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Szenenbild "Der Boden unter den Füßen"

Juhani Zebra / Novotnyfilm

Berlinale

Kontrollverlust und Leichenteile

Fatih Akin erscheckt alle mit „Der goldene Handschuh“, Marie Kreutzer schläft während der Premiere ihres ganz und gar nicht einschläfernden Films „Der Boden unter den Füßen“ ein und Francois Ozon stellt der katholischen Kirche mit „Gelobt sei Gott“ die Gretchenfrage, sag wie hast dus mit der Vertuschung?

Von Pia Reiser

Da wird sich Lars von Trier jetzt ärgern. Ist es doch erst einige Monate her, dass „The House that Jack built“ als ärgster, grauslichster, kaum aushaltbarer Film über einen Serienkiller gefeiert/zerrissen wurde, da taucht auf der Berlinale „Der goldene Handschuh“ auf und verdrängt Jack und sein house vom Thron der Filme, die sich auch als Zumutung verstehen. Fatih Akins Adaption des Romans von Heinz Strunk über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka (soviele gute Nachnamen in einem Satz) ist der Talk of Berlinaletown.

Szenenbild "Der goldene Handschuh"

Gordon Timpen / 2018 bombero int./Warner Bros. Ent.

Ich konnte die Leichenteile richtig riechen, so ein Journalist auf der Pressekonferenz und als die Pressekonferenz am Potsdamer Platz auf einer Leinwand übertragen wird, bildet sich eine Menschentraube. Fatih Akin ist u.a. deswegen so ein interessanter Filmemacher, weil er sich tatsächlich nie zu wiederholen scheint. Von Jugendbuch-Bestseller-Verfilmung Tschick zu beklemmendem Thriller über eine Frau, deren Familie bei einem Attentat der NSU stirbt - Aus dem Nichts nun also Ekelschocker mit FSK 18.

„Der Goldene Handschuh“

Ein Film, nach dem man duschen möchte, so der Spiegel. (In Sachen Hauptdarsteller lohnt sich die Googlesuche, weil für so eine Nasenverwandlung kriegt man in Hollywood den Oscar. Also hier: Jonas Dassler als Fritz Honka. Und hier: Jonas Dassler als Jonas Dassler).

Das Gemurmel im Pressebereich der Berlinale dreht sich hauptsächlich um Zahlen und Meetings, in Gesprächsfetzen höre ich immer von einem Gunther oder eine Uta, die finden würden, ein Film wäre dann doch nicht so ihr Ding, aber man müsse sich da nochmal besprechen. Erstaunlich ist es auch, wie oft den Menschen, die hier Filme für Verleihe oder Festivals einkaufen, die Distributionsdeals verhandeln, Namen von SchauspielerInnen (Na, die Braunhaarige halt, die grad überall ist!) nicht einfallen (es war dann Nora Waldstätten). In dieses businesslastige Gemurmel also, das für mich in den letzten Tagen zur Fahrstuhlmusik der Berlinale geworden ist, mischt sich aber seit Sonntag der goldene Handschuh.

So, jetzt habt ihr schon soweit gelesen und jetzt kommts: Ich hab den Film gar nicht gesehen. Musste mich zwischen Handschuh und „Der Boden unter den Füßen“ entscheiden und sagen wir mal so, Filme über Serienkiller gibt es eindeutig mehr als Filme mit drei weiblichen Hauptfiguren (von denen keine mit einer schweren Diagnose zu kämpfen hat oder auf der Suche nach einem Mann ist).

„Der Boden unter den Füßen“

Marie Kreutzers Drama wird die Diagonale eröffnen und die Diagonale beschreibt den Film als eine Zäsur im Werk von Marie Kreutzer. Und tatsächlich hat „Der Boden unter den Füßen“ mit ihrem Vorgängerfilm „Was hat uns bloß so ruiniert“ nur noch eines gemeinsam, einen Namen. Lola (Valerie Pachner) ist Ende 20 und trotz High Heels stets schnellen Schrittes unterwegs. Wenn sie Sneakers trägt, dann joggt sie oder schwitzt auf einem Trainigsgerät in einem Fitnessraum, auf dem Kreutzer großartigerweise ein Radiohead-Zitat untergebracht hat. Fitter, happier, more productive.

Lola ist Ende 20 und Unternehmensberaterin, Daten, Tabellen, Fakten und Optimierung des eigenen Ichs - und der Unternehmensstruktur von Betrieben bestimmt ihr Leben. In Sachen Powerdressing steht sie Claire Underwood um Nichts nach. Dunkelblau, grau, weiß, gestärkt, gebügelt. Bis in die Blusenkragenspitze ist hier alles perfekt, unter Kontrolle. Die Leuchtstifte am Schreibtisch liegen parallel zueinander. Die Unterhosen-Lade verschafft Marie Kondo Freudentränen.

