski führte bereits zum sechsten Mal souverän und schlagfertig durch den langen Abend. Protestiert wurde heuer vor allem gegen umweltpolitische Themen wie Schottergärten, die Lobau-Autobahn, SUVs, Zersiedelung und Planierungswahn.

Die Jury

Zehn Protestsänger und – Sängerinnen stellten sich einer strengen Jury bestehend aus der Kabarettistin, Autorin und FM4-Bandsplainerin Antonia Stabinger, FM4-Urgestein Martin Blumenau, der Sängerin und ehemalige Protestsongcontest-Gewinnerin Violetta Parisini, dem Musikergilden-Gewerkschafter Peter Paul Skrepek, der Kärntner Künstlerin und Kunstvermittlerin Simone Dueller und Alf, der Neo-Schlagersänger und Frontmann von Kommando Elefant. Auch das Publikum im Saal konnte online mitstimmen.

Hier könnt ihr euch die ganze Show anhören:

20.30 - Skatapult – „Aufstand der Hühner“

Die erste Band des Abends kennt man bereits aus dem Protestsongcontest-Halbfinale 2016 und 2017. Heuer stehen sie mit „Aufstand der Hühner“ im Finale. Mit diesem Song protestiert die siebenköpfige Ska-Formation aus Wien, die sich 2011 als Punkband in der Schule gegründet hat, für mehr Umverteilung in der Gesellschaft. Mit dem Song wollen sie laut Sänger Stani Pluegl „den Klassenkampf wieder cool machen unter den jungen Leuten, die den Klassenkampf verlernt haben“.

Entstanden ist der Song während der Debatte um die Mindestsicherung. Das gute Leben für alle - das verhandeln Skatapult mit einer Metapher im Sinne von George Orwells „Animal Farm“: „Das Huhn ist ja eher ein schwaches Tier am Bauernhof. Das ist also die Revolution von ganz unten – und wenn sich viele Hühner zusammentun, ist das auch ein Zusammenschluss von den Schwachen und Ausgenutzten.“

Die Jury über Skatapult
Martin Blumenau: „Ich bin ein großer Freund der schiefen Metapher, wie wir alle hoffentlich. Aber die Hühner… Ich mein, er hat es ja selber gesagt, beim literarischen Vorbild, das der junge Herr nicht gekannt hat, wie er im Semi-Finale verraten hat… Was lest ihr in Englisch überhaupt in der Schule? Nix oder?“

Ostrowski: „Instagram!“

Blumenau: „Ja, wahrscheinlich. Beim großen Vorbild waren es deswegen die Schweine, weil es die gescheitesten Viecher sind. Aber die Hühner sind die dümmsten Viecher am Bauernhof. (Das Publikum buht und protestiert.) Es wäre besser, nicht den Hühnern den Aufstand zu übertragen - metaphorisch. Die schiefen Metaphern waren also total gelungen und die Reime waren auch super. Also - alles was schief gehen kann, geht schief hier. Toller Start insofern - trotzdem.“

Das Publikum protestiert mit „Oida“, Peter Paul Skrepek erzählt daraufhin über seine bäuerliche Verwandschaft und kommt dann doch zum Punkt: „Die Band war sehr gut, das Niveau sehr hoch. Es freut mich immer, wenn viele Menschen auf der Bühne sind und ein Musikinstrument beherrschen. Oder singen oder was Sinnvolles sagen. Insofern Applaus!“

Alf merkt an, dass ein Huhn aus der unglücklichen Zucht im Supermarkt 2 Euro kostet. Das aus der glücklichen Zucht 13 Euro. Daraus folgert er, dass die Hühner schon zu einem Aufstand gezwungen sind: „Hühner sind wie die Schweine berechtigt dazu, einen Aufstand zu machen.“

20.40 - Aschanti – „Brutpflegetrieb“

Mit Gegacker ging es weiter: Das vierköpfige Vokalensemble Aschanti unterhält seit zwei Jahren mit fiesem Humor und reinstimmiger Renitenz. Ihr Protestsong „Brutpflegetrieb“ ist während des Bundespräsidentschaftswahlkampfes 2016 entstanden. Damals wurde bekannt, dass Präsidentschaftskandidat und nunmehriger Infrastrukturminister Norbert Hofer ein Buch herausgegeben hat, das vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als rechtsextrem eingestuft worden war. Der Autor des Buches, ein Wiener FPÖ-Bezirksrat, hat darin frauenfeindliche Begriffe wie „Geburtsscheinmutter“ und „Brutpflegetrieb“ verwendet. Das und die Liederbuch-Affaire rund um Udo Landbauer waren für das Wiener Acapella-Varieté Anlass genug, um eine furiose Hymne über das Bonmot zu singen.

