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Maurice Ernst

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Maurice Ernst über das neue Bilderbuch-Album „Vernissage My Heart“

Auf ihrem sechsten Album „Vernissage My Heart“ greifen Bilderbuch nach den Sternen. In ihrer von Zitat-Pop, Psychedelic Rock und P-Funk getragenen Galaxie dreht sich alles um Freiheit, Freundschaft und positive Energie.

Von Daniela Derntl

Zwei neue Alben innerhalb nur eines Jahres zu veröffentlichen scheint momentan ein Ding zu sein. Denken wir an die beiden britischen Indie-Rock-Bands The 1975 und Foals - sowie an das schillerndste heimische Pop-Chamäleon - Bilderbuch.

Im Dezember 2018 haben sie ihr introspektives, loungig-romantisches fünftes Album „Mea Culpa“ veröffentlicht, jetzt legen sie drei Monate später mit dem rockig-expressionistischen „Vernissage My Heart“ nach.

Was die beiden Platten verbindet und trennt, hat uns Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst im Interview verraten.

Daniela Derntl: „Mea Culpa“ habt ihr im Dezember 2018 quasi über Nacht veröffentlicht, sowas kennt man ja nur von den großen Stars aus den USA. War es schwer, die Platte ganz alleine in die Welt zu schicken? Ohne Erklärung, ohne Videos, ohne Promo. Oder war es auch mal ganz angenehm, sich zurück zu lehnen, die Hände zu verschränken und das Ganze zu beobachten?

Maurice Ernst: Es war wirklich sehr cool. Also das Gefühl, sich selbst und die Leute da ein bisschen zu überraschen. Einfach nur vier Tage davor auf Instagram ein bisschen was rauszuhauen. Mit dem Wissen, dass die Leute, die man erreichen könnte, nicht alle auf Instagram und unserem Kanal hängen. Trotzdem, ein befreiendes Gefühl, zu sagen, jetzt stellen wir die Musik nach vorne und wir sagen mal nichts und hüpfen mal nicht von Interview zu Interview. Oder eine übertrieben große Kampagne davor machen, mit ‚Bitte, kaufen Sie‘, und ‚Hier, die große Tour‘. Sondern einfach nur Bamm. Das war geil.

Bilderbuch vor stilisierter Europa-Fahne

Hendrik Schneider

Was war da die erfrischendste Erfahrung, als ihr euch da aus dem ganzen Promo-Zirkus rausgenommen habt?

Naja, das Krasse ist, wenn man anfängt, so eine Platte zu promoten, und das einen Monat geht - manchmal geht das ja auch drei Monate -, und mit jeder Kleinigkeit wachsen gewissermaßen die eigenen Erwartungen oder steigen die kleinen Enttäuschungen. Das heißt, es verschiebt sich die Realität von der Musik zu einer gewissen Erwartungshaltung. Man reflektiert ganz anders. Und wenn man Musik einfach nur raus haut, dann sitzt man am Release-Tag da, ich hab einfach eine Flasche Sekt gehabt und war einfach angenehm betrunken. Ich hab mich gefühlt wie ein König. Es war einfach nur: pure Emotion raus und die positiven Gefühle zurückbekommen, ohne groß darüber nachzudenken.

Das klingt sehr entspannt. Mit der zweiten Platte „Vernissage My Heart“ tut ihr euch jetzt hingegen wieder den Stress mit einem offiziellen Release an. Warum habt ihr gleich zwei Platten veröffentlicht? Ihr hättet ja auch eine Längere machen können.

Es hat verschiedenen Gründe gegeben. Erstens:

Bilderbuch ist tendenziell eine fordernde Band

Das heißt, eine gute Selbsteinschätzung erfordert, dass man es nicht übertreibt mit der Länge. Das haben wir auch alles schon erlebt. Zweitens: Es gibt Unterschiede zwischen den Alben, und den Unterschieden im richtigen Moment nachzugehen war meiner Meinung nach eine super Entscheidung. So haben wir viel eher schlüssigere und stringentere Alben machen können. Und die beiden Alben sind für mich jetzt die schlüssigsten Bilderbuch-Platten, die wir bis jetzt gemacht haben.