Szenenbild "Der Boden unter den Füßen"

Juhani Zebra / Novotnyfilm

„Der Boden unter den Füßen“ ist deswegen so ein toller Titel, weil man nur von ihm spricht, wenn man ihn nicht mehr hat. Als Lolas Schwester (fantastisch: Pia Hierzegger, aber, wann ist sie das nicht), deren Diagnose paranoide Schizophrenie ist, einen Selbstmordversuch unternimmt, geraten, langsam und vom Drehbuch wohl platziert, Risse in Lolas so geordnetes Leben. Mitunter das Beste an „Der Boden unter den Füßen“ ist, dass es sich nie in eine Richtung auflöst, die man vielleicht vermutet. Es bleiben Fragen und Rätsel offen in diesem Film, der auf den Schultern der superen drei Hauptdarstellerinnen ruht. Am Weg zum Interview mit Marie Kreutzer, gleich nach dem Film, gibt neben mir ein Mann am Telefon eine Ersteinschätzung des Films ab: Schwestern, Depression, österreichische Melancholie, ich muss das erst mal sacken lassen. Marie Kreutzer erzählt dann noch mit Premieren-Blumenstrauß im Arm und dem Premierenleuchten in den Augen, dass sie während des Films eingenickt ist. Berlinale ist anstrengend.

Szenenbild "Der Boden unter den Füßen"

Juhani Zebra / Novotnyfilm

„Gelobt sei Gott“

Zu den drei Frauen in Marie Kreutzers Film gesellen sich im Wettbewerb der Berlinale drei Männer, die im Mittelpunkt von Francois Ozons „Gelobt sei Gott“ stehen. Bevor ich den Film gesehen habe, irritierte mich nicht nur der Gedanke daran, dass Ozon eine wahre Geschichte verfilmt und sich mit „Gelobt sei Gott“ einem Missbrauchsksandal innerhalb der katholischen Kirche Mitte der 1980er Jahre in Frankreich widmet. Eine wahre Geschichte in den Händen eines Regisseurs, der gern mal ins Abstruse, ins Träumerische, ins Surreale abgleitet. Vor allem aber: In der Kirche gibt es keine Frauen - und die stehen üblicherweise im Zentrum der Filme des französischen Regisseurs.

Diesmal aber sind es Männer, die mit ganz unterschiedlichen Emotionen zu kämpfen haben: Scham, Wut, Verzweiflung. Männer als Opfer sexueller Gewalt sind im Kino selten, hier beschließen drei sehr unterschiedliche Männer mehr als 30 Jahre nach dem sexuellen Missbrauch, das Schweigen zu brechen und die Kirche zum Handeln aufzufordern. Der Pater von damals arbeitet immer noch mit Kindern und die, die seit damals von den Vorfällen wussten, beschwichtigen, schieben hinaus, beten. Die drei Männer sind Fiktion, kombiniert auf mehreren wahren Geschichten. Der Name des Priesters ist echt.

Der Prozess gegen Bernard Preynat beginnt gegen Ende des Jahres. Bereits im Laufen ist der Prozess gegen den Kardinal Barbarin, der alles gewusst und vertuscht haben soll. Das Urteil gegen ihn wird Anfang März erwartet, so kann man am Ende des Films im Abspann lesen.

Szenenbild "Gelobt sei Gott"

Jean-Claude Moireau

Ozon hatte Schwierigkeiten, seinen Film zu finanzieren, mit der Kirche will man sich nicht anlegen, in Frankreich versucht ein Anwalt den Filmstart zu verhindern.

Ozons männliches Triptychon fächert verschiedene Männertypen auf. Der elegante, erfolgreiche Alexandre, stets gefasst und wenn er keinen Burberry-Mantel trägt, dann steckt er in einer Barbour-Jacke. Vater von fünf Kindern, seine eigenen Eltern siezt er. Alexandre geht das Ganze methodisch an. In Francois (Denis Menochet, eine Urgewalt des französischen Kinos) brodelt es dagegen schon mehr, er gründet eine Gruppe für betroffene Männer, und schließlich ist da noch Gilles (Swann Arlaud, gesegnet mit den ewig müden Augen wie Mathieu Amalric), dessen ganze Existenz gezeichnet ist von den sexuellen Übergriffen des Paters. Und so zieht Ozon einen Bogen vom gefassten Alexandre zu Gilles, unkontrolliert, fahrig, stellenweise aggressiv.

Die Mission des Films - die Anprangerung der Kirche, die Aufarbeitung des Missbrauchs und des Schweigens - sind im Fall von „Gelobt sei Gott“ wahrscheinlich wichtiger als der Film selbst. Man vermisst - trotz des Wissens, dass das bei diesem Thema nicht möglich ist - bei „Gelobt sei Gott“ das, was die Filme von Francois Ozons sonst so auszeichnet.

„What She Said“

Mit dem halben Burgtheater-Ensemble an Bord (Peters! Maertens! Ofczarek!) sitz’ ich dann schon im Flieger zurück nach Wien und hoffe nur, dass jemand „What She Said“, die Dokumentation über Pauline Kael, in die Kinos bringt. Und in der Redaktion muss ich jetzt jemanden finden, der den goldenen Handschuh übernimmt, weil ich trau mich nicht.

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