Die Jury über Aschanti
Simone Dueller: „Guter Stil. In meinen Unterlagen lese ich dass dieses Lied aus der in Leder gebundenen Liedsammlung der Germania stammt. Und ich wollte nur erwähnen, dass es mir persönlich immer eine große Freude ist, nachdem wir wissen, wie wichtig Traditionen sind, und wie wichtig es ist, dass wir Traditionen beibehalten und immer wieder beleben – wie so ein Liedgut. Ich finde, es ist an der Zeit, dass so altes, matriarchales Liedgut wieder belebt wird und wieder unter die Leute gebracht wird. Das ist jetzt genau die richtige Zeit. Und wer, wenn nicht diese Band, hat das jetzt großartig gemacht.“

Violetta Parisini: „Ich fand die Performance noch besser als die Aufnahme, und ich fand die Aufnahme schon sehr gut. Und ich finde Fortpflanzungsverweigerung als Konzept, um jemanden vom Thron zu stoßen natürlich auch sehr spannend. Also ich fand es großartig.“

Antonia Stabinger: „Ich finde es sehr interessant als Konzept, das man das Kostüm auf den Inhalt des Liedes anpasst. Also, zeitlich gesehen.“

Alf: „Ich muss da eines sagen: Ich komm ja aus dem Schlager. Wenn wir schon bei Songcontest die Hyäne Fischer nicht haben, finde ich es schön, dass wir zumindest beim Protestsongcontest sowas in diese Richtung haben. Die ewige Suche nach dem Mutterkreuz zu unterstreichen, finde ich natürlich was Herrliches. Sehr angebracht. Insgesamt hat das für mich einen Kleinkunst-artigen Touch.“

20.50 - Dynamic Drift – „Ausnahme-Angst-Zustand“

Erhobene Fäuste und Jubelrufe im Publikum: Der Linzer Rapper Chill-Ill macht seit 15 Jahren Hip-Hop - und seit drei Jahren ist er mit dem Produzenten Dask One als Dynamic Drift unterwegs. Ihr Protestsong „Ausnahme-Angst-Zustand“ stammt von ihrem aktuellen Album „In Bewegung“ - und damit protestieren sie gegen ein Klima der Angst, das sie mit Samples aus diversen Nachrichtensendungen illustrieren.

Der Song „Ausnahme-Angst-Zustand" sei über die Jahre organisch gewachsen, erzählen Chill-Ill und Dask One: „In dem Song gibt es viele Aspekte. Generell geht es um die Feindbild-Problematik, die im Zuge der Flüchtlingsbewegung vermehrt zustande gekommen ist. Ich habe die erste Strophe 2015 geschrieben. Eine Strophe ist nach dem Anschlag in Paris entstanden, eine Strophe bei dem nächsten Anschlag.“ Der Terror sei ausschlaggebend für diesen Text gewesen, der auch instrumentalisiert wurde für diese Stimmungsmache. Und auch über Social Media wird im Song sinniert: „Was passiert durch diese Feindbilder und Panikmache, bei den Menschen, on- und offline?“

Die Jury über Dynamic Drift
Violetta Parisini: „Angst ist auch ein Thema, das mich umtreibt. Weil Angst ja ein Thema ist, das einen körperlich berührt. Wenn urviele Menschen Angst haben, dann ist es ganz schwer, keine Angst zu haben. Auch wenn man weiß, dass es keinen triftigen Grund zur Angst gibt. (...) Und die Zuspielungen – eine klassische Hip-Hop-Geschichte – fand ich auch gut. Das Format ist gut ausgeschöpft worden.“

Antonia Stabinger: „Aus meiner Klaustrophobie heraus kann ich verstehen, dass Angst ein sehr wichtiges Thema ist. Cooler Text – und die Einspielungen aus den Medien waren sehr unterstützend, weil man so auch ein bisschen den Kontext mitbekommt, über den so eine Angststörung auch entsteht.“