Man kann ja schon vom jeweiligen Album-Cover ein bisschen auf den Inhalt des jeweiligen Albums schließen. „Mea Culpa“ klingt introvertierter und „Vernissage My Heart“ expressionistischer, stilistisch schwerer einzuordnen. Aber inwiefern hängen die beiden Platten zusammen bzw. unterscheiden sie sich, denn sie sind ja beide gleichzeitig entstanden?

Ganz am Anfang steht, dass die beiden Platten eine ganz andere Energie haben. Die eine richtet sich nach innen, die Energie geht sozusagen auf das Ich und vielleicht die Liebe zu einer Person, sie ist recht romantisch und eigentlich überraschend privat auch, was man erst nachher checkt. Das ist sehr nahe am Menschen – verhältnismäßig für uns, wir sind ja keine Folksänger (lacht). Und die „Vernissage“ folgt eher der Idee einer Energie. Das ist weniger, wenn man sich gefühlsduselig gibt, sondern die „Vernissage“ ist eben dieses Wir, das Positive, das Aufbrechen, das Hippie-eske. Die Energie geht nach außen. Und in dem „sich das Herz aufmachen“ liegt auch die Zerrissenheit. Und es ist lustig, denn es hat auch was Sampler-haftes in einem Gefühl. Die ist da ziemlich schräg. Die hat allein schon so viele Stimmen. Ich glaube ich habe sechs verschiedene Stimmen bei den ersten sechs Liedern. Ich singe nie eine Strophe in der gleichen Stimme. Einmal Kopf-, einmal Bauch-, einmal fünf Stimmen, einmal Autotune.

Es gibt vieles zu entdecken. Auffallend war ja bei den beiden Platten, dass es nicht nur musikalisch in eine andere Richtung gegangen ist, sondern auch, dass es eine Abkehr vom Konsumismus gab. Im Song „Lounge 2.0“ hat euer Protagonist erstmals finanzielle Sorgen. Das kennt man ja von euch – eher großspurig unterwegs – nicht. Er hat kein Bargeld fürs Taxi, isst Mittagsmenüs, und zum Schluss kommt der Satz: „Du verdienst jetzt richtig Geld, aber nicht genug für diese Welt“. Sind Bilderbuch jetzt in der harten Realität gelandet, in der es sich jetzt nicht mehr so gut ausgeht?

Wir sind bei diesen Platten auf einer Ebene gelandet, wo wir wieder angefangen haben, Musik zu machen, wo wir uns als Künstler gefühlt haben, wo wir nicht an sowas gedacht haben, wo das weniger eine Rolle gespielt hat. Auch nicht aus Trotz, dass wir jemand beweisen müssten, dass man Geld verdienen kann mit Musik. Das ist auf einmal nicht mehr relevant gewesen. Deshalb hat man dieses Stilmittel nicht mehr so als Trotz verwenden können und als Glorifizierung haben wir es nie so richtig verwendet. Wir haben es immer ein bisschen einbrechen lassen. Aber die Wichtigkeit, das ist ganz richtig, ist ein bisschen gesunken. Wir sind ja immer noch eine kapitalistische Band, aber ...

...vielleicht sind wir eine kapitalistisch-antikapitalistische Band.

Denn von der materiellen Welt entfernen wir uns. Es wird weniger Objekt. Es ist geistiger geworden. Es ist mehr Gefühl.

Die erste Single aus dem neuen Album heißt „LED Go“ und ist ein typischer Bilderbuch-Ohrwurm. Da kommen auch wieder Markennamen vor. Es wird auch spirituell, wenn du von Hare Krishna singst und dann „legtst du dich lieber nieder, in A Gadda Da Vida“. Und das fand ich ja ziemlich lustig, denn „A Gadda Da Vida“ ist eine 17-minütige Psychedelic-Rock-Nummer von Iron Butterfly aus dem Jahr 1968. Warum zitiert ihr ausgerechnet diese Nummer?

Es passt ganz gut, der Garten Eden als großes Wort und als großes Bild und dann hat man noch, was wir immer lieben, einen Pop-Querverweis, noch dazu eine geile Nummer. Die meisten Leute kennen es ohnehin vom Sound, denn das ist so berühmt. Das ist schon Grund genug, dass man sich das auch wieder mal aufschreibt, weil es singt sich doch herrlich: „Ich leg mich lieber nieder, in A Gadda Da Vida“.

