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Von der Dorf-Ödnis in die Psychatrie: „Vater Unser“ von Angela Lehner

Erbarme dich des Wahnsinns: Im Debütroman „Vater Unser“ von Angela Lehner taucht man in das Innerste der psychisch kranken Protagonistin Eva Gruber ein und geht in ihrem Wahn verloren.

Von Michaela Pichler

Angela Lehners erster Roman hätte auch gut „Eine flog über das Kuckucksnest“ heißen können. Zumindest, wenn es nach dem Ort des Geschehens geht: Das Setting von „Vater Unser“ erinnert an Ken Keseys Klassiker. Mit Einzel-, Gruppen- und Musiktherapie, Hagebuttentee in Schnabeltassen und PatientInnen in Jogginghosen verfestigt sich das Bild des Alltags in einer Klinik für psychische Erkrankungen. Mittendrin befindet sich Eva Gruber, die aus der Ich-Perspektive von ihrem ganz persönlichen Wahnsinn in einer Psychiatrischen Anstalt erzählt.

Kurz vor Mitternacht stürmt ein Schwesterich das Zimmer. Ich habe im Schlaf geschrien. Wir beruhigen uns beide, ich mich schneller als er, dann schlaf ich wieder ein. Um eins weckt er mich erneut, als er kontrolliert, ob ich schlafe.

Die Psychiatrie auf der Baumgartner Höhe in Wien wirkt wie eine „Irrenanstalt als Naherholungsgebiet“, schreibt die Autorin Angela Lehner. Eingebettet zwischen Schrebergärten und Poolanlagen befinden sich die einzelnen Krankenhaus-Pavillons, in denen auch die Protagonistin Eva Gruber ihr Patientinnen-Dasein fristet.

Queen of Manipulation

Vor allem in den Gesprächen mit ihrem Therapeuten Dr. Korb lernt man Eva Gruber kennen, in den Therapiesitzungen arbeitet sie ihre verworrene Vergangenheit auf. Aus einem Kärntner Kaff stammend ist Eva zynisch, aufmerksamkeitsfixiert und vor allem eines: manipulativ. Geplagt von der eigenen Psyche, von familiärem Missbrauch und Katholizismus, macht sie in der Klinik, was sie am besten kann – lügen, betrügen und Mordpläne schmieden. Ihren falschen Fährten folgen nicht nur die Protagonisten, auch die Lesenden fallen drauf rein. Was darf man glauben? Wer hat was gemacht? Was ist wirklich passiert? Dem Wahn endgültig verfallen, setzt sich Eva schließlich in den Kopf, ihren Vater zu töten.

Ja, den Vater umzubringen ist das letzte Mittel, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Ein kosmisches Gleichgewicht sozusagen. Der Vater soll die Gerechtigkeit am eigenen Leib spüren: Er soll sie spüren, wenn ich ihm damit die Kehle durchschneide, wenn ich sie ihm in den Bauch hineinschieße oder ihm mit ihr das Gesicht herunterreiße.

Der Ursprung des Wahns liegt in Kärnten

Wie die Protagonistin kommt auch die Autorin Angela Lehner aus Kärnten, genauer gesagt aus Klagenfurt. Mittlerweile lebt die studierte Literaturwissenschafterin aber in Berlin. Braucht man den geografischen Abstand, um über österreichische Klischeethemen zu schreiben? Diese Frage verneint die Jungautorin Lehner. „Ich hatte ja nicht vor, einen Roman über Kärnten oder Österreich zu schreiben. Das Thema ist viel eher aus der Eva-Gruber-Figur entstanden.“ Die Geschichte hat sich im Schreiben quasi verselbstständigt. „Ich bin irgendwann wirklich dagesessen und hab’ mir gedacht: ‚Huch, jetzt sitzen die auf der Baumgartner Höhe!‘“

Buchcover in Rot und Pink

Hanser Berlin

„Vater Unser“ von Angela Lehner ist 2019 im Verlag Hanser Berlin erschienen.

„Vater Unser“ ist quasi unabsichtlich ein Österreich-Roman geworden. Der katholische Rahmen, der mit dem Buchtitel und den Unterkapiteln „Der Vater“, „Der Sohn“ und „Der Heilige Geist“ den Inhalt einspannt, ist übrigens nicht als Religionskritik zu verstehen, wie Angela Lehner im Interview erzählt. „Mir geht es im Buch eher darum, welche Funktion die katholische Kirche in der österreichischen Landbevölkerung der 1980er-Jahre einnimmt. Und in den Erinnerungen und der Vergangenheit der Eva Gruber erfüllt sie vor allem eine sehr konkrete soziale Funktion.“

Der Roman „Vater Unser“ lebt vor allem von der widersprüchlichen Gedankenwelt der Eva Gruber. Zwischen Schein und Scheinheiligkeit ist man ihrer dauernden Manipulation ausgesetzt – gerade die hält allerdings die Spannung bis zum Schluss aufrecht. Mit Themen wie Kindesmissbrauch befasst sich der Roman mit schwerer Kost – dank Lehners Schreibe und ihren sehr lebendigen Charakteren bekommt man beim Lesen zwischen Horror-Flashbacks in der Therapiestunde durchaus humoristische Pausen zum Aufatmen.

Angela Lehner ist damit ein Debüt gelungen, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen möchte. Aber Achtung, an dieser Stelle sei vorgewarnt: Es besteht nämlich die Gefahr, sich in Eva Grubers Lügennetzwerk zu verstricken und in ihrem manischen Handlungslabyrinth verloren zu gehen.

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