Martin Blumenau: „Das Stück war beim Halbfinale grässlich und total verhunzt. Und jetzt war es sehr gut.“

Alf: „Mich hat das sehr an Texta erinnert, meine Lieblings-Hip-Hop-Band. Und meine Lieblingstextzeile war: ‚Und schlucken jeden Scheiß wie ein Drogenkurier‘.“

21.00 - Sigrid Horn - „baun“

Sigrid Horn ist eine Dialektliedermacherin aus dem Mostviertel. Der Protestsongcontest spielt in ihrem künstlerischen Schaffen eine wichtige Rolle, denn ihren allerersten Auftritt hatte Sigrid Horn mit ihrer Band Wosisig beim Protestsongcontest-Halbfinale 2007 im Alter von 16 Jahren. Damals ist sie mit dem Lied „Das Anzige Lied“ angetreten, weil es zu dem Zeitpunkt tatsächlich ihr einziges Lied war.

Insgesamt waren Wosisig beim PSC viermal dabei, zweimal im Finale – und 2012 haben sie mit dem Protestsong „Erwin“ Bronze geholt. Mittlerweile haben sich Wosisig aufgelöst. Seither ist Sigrid Horn solo aktiv, nicht nur als Liedermacherin mit Gitarre und Piano, sondern auch auf Hip-Hop- und Slam-Poetry-Bühnen. Doch egal, was sie künstlerisch macht, gesellschaftskritische und feministische Themen liegen ihr am Herzen.

Im Oktober 2018 hat sie ihr minimalistisch-instrumentiertes Solo-Debüt-Album „Sog I bin weg“ veröffentlicht und darauf findet man auch ihren Protestsong „baun“. Entstanden ist die Nummer, als Sigrid Horn ihre Eltern im Mostviertel besucht hat: „Da hat ein Bekannter erzählt, dass er sich ein riesiges Haus gebaut hat, und ich hab mir nur gedacht: schon wieder so viel Grundfläche, die da versiegelt wird. Und dann wundern sich alle, warum wir Überschwemmungen haben und alles immer heißer wird.“ Der Protestsong „baun“ richtet sich gegen den Expansionswahnsinn des Turbokapitalismus: „Das endlose Expandieren ohne Rücksicht auf die Umwelt und ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen wird kritisiert. Und zum Schluss ist dann eben auch der Ausruf ‚Wir verbauns‘. Wenn wir so weiter machen, dann rennt das Ganze an einen Baum an, das ist jetzt echt ein Moment, in dem wir Panik kriegen sollten, wie die Greta Thurnberg gesagt hat.“

Die Jury über Sigrid Horn
Simone Dueller: „Ich kenne die Sigrid und ihre Musik schon länger, weil ich sie verfolge. (Gelächter im Publikum) Nicht stalkermässig. Als heimliche Bewunderin darf ich das sagen, dass Bauen, Innenstadt-Sterben und Kreisverkehre nicht so ein sexy Thema sind. Aber egal, worüber die Sigrid singt, sie schafft es, dass es irgendwie gut wird, eingängig ist und irgendwie kommt mir da immer dieses Wort Liedermacherinnenkunst in den Kopf, wenn ich an sie denke. Handwerklich top. Sie bringt ein Lied über Kreisverkehre und Spekulationen so voran, dass man sich denkt, dass kann was. Und das ist wirklich eine Kunst.“

Martin Blumenau: „Dem ist nichts hinzuzufügen.“

Violetta Parisini: „Ich finds total toll, dass man in einem Lied den Roten Faden behalten kann, und trotzdem über verschiedene Themen wie Konsumwahn, Mauern, Zäune und globale Umweltvernichtung reden kann und trotzdem immer den roten Faden behält. Großartig!“
Alf: „In meinen Notizen steht Ernst Jandl. Sowas find ich immer super, dieses baun, baun, baun, baun, baun. Was mir sehr gut gefallen hat musikalisch ist die Ukulele. Die war sehr gut eingesetzt. Ich würde mir noch wünschen eine Drum-Machine dazu.“

Ramon Bessel

Ramon Bessel ist Schauspieler, Sänger und Klavierlehrer aus der, wie er sagt „Imagehauptstadt des deutschen Automobil-Handels“. 20 Jahre lang hat er Couplets für ein Münchner Theater arrangiert, seit eineinhalb Jahren ist er Solo als Liedermacher unterwegs. Sein Protestsong heißt „SUV“ und damit protestiert er – Nomen est Omen - gegen „den Gipfel der Gigantomanie“.