Zum Songtitel „A Gadda Da Vida“ gibt’s ja auch die Legende, dass der Iron-Butterfly-Sänger Doug Ingle so high war, dass er im Rausch nicht „In the Garden of Eden“ singen konnte, sondern nur „In A Gadda Da Vida“ heraus gebracht hat. Schreibst und singst du eigentlich auch Under Influence? Auf „Mea Culpa“ geht’s ja auch um Weed, und Lyrics wie „Lalala, lululu“, und „Baby, Bubu“ lassen das vermuten. Woher kommt diese Sprache?

Meistens ist es nicht Under Influence (lacht). Es ist eher so, dass es ein gutes Training ist für Performance, einfach den Kopf auszuschalten. Es hat was Meditatives. Und wenn man mal den Kopf ausschaltet und einfach nur der Emotion entsprechend singt, dann kann es halt mal passieren, dass Lalala oder ein Szabelbu genug Kraft hat, die ganze Welt zu fassen. Verstehst du?

Es gibt einfach Sachen, die kann man nicht sagen, die muss man singen!

Und das ist genau der Punkt: wenn man nicht darüber nachdenkt, dann passieren solche Dinge. Und Sprache muss man dehnen, muss man ein bisschen zerstören. Das ist auch gut so, das ist unsere Zeit.

Die neue Platte ist psychedelischer geworden und dann zitiert ihr auch einen Song aus 1968, der Zeit der Hippies. Warum widmet ihr euch jetzt auch dieser Epoche?

Zitate sind uns wie gesagt immer wichtig, und wir haben gefühlt, dass wir in einer Zeit sind, wo unserer Meinung nach der Big Pop und auch diese Achtziger-Jahre-Geste nicht mehr ganz hält und man sich eigentlich schon in den Grunge wünscht, aber irgendwie kommt man nicht ganz an. Man ist eher so auf Do-It-Yourself-Cloud-Rap, was grundsätzlich ein guter Spirit ist, aber uns musikalisch auch nicht genug war, außer einer kurzen Inspiration. Da müssten jetzt mehr Jazz-Musiker Moneyboy-Fans sein, dann können nochmals ein paar Steps passieren. Was ja auch passiert und was gut ist, aber das dauert halt. Somit ist dieser Approach popkulturell vermischt mit dem Gefühl, was Eskapismus sein könnte. Deshalb finde ich auch P-Funk aus den 70ern spannend. Wenn alles scheiße ist auf der Welt, oder man nicht weiß, wie es weiter geht, dann hilft nur mehr noch das Weltall und die große Liebe von da draußen. Sprich – entweder abgeholt werden von dem Shuttle, wie in dem ersten Song: „Irgendwann kommt es ganz bestimmt, dieses Shuttle, das uns Zukunft bringt.“ Es geht um dieses Warten auf irgendeine Erlösung. Und das haben die Hippies und auch die P-Funk-Sachen ganz gut eingefangen, dass es eigentlich was Größeres ist, als was nur rein Reales. Also etwas Transzendentes, oder eine Vorstellung von etwas, das es nicht gibt – oder was es eben hundertprozentig gibt. Und das hat die „Vernissage My Heart“ auch. Und das hat uns dann irgendwie angefixt, weil das auch einer Band entgegen kommt. Ein bisschen mehr Hippie, diese Attitüde, da kann man dann wieder ein bisschen mehr Geräusch machen.

Freiheit ist ein ganz wichtiger Begriff auf dem neuen Album. Warum ist das jetzt ein wichtiges Thema für euch?

Freiheit kann man nicht über einen Kamm scheren. Es gibt verschiedene Freiheiten: eine mitteleuropäische Freiheit, die ganz selbstverständlich ist und selbstverständlich gelebt wird. Von der auch ausgegangen wird. Und es gibt andere Freiheiten in anderen Ländern der Welt, wo Freiheit ganz was anderes bedeuten kann. Dann gibt’s eine sehr subjektive Freiheit, die man im Beruf oder in der Liebe empfindet. Und in meinem Fall gibt es auch eine künstlerische Freiheit. Und das ist ja schon mal spannend:

Wie kann man über Freiheit singen? Wir haben es so gemacht, dass wir versucht haben, uns die Freiheit im Musikmachen zu nehmen.

