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Clemens Setz' Buch "Der Trost runder Dinge"

Radio FM4/Suhrkamp-Verlag

Clemens Setz schreibt perfekte Kurzgeschichten in „Der Trost runder Dinge“

Clemens Setz macht mit seiner Begeisterung für unheimliche Geschichten aus literarischen Fingerübungen Meisterwerke.

Von Simon Welebil

Der Grazer Autor Clemens Setz darf im Literaturbetrieb anscheinend alles. Unter den letzten Veröffentlichungen des Vielschreibers finden sich etwa der 1.000 Seiten starke Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“, der experimentelle Interviewband „Bot. Gespräch ohne Autor“ , der Gedichtband "Die Vogelstraußtapete oder ein Buch voller Till-Eulenspiegel-Nacherzählungen. Überlange Romane, Interviews und Nacherzählung haben eines gemeinsam, nämlich nicht die besten Voraussetzungen für kommerziellen Erfolg am Buchmarkt.

Und auch Clemens Setz’ neuester literarischer Streich ist wieder ein von Verlagen normalerweise ungeliebtes Genre: Das Buch „Der Trost runder Dinge“ ist eine Sammlung von Erzählungen und Kurzgeschichten. Gerade mit Clemens Setz’ Kurzgeschichten hat sein Verlag aber gute Erfahrungen gemacht. Sein erster Erzählband, „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ hat den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen und mehrere Auflagen erlebt.

Clemens Setz

Suhrkamp/Max Zerrahn

Clemens Setz beherrscht sein Handwerk

Natürlich geht es einem Verlag aber nicht nur um kommerzielle Aspekte, sondern auch um die literarische Qualität, und die ist in Clemens Setz’ Erzählungen ohne Zweifel vorhanden, was er gleich in der ersten Erzählung des Bandes, „Südliches Lazarettfeld“ beweist. Darin wird ein Grazer Autor, der einige Züge von Setz selbst trägt, gemeinsam mit anderen österreichischen Autoren wie Norbert Gstrein zu einer vier Wochen langen Lesereise in die kanadische Provinz eingeladen. Die Euphorie darüber hält sich in Grenzen, was Clemens Setz sein Publikum auch merken lässt. Mit halblustigen Wortwitzen, Dialogen und Beobachtungen zieht er die Zeit, die der etwas spleenige Autor bis zu seinem Abflug absitzen muss, in die Länge.

„Ich ging auf die Toilette, und als ich zurückkam gönnte ich mir einen direkten Sitznachbarn, die Dichte der Menschen im Wartebereich war optimal dafür. Ich wählte eine Frau, die wie ein verdorrtes Kindermädchen aussah. Nach einer Weile steckte sie ihr Getränk zurück in den Rucksack und saß mit neutralem Gesichtsausdruck da. Das freute mich. Die Leute hier waren unschlüssig, sie besaßen keinerlei Vorteil mir gegenüber. Ich glaube, es sollte Springball-Spender in Flughafentoiletten geben.“

„Der Trost runder Dinge“ von Clemens Setz ist bei Suhrkamp erschienen.

Dafür kommt die Watsche dann umso heftiger. Der Flug wird gecancelt und der Autor fährt zurück in seine Wohnung, wo er seine Freundin bei ihrer Leidenschaft ertappt, nicht etwa im Bett mit einem Mann, sondern mitten in einem Lazarett voller fremder, stinkender Menschen. Überall sind schmutzige Gestalten untergebracht. Im Bett zusammengepfercht oder auf Matten und Kartonstücken verteilt harren sie zerlumpt und elend aus und mittendrin seine Freundin Marianne, glücklicher als je zuvor.

Verführen, ablenken, zuschlagen

Clemens Setz ist ein recht hinterlistiger Autor, der seine Leserinnen gern auf falsche Fährten führt. Das klassische Merkmal der Kurzgeschichte, die unerwartete Wendung, hat er in der ersten Erzählung meisterhaft vorexerziert. In der nächsten Geschichte wechselt er dann komplett das Schema und bringt von Anfang an Spannung rein. Ein Mann versucht, sich mit falschem Namen und unter falschem Vorwand Zugang zu Wohnungen zu erschleichen. Was er dort vorhat, bleibt unklar, aber recht bald dreht sich der Spieß für den Eindringling um.

Von Erzählung zu Erzählung wechselt Setz die Erzählstrategie, die –haltung, den -stil, die Sprache und die Geschlechter seiner Protagonisten. Mal sind seine Erzählungen fantastisch, mal absurd, mal gruselig oder gar makaber. In einer Erzählung gibt sich etwa ein Teenager am Telefon als Sohn einer Prostituierten aus, um mit potentiellen Freiern ins Gespräch zu kommen. In einer anderen versucht die Mutter eines Wachkoma-Patienten, Callboys zu Sex vor den Augen ihres Sohnes zu überreden.

Die 20 Erzählungen in „Der Trost runder Dinge“, deren kürzeste nur ein paar Zeilen, die längste 40 Seiten lang ist, hängen nur ganz lose zusammen. Manchmal schafft es ein Protagonist oder eine Protagonistin in eine andere Erzählung, mal sind es auffällige Begriffe wie „Kartoffelgratin“, mal tragen die Protagonisten Züge des Autors, nur ein Jeff taucht in mehreren als Nebenfigur auf.

Die Begeisterung für das Unheimliche

Gemeinsam ist allen Geschichten, dass Clemens Setz in ihnen Grenzen ausreizt. Vieles, was er schreibt, ist inhaltlich unangenehm oder gar verstörend. Seine Begeisterung für das Unheimliche macht er im FM4-Interview daran fest, dass er relativ spät zu lesen begonnen habe und dadurch „stärkere Reize gebraucht habe, um mich dafür zu interessieren.“

Die ersten Einfälle für Geschichten sind bei Clemens Setz meist Gefährdungen, an denen er sich dann weiterhangelt. „Man muss wahrscheinlich am Anfang festlegen, wo das Heim ist, das Geborgene oder das Zuhause der Figuren, wo sie sich sicher fühlen. Von da weg sieht man dann die Ränder und die Koordinaten und dann kann es einreißen oder bedroht werden“, so Clemens Setz im Interview.

Sprachlich verbergen sich hinter den düsteren, unheimlichen Erzählungen dann auch wahre Schätze, Sätze, bei denen man hängenbleibt wie, „Fast alle seine Freunde hatten es zu Patchworkfamilien gebracht.“, oder über die man stolpert: „Im Raum roch es für einen Augenblick nach etwas lang Vergangenem, nach Adventskalender oder Dinosaurierbuch.“

Seine literarischen Vorbilder in Sachen Kurzgeschichte führt Setz im Buch übrigens explizit an, als er einen seiner Protagonisten Reiseliteratur einpacken lässt, lauter Kurzgeschichtenbände von Akutagawa, Philip K. Dick, Hebel, Beattie, Kracht, Barthelme, Stanišić oder Clemens Meyer, „lauter unbrave, prächtige Strolche.“ Vor keinem von ihnen braucht er sich allerdings verstecken. Die literarischen Fingerübungen, die Clemens Setz in „Der Trost runder Dinge“ macht, sind allesamt ganz große Kunst.

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