Ihn stören die übertriebenen Macht- und Überlegenheitsdemonstration der SUV-Fahrer, wie er im Interview erzählt hat: „Es ist ein Thema, das mir seit langem unter den Nägeln brennt, weil ich das Gefühl habe, dass wir wirklich im Privatbereich aufrüsten. Ich fühle mich in einem kleinen Fahrzeug auf der Straße wirklich gefährdet. Vor allem, finde ich, ist das auch eine Haltung, die sich in der gesamten Gesellschaft widerspiegelt. Es geht einfach darum, privat dermaßen unangreifbar und für die anderen unerreichbar zu sein und es zeigt einfach eine wahnsinnige Ratlosigkeit, wohin mit dem Geld. Und ich finde, man kann an dem Phänomen SUV einfach wahnsinnig viel erkennen, was bei uns im Moment einfach wirklich krank ist.“

Das Publikum jubelt und schreit „Ramon, Ramon“. Im Gespräch mit Michael Ostrowski führt Ramon Bessel die Panzer-Bau- und Fahr-Lust auf das kollektive deutsche Unterbewusstsein zurück.

Die Jury über Ramon Bessel
Violetta Parisini: „Ich bin Radfahrerin und es wurde gerade mein ultimatives Feindbild virtuos besungen. Das macht mich glücklich. Ich find’s schön, dass auch andere dieses Feindbild teilen.“
Martin Blumenau: „Ich als Fußgänger bin eine Spezies die noch unter dem Radfahrer existiert und von allen belästigt wird. Und ich finde, dass ein Autofahrer über andere Autofahrer koffert, ist ein Luxus. Dann hör doch auf zum Autofahren! Sehr unkonsequent.“

Antonia Stabinger: „Dieser Herr Ramon kommt ja aus Deutschland. Und wir können uns das ja gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man auf der Autobahn fährt und dann kommt da mit 240 km/h von hinten so ein Panzer-Subsitut und möchte auf deiner Rückbank Platz nehmen. Das können wir uns ja gar nicht vorstellen mit unserem Tempo-Limit.“

Eine Stimme aus Publikum: „Der Hofer wird’s schon richten!“
Alf: „Mir ist es zu kabarett-mäßig und zu bemüht.“

21.30 - Die Waldfee – „Raus aus den Autos“

Wir bleiben beim Thema Autos – und ebenfalls keine Unbekannte beim Protestsongcontest ist die 27-jährige Kräuterpädagogin und Umwelt-Aktivistin Cornelia Presich aka Die Waldfee. Heuer protestiert sie – inklusive Human-Beatbox auf der Bühne - für eine Mobilitätswende und gegen die geplante Lobau-Autobahn samt Tunnel. Die Idee zum Song „Raus aus den Autos“ kam ihr bei einer Informations-Veranstaltung, bei der sie mit Entsetzen feststellen musste, wie wenig sie eigentlich selbst über den geplanten Eingriff in das Wiener Naturschutzgebiet weiß: „Die Politik und die Asfinag und die großen Straßenplaner planen da in ihren stillen Kämmerchen riesige Dinge, von denen man, wenn es hochkommt, alle drei, vier, fünf Wochen einen fünf-zeiligen Bericht im Kurier kriegt. Da hab ich mir dann gedacht, okay, ich weiß, in mir drinnen rennt eine Liedermacher-Maschine, und ich kann die jetzt befüllen mit all dem, was es an Info gibt, was die Bevölkerung nicht bekommt. Und dann habe ich mir gedacht, dass das meine Aufgabe ist.“

Noch heuer soll der Spatenstich für die Lobau-Autobahn und den Tunnel erfolgen. Die Waldfee hofft, dass ein breiter Widerstand der Bevölkerung das noch verhindern könnte: „Der Zeitpunkt zum Handeln ist jetzt. Und es ist möglich. Auch Zwentendorf ist verhindert worden. Wenn wir jetzt als breite Bevölkerung sagen, wir wollen diese Autobahn und diesen Tunnel nicht, und wenn wir uns jetzt zusammentun, dann können wir das verhindern. Jetzt ist nämlich noch nichts gebaut.“