Das haben wir wirklich gelebt und deshalb ist auch sowas rausgekommen. So eine Nicht-Kampagne, die eigentlich unglaublich schwer zu verkaufen ist. Das hat etwas mit Freiheit zu tun. Das hat etwas mit dem Verlangen zu tun, sich frei bewegen zu können. Dass man das macht, was man als Vierer-Gruppe gerne macht, nämlich irgendwelche Ideen zu formulieren. Ich glaub, man kann nicht über Freiheit singen, ohne dass es pathetisch ist, wenn die Musik zum Beispiel nicht frei ist. Oder wenn die Attitüde, mit der die Musik performt wird, nicht frei ist oder frei wirkt. Klar, politisch ist es auch unglaublich spannend. Und da mit Gefühl über Politik drüber zu gehen, und alles in ein großes Gefühlsschauspiel zu verwandeln ist ja gewissermaßen die Aufgabe von Musik und Kunst.

Auf „Vernissage My Heart“ kommt auch wieder die „Generation Nie Game Over“ vor. Die kennen wir ja schon von dem Song „Checkpoint“. Woher kommt das? Ist das eine Rebellionshaltung? Ein Wir-Halten-Dagegen, ein Wir-Geben-Nicht-Auf?

Es hat auch einen Endlosschleifen-Charakter. Es ist eben nicht nur ein Glorifizieren einer Generation. Mein Opa hat einmal gesagt: „Heutzutage bringt einen nichts mehr um, außer man stirbt.“ Und das trifft irgendwie genau das Gefühl, dieses Nie-Game-Over. Wir leben heute in Watte gebauscht, in einer gewissen Lethargie dahin.

Jede Emotion ist wie ein Schokoladen-Snack. Ja, den kann man nehmen. Muss man aber nicht. Man kann auch ohne dem existieren.

Man konsumiert halt Emotion. Und ich finde, das ist auch so Generation-Nie-Game-Over für mich. Das hab ich eigentlich gar nicht so positiv konnotiert, muss ich sagen.

Ein Wort, das noch häufiger als „Freiheit“ vorkommt ist allerdings „Frisbee“. Das hört man in „LED Go“ und es gibt auch noch den gleichnamigen Song „Frisbeee“ – mit drei E. Und in dem Song steht der Frisbee auch für eine flache Erde. Was hat es also mit dem Frisbee auf sich?

Wir haben wirklich viel Frisbee gespielt auf der Tour, am Parkplatz nach den Auftritten. Das war unglaublich schön und meditativ und freundschaftlich. Und da hat man einfach gemerkt, wie geil das ist, wenn einfach fünf, sechs Leute in einem Kreis stehen und auf einmal wird nicht mehr geredet. Sondern Boombox an, keiner hat gesprochen, nur ein bisschen getanzt und geschossen. Voll geil. Und da ist dieser Vibe entstanden. Das hat was Hände-reichendes, was unglaublich Gutes. Und natürlich hat man dann Fantasie und überlegt sich, was ist eine Frisbee. Und dann war irgendwann der Satz da: Meine Erde ist flach. Ich finde, das ist ja auch ein naiver, schöner Umgang, diese Verschwörungstheoretiker zu entzaubern. Ihnen geht’s ja wahrscheinlich genau um das, Leute zu finden, die dieselbe Idee haben, die mit ihnen an etwas glauben. Dass sie endlich mal nicht mehr nur alleine und betrogen dastehen, sondern dass sie sich an irgendwas festhalten können. Nicht, dass ich an sowas glaube, aber dass man sagt: Alle meine Freunde spielen Frisbee heut Nacht, und mir wird wieder klar, meine Erde ist flach. Also auch das Erkennen, wie wichtig Freundschaft sein kann. Das Erkennen, wie wichtig Nächstenliebe sein kann. Das klingt so saublöd, aber das ist trotzdem eine Thematik, die sich bei „Vernissage My Heart“ durchzieht: Nächstenliebe und Händereichen, aber auf eine verspielte, naive Art und Weise. Das ist Frisbee.