Die Jury über Die Waldfee
Violetta Parisini: „Ich begrüße die Dringlichkeit, mit der das Lied geschrieben und gesungen wurde. Ich sehe eine singende Menschenmenge auf der Autobahn. Ich hätte mir das Lied ohne Beatbox und mit variationsreicherer Harmonieführung gewunschen. Aber die Dringlichkeit fand ich gut.“

Simone Dueller: „In dem Lied steckt alles drinnen, was es braucht, um ein Thema an die Menschen zu bringen. Konkreter als in Gemeinderatsvorträgen oder Beschlüssen und so weiter. Deshalb würde ich die Waldfee gerne mit nach Villach nehmen. Und sie singt dann jeden Gemeinderatstext, den die lokale Kärntner Bewegung „Verantwortung Erde“ in den Villacher Gemeinderat einbringt. Das wäre ein perfect Match.“

Martin Blumenau: „In Hainburg hat der tatsächliche politische Protest das verhindert. Unter anderem durch die extreme Kreativität des Protests. Ich war unlängst im Technischen Museum, und dort sieht man in einem Schaukasten die legendären Kostüme, die die Hainburg-Protestierenden bei ihrer ‚Pressekonferenz der Tiere‘ getragen haben. Das war der Nenning und die Frau Meissner-Blau. Das war ein legendärer Protest, der dann gut gefruchtet hat. Und ich wünsche dem aktuellen Ding da auch so einen Push in diese Richtung.“

Antonia Stabinger: „Mich hat die wenige Varianz in der Melodie anfangs auch angezipft, aber jetzt habe ich es extrem positiv Mantra-artig empfunden.“

21.40 - Mag-D x Ms Def x Yasmo x Lady Ill-Ya x Bella Diablo x Misses U – “Mehr”

Neu beim Protestsongcontest: eine all-female Rap-Supergroup!
Die Wiener Rapperin Ms. Def hat fünf weitere Hip-Hop-Ladies für mehr Sichtbarkeit und Vernetzung innerhalb der Szene um sich geschart, die Teilnahme am Protestsong ist ihnen so nebenbei passiert: „Es war einfach mein großer Wunsch, eine Kollabo auf die Beine zu stellen, bei der wir die Vielfalt zeigen, die es da gibt.“, erzählt Ms. Def im Interview.

Mag-D, Ms Def, Yasmo, Lady Ill-Ya, Bella Diablo und Misses U (die im Finale nicht persönlich anwesend war), protestieren in ihrem Song „Mehr“ gegen die Unterdrückung von Frauen und für mehr Wertschätzung und Freiheit: „Frauen werden in vielerlei Hinsicht noch immer ungleich behandelt, sodass wir nicht jede Freiheit haben, so zu leben, wie wir möchten. Jede von uns behandelt in ihrer Strophe unterschiedliche Dinge wie Gleichstellung und Patriarchat, aber das Thema Freiheit ist die Schnittmenge.“ Der Protestsong „Mehr“ wurde bereits als Single veröffentlicht, und vielleicht wird es in Zukunft „noch mehr“ von der Wiener Rap-Supergroup zu hören geben.

Die Jury über Mag-D x Ms Def x Yasmo x
Antonia Stabinger: „Ich bin sehr froh das 2019 ist und das der Feminismus in einer breiten Diskussion angekommen ist, ohne dass man sich irgendwo hinten verstecken muss. Und ich finds geil, dass sich da sechs sehr coole Frauen auf dieser Bühne versammeln, die abseits von den Rollenbildern eines Bibi’s-Beautyplace mit Schminktipps und praktischen Haushaltstipps, etwas repräsentieren, das wirklich cool ist und das gehört einmal gefeiert. Diese Mädels lügen auch nicht. Wir sind tatsächlich 51 Prozent, also mehr. Und schön auch, dass sie gleich für die Maskulinisten das Konter dazugeben, wenn sie sagen, sie seien nicht gegen Männer, sondern gegen das Patriarchat, und das mit ihren persönlichen Anekdoten auskleiden. Da fängt man dann an, es zu verstehen.“

Simone Dueller: „Props an diese Hymne. Für mich zeichnet ein Protestlied aus, dass es eben nicht ein Nörgeln, Anklagen oder Aufzählen ist, sondern für mich macht ein Protestlied aus, dass es bestärkt und dass es ein Kribbeln erzeugt, und dass man losgehen will und etwas verändern will. Und das macht das Lied auf jeden Fall.“

Peter Paul Skrepek: „Über Yasmo kann ich nur das Beste sagen. Sie ist eine geschätzte Kollegin von mir. Wir sind schon gemeinsam aufgetreten. Es war wunderbar. Und ich kritisiere und gebe keine Kommentare über Kolleginnen von mir ab. Die Bella-Diablo hat einen wunderbaren Hochgeschwindigkeits-Rap hingelegt. Der Rest ist halt so dieses Primaten-Gehabe gewesen. Das ist so typisch. Es ist kein Fortschritt, wenn Frauen männliche Primaten nachmachen. Das kann ich nur als Parodie empfinden.“

22.00 - Geschichten Im Ernst – „Dann Brauch Ma Di“

Kurz war es so wie bei einem Grindcore-Konzert, als Sängerin Iris Stern in das Mirkofon gegröhlt hat. Auch sie ist keine Unbekannte beim Protestsongcontest. Bereits 2015 hat sie mit ihrem Musiktheater-Projekt „Geschichten Im Ernst“ teilgenommen. Damals sind sie mit dem Gedicht „Aufruf“, aus der Feder des österreichischen Widerstandskämpfers Richard Zach, auf Platz Sechs gelandet. Heuer treten sie mit dem Song „Dann Brauch Ma Di“ an. Der Song stammt aus ihrem aktuellen Musiktheater „Opa Rebell“.
Das Musiktheater beschreibt in acht Liedern das Leben des obersteirischen Arbeiters und Partisanen Sepp Filz. Es geht um seine Walz, seine Arbeitskämpfe und seinen bewaffneten Widerstand gegen die Nazi-Diktatur.

Das Stück umfasst eine sehr große Zeitspanne, vom Zerfall der Monarchie über Kampf gegen den Faschismus, den Staatsvertrag hin zum Heute. Und der Song, der im Musiktheater die Gegenwart abdeckt, ist der rockige Protestsong „Dann Brauch Ma Di“.

Das Leben des Widerstandskämpfers Sepp Filz ist laut Geschichten im Ernst-Sängerin Iris Stern heute aktueller denn je, denn sie erkenne viele Parallelen zwischen den 1930er Jahren und heute. Mit ihrem Protestsong „Dann Brauch Ma Di“ appelliert die Formation an das Protestbewusstsein der Bevölkerung: „Menschen sollen sich mehr als politische Individuen wahrnehmen, sich organisieren und aktiv werden in verschiedensten Formen des Protests.“

Die Jury über Geschichten Im Ernst
Alf: „Das ist einer der klassischten Protestsongs vom Text her. Dann hab ich mir die Musik angehört, das war ein bisschen retro, so wie die Band in dem Film „Muttertag“. Die Band hieß ‚Wiener Wunder‘ und das hat mich sehr erinnert an das. Ist nicht schlecht, sag ich mal. Aber bei mir bleibt es unterm Strich etwas zu retro, zu bemüht.“

Martin Blumenau: „Ich bin immer noch geflasht, dass sich – das klingt jetzt deppert - Frauen trauen, Grindcore zu machen. Das ist nicht alltäglich. Mir ist die Pappn offen stehen geblieben.“
Antonia Stabinger: „Ich habe einen Backflash erlebt während diesem Lied, in meine zarte Jugend, die ich in den Nuller-Jahren in dunklen Rock- und Metal-Kellern in Graz verbracht habe. Und ich hatte da auch das Gefühl, man kann die Welt im Handumdrehen verändern, wenn man jetzt wirklich anfängt. Und das ist genau die richtige Einstellung, die es zur Zeit jeden Donnerstag braucht.“

Simone Dueller: „Grindcore ist musikalisch nicht so meines. Aber das ist einer der Texte, die ganz eindeutige Bilder bei mir im Kopf erzeugt haben. So Sachen wie: Und wenn am Traumstrand Buckelwale landen und daneben leere Schwimmwesten stranden, erzählt das mehr, als so manch andere Texte die fünf Minuten dauern. Da steckt in zwei Sätzen alles drinnen. Und das finde ich grandios.“