In „Frisbeee“ singst du ja auch „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“. Mir wäre ja die Songzeile nicht weiter aufgefallen. Aber im FALTER-Interview hast du gesagt, dass das heikel wäre und dass das deshalb ein wichtiger Satz auf der Platte wäre. Warum?

Es gibt Leute, die sind noch mehr aware als ich, und es gibt Leute, die sind gar nicht so aware und denen ist das ziemlich wurscht. Von dem her muss man mal die Blicke checken, wenn man so einen Satz singt. Ich hab einer meiner besten Freundinnen den Satz vorgelesen, und die meinte dann: Das ist aber schon komisch. Und ich so: naja, ich will das, ich muss das, ich find das geil. Und ich finde es so wichtig einfach. Es ist vor allem so normal. Man darf es eh nicht überthematisieren.

Es ist vor allem so ein braver Satz!

Das ist ja auch biologisch und fast schon Mutter-mäßig, dass man sagt, ein Kind wünscht sich zum Busen der Mutter zurück. Aber was ich da schon spannend finde, und was allgemein auch ein bisschen Thema für mich war, dass mich die pseudo-intellektuellen Stellvertreter-Diskussionen, die da geführt werden, auch in meinen Kreisen, ein bisschen genervt haben. Ich bin halt trotzdem der Meinung, dass man Cultural Appropriation nicht über alles drüberstülpen kann. Sondern das passiert wo und das wird ausgebeutet. Da bin ich tausendprozentig der Meinung, dass das nicht gut ist, dass das nicht gemacht werden soll im großen Stile. Aber einen privaten Diskurs über solche Sachen zu führen, finde ich teilweise auch sehr beengend und sehr konservativ. Da entsteht für mich eine sehr rückschauende Einstellung von Leuten, die eigentlich nur nach vorne schauen wollen, die eigentlich positiv sein wollen, aber unglaublich konservativ argumentieren.

Ich stehe für eine offene Welt. Ich steh für Austausch. Ich will Austausch.

Deshalb kommen auch so Sachen vor wie „Diese kalte Welt braucht mehr Approximation. Weil es gibt nur eine Culture, und die kennt keine Nation“. Natürlich ist das nicht wahr und natürlich stimmt das nicht und natürlich ist das alles eine Utopie, aber dahin muss der Gedanke ja gehen. Alles andere wäre ja nur kriegsfördernd auf Dauer oder würde Probleme machen. Und da sind dann so Sätze wie „Der Busen hüpft“, die muss ich dann singen. Weil im Herzen versuche ich einfach, rein zu bleiben, und einen guten Spirit zu geben. Und da muss man einfach hin. Denn Sexismus ist für mich ein Problem in der deutschsprachigen Musik. Mich widert das ein bisschen an. Deswegen muss man da wieder einen Zugang finden. Es war schon für mich ein Thema: Wo ist meine Freiheit? Damit meine ich auch nicht diesen Nein, ich kann ja nichts mehr machen. Das mag ich auch nicht. Aber das ist ja genau das Spannende. Es gibt zwei Seiten, wo du eigentlich nicht hin willst. Du willst in der Mitte bleiben, frei von diesen zerrenden Kräften, die dich so in einen Chor einfallen lassen. Das ist auch ein Versuch der „Vernissage My Heart“, da eine Farbe oder Attitüde zu finden, die frei von dieser Argumentation sein kann.

Mit „Kids Im Park“, dem Opener des Albums, macht ihr den Hörern und Hörerinnen den Einstieg in die Platte nicht leicht. Warum hat es diese Nummer auf dem ersten Platz gebraucht?

Das hat sich so notwendig für uns selbst angefühlt, weil das ist eine Energie, die man gerade sonst nicht bekommt. Es hat uns einfach so unglaublich angefixt. Wir haben uns gedacht, wir müssen da eine Art von Rock, von krassem, dreckigem Gefühl dahin schmieren. Und ich finde es einfach so angenehm, weil es so das Gegenteil von Drake ist.

Eine Million Mal nicht Drake! Das ist so ein grundsätzlicher Befreiungsschlag für uns.

Und auch ein Bekenntnis. Dass etwas anders ist und etwas anderes probiert werden muss. Und das ist so ein Lied, das wir machen, weil wir irgendwie glauben, dass es wichtig ist für uns.