Peter Paul Skrepek: „Das nennt man Dichtkunst, und dass kann sie.“

22.10 - Lisa Jäger & Band – „Nationalität Mensch“

Lisa Jäger macht seit fünf Jahren mit dem Pianisten Philipp Hribernig Singer-Songwriter-Pop. Seit drei Jahren ist Anna Dirnberger am Cello und Cajón mit dabei. Ihre ruhigen Songs drehen sich meist um Herz-Schmerz-Themen, ihr Protestsong „Nationalität Mensch“, der durch seine unschuldige Tonalität an Nicoles „Ein bisschen Frieden“ erinnerte, ist ihr erstes gesellschaftskritisches Lied. Entstanden ist es 2016 während des Bundespräsidentschaftswahlkampfes und Lisa Jäger protestiert damit für ein friedliches, vorurteilsfreies Miteinander: „Leider hat das Lied dann immer mehr an Aktualität gewonnen und ist präsenter denn je, wenn man sich in der Politik umschaut.“, sagt Lisa Jäger im Interview, „Es appelliert einfach an keine Angst vor anderer Hautfarbe, keine Angst vor anderer Kultur, keine Angst vor anderen Sprachen, sondern daran, den Menschen dahinter zu sehen.“ Sehr großer Applaus im Publikum für mehr Rückenwind statt Gegenwind. Und für mehr Empathie und Liebe.

Die Jury über Lisa Jäger & Band
Martin Blumenau: „Das ist das poppigste Stück mit der größten Nähe zum Schlager, deshalb will ich vom Alf wissen, was er sagt.“

Alf: „Für mich ist es ganz top vorne mit dabei. Mir hat es auf Platte gut gefallen, an der Performance kann man noch schrauben. Der Titel „Nationalität Mensch“ könnte auch von Udo Jürgens sein. Das Wort ‚Herz‘ kommt auch vor, und das sollte in jedem guten Hit vorkommen. Wenn man das gut produziert, könnte das ein Superhit sein. Ganz groß.“

Peter Paul Skrepek: „Das ist sicher ein Hit, wenn man das gut aufnimmt. Es ist die totale Anti-These gewesen, zu dem bisherigen. Und das kommt offenbar an. Es besteht offenbar ein Bedarf nach mitsingbaren Melodien.“

Simone Dueller: „Es ist mir nach dem ersten Anhören den ganzen Tag im Kopf geblieben. Ich hab mir gedacht, das ist mein Zugang. So möchte ich, dass wir weiterhin durch die Welt gehen. So schaffen wir es auch, uns gegenseitig Mut zuzusprechen und den ganzen Blödsinn irgendwie durchzustehen. Und das Lied hat es auch geschafft, dass meine Neunjährige durchs Haus läuft und singt: ‚Da mach ich nicht mit. Ich halte dagegen. Jeder hat das Recht auf Leben.‘“

Die Nowak – „Der Schottergärtner“

Den Protestreigen beendete die Piano-Pop-Chansonniere Rebekka Maier aus Regensburg, besser bekannt als „Die Nowak“. Ihr Künstlername stammt von dem bekannten Couplet von Hugo Wiener „Der Nowak lässt mich nicht verkommen“, und „Die Nowak“ ist laut Rebekka Maier „die Frau von dem Typen“. Beim Protestsongcontest kritisiert die Pianistin mit der rauchigen, ausdrucksstarken Stimme die in Deutschland weitverbreiteten „Schottergärten“, in denen mit der Natur kurzer Prozess gemacht wird. Die Idee für den Song stammt von der deutschen Facebook-Satire-Seite "Die Gärten des Grauens“ des Berliner Biologen Ulf Soltau, der seit April 2017 das pflegeleichte, aber höchst umweltfeindliche Elend der grauen Steinwüsten mit Fotos dokumentiert. „Diese furchtbaren Bilder waren so inspirierend, dass ich dann angefangen habe, die Kommentare unter den Fotos rauszuschreiben. Und daraus ist der Text entstanden.“ Die Nowak besingt in ihrem Protestsong auch das Stilmittel im Schottergarten – die Gabionenwand. Das sind bis zu 2,40 hohe Drahtgitterkörbe, die mit Bruchsteinen aus China und Indien befüllt werden. Mittlerweile sind die Schottergärten ein Politikum, ein Verbot der ökologisch toten Vorgärten wird in verschiedenen deutschen Gemeinden bereits diskutiert.

„Für mich sind Schottergärten das Sahnehäufchen auf dem Klimawandel“, sagt Die Nowak im Interview, „Ich spreche damit auch diese ignorante Gesellschaft an, die sich denkt: ‚Ich machs mir einfach. Ich hab keine Arbeit mit meinem Garten.‘ Was Bienen und Blümchen davon halten, das fragt keiner. Und wenn ich an einem Schottergarten vorbeigehe, wird mir wirklich kotzübel. Das geht mir so gegen den Strich. Der Mensch braucht doch, gerade in der Arbeitswelt, das Grüne!“

Die Jury über Die Nowak
Antonia Stabinger: „Vielen Dank für dieses schöne melancholische Lied. Sehr expressive, schöne Stimme. Der Text ist sehr poetisch und bilderreich. Ich bin sehr froh, dass ich jetzt das Wort Gabione kenne. Für mich war das eine kleine Hymne auf das Neobiedermeier.“

Simone Dueller: „Meine Lieblingstextzeile war: Keine Flora, keine Fauna, jeder ganz allein mit seinem Trauma. Ich glaube, wenn man das nicht nur sieht als ein Lied über Steinkäfig-Mauern, sondern als Lied über Mauern generell, und den Hang, sich Mauern zu bauen und sich abzuschotten, dann ist es wahrscheinlich eines der politischten Lieder des Abends.“
Violetta Parisini: „Als jemand, der sich mit Songwriting beschäftigt, muss ich sagen, ich bin total begeistert von diesem Lied. Beim Anhören der Aufnahme hab ich mir aber noch gedacht, was hat das mit einem Protestlied zu tun? Aber jetzt während der Performance, ist es als Protestlied bei mir angekommen. Es ist ein großartiges Lied auf allen Ebenen. Es ist wirklich ein Protestlied.“

Alf: „Der ganze Text war so verschwurbelt und war nicht so das richtige ins Herz rein bei mir – so Protestsong-mässig. Das war eher so eher Andre-Heller-mässig.“
Peter Paul Skrepek: „Beginnen möchte ich mit den Steinen. Die Steine werden importiert. Ist euch das bekannt, dass seit geraumer Zeit die Randsteine eines Gehsteiges in Wien, eines Trottoirs, aus China kommen? Früher, vor 15 Jahren sind sie aus Oberösterreich gekommen, jetzt kommen sie aus China, weil es dort billiger ist. Das sagt auch einiges über die Stadt Wien und unseren geistigen Zustand aus. Aber das was jetzt da war, war Musik. Es ist völlig wurscht was sie singt, sie hat so großartig gesungen, dass man nicht zuhören muss, um zu verstehen, dass es wunderbar war. Aber man kann auch zuhören, um es noch mehr zu genießen.“

Martin Blumenau: „Einspruch! Einspruch! Ihr Menschen mit der Gnade der jüngeren Geburt kennt das Grauen des samstäglichen, sonntäglichen Fernseh-Unterhaltungs-Gruselkabinetts nicht, wo Heinz Conrads mit seinem Grusel-Pianisten eine Stunde lang solche Stücke wie das, und auch wie vorher das von Herrn Ramon war, gespielt hat. Also dieser Piano-Schleim. Und das ihr das heute leiwand findets?! Ihr habt es halt nicht erlebt, das Entsetzen.“
Das Publikum protestiert lautstark.
Peter Paul Skrepek: „Martin Blumenau, du bist ein wunderbarer Provokateur, aber mit solchen Bemerkungen schadest du dir mehr selber als du dir nützt.“

Alf: „Es gibt so einen Netflix-Serie namens „Weissensee“ wo gezeigt wird, wie Protest extrem gut funktioniert. Und darauf möchte ich bei Der Nowak und Ramon zurückgreifen, weil das hier ist einfach nur am Piano ganz einfacher Protest.“

So hat die Jury beim Protestsongcontest abgestimmt

Chili Gallei | gallei.at

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