Eine der Nummern, auf die ich am meisten gespannt war, war „Europa22“, das letzte Stück des neuen Album mit einer Spiellänge von fast zehn Minuten. Wie ist diese Nummer entstanden?

Die ist eine der Ersten gewesen, zusammen mit „Sandwishes“. Lustigerweise der Opener von „Mea Culpa“ und die letzte Nummer von „Vernissage My Heart“ waren so die Ersten. Den Willen, einen Song über Europa zu machen, gibt’s eigentlich schon seit „Magic Life“. Doch wie kann man einen politischen Song machen, der nicht gleich politisch ist im ganz klassischen Punk-Sinn, oder realpolitisch, oder der fingerdeutet, oder Intellektuellen-Hip-Hop, oder Protestsong-mäßig? Es gibt so viele Arten und Weisen. Aber wie kann man einen Song machen, der so ein Thema hat, so ein großes, eigentlich fast ein zu großes, aber gleichzeitig nur über Hoffnung und Bewusstwerdung funktioniert?

Ich habe irgendwie festgestellt, ich fühle mich als Erbe eines Europas, das ich wirklich sehr geil finde.

Und das man sich dann irgendwie an so einem Thema versucht, ist vielleicht ganz natürlich. Und ich wollte halt irgendwie auch mein Erbe verteidigen mit dem Text. Und es ist nicht so prätentiös wie es sein könnte. Es ist offen und es ist positiv.

Maurice Ernst auf EU-Pass

Bilderbuch

Wie stellst du dir Europa 2022 vor?

Ich persönlich möchte überhaupt keine Zukunftsprognosen machen, weil ich mich überhaupt nicht auskenne mit Realpolitik. Aber was ich sagen kann ist, dass ich mir wünsche, es bleibt mindestens so geil, wie es jetzt ist. Und so frei, wie es jetzt ist. Und das Level zu halten, ist eh eine Aufgabe. Ich glaube, es geht uns allen richtig gut, zumindest uns da, wo wir leben. Und ich hoffe dessen werden sich die Leute auch bewusst, dass es ihnen eigentlich richtig gut geht, wenn sie gesund sind.

Der Song „Europa22“ dauert fast zehn Minuten und die letzten fünf Minuten sind gänzlich instrumental. Wie ist das entstanden?

Freedom! Einfach eine spontane Idee und dann hat man das einfach gespielt. Es war wirklich ein Jam, nicht geschrieben, nicht geplant, einfach nur drauf gehalten.

Wie kann man sich diese 10-Minuten-Nummer live vorstellen?

Im aktuellen Set werden wir diese Nummer noch nicht in der langen Version spielen. Allgemein hoffe ich, dass wir es schaffen, dass die nächste Tour einen großen Live-Spirit hat. Die letzte Tour war mit E-Drum-Set, eine Club-Tour, eine digitale Rock-Show. Jetzt spielt Lukas König, der Schlagzeuger von Koenig Leopold und Koenig, live als fünfter Musiker mit. Er macht Bongos, Synths und Percussion. Das ganze wird dementsprechend noch ein bisschen freier. Wir wollen neue Wege gehen für uns und auch einen anderen Live-Musik-Entwurf zuspitzen.

Auf welche Nummer freust du dich am meisten, sie endlich live zu spielen?

„Checkpoint“ ist so dankbar. Das ist ein Wahnsinn. Diese Nummer spielt sich fast von selbst. Es ist so, als würde das Lied die Performance übernehmen. Das ist ganz geil. Da merkst du halt dann, wow, das ist ein guter Song. Eine Nummer wie „Checkpoint“ ist vielleicht eine der besten, die wir jemals geschrieben haben.

: Im Mai spielt ihr auch zweimal vor dem Schloss Schönbrunn. Wie bereitet ihr euch auf dieses Konzert vor? Wie stimmt ihr euch mental darauf ein?

Dadurch, dass der Vorverkauf schon so lange läuft, hat das Einstimmen schon relativ früh begonnen (lacht). Ich bin schon gefühlt zwei Sommer mit meinem E-Moped daran vorbeigefahren. Und dann schau ich dort so nach rechts oder links – je nachdem – und das macht schon ein bisschen ein komisches Gefühl. Es ist schon sehr „impressive“. Aber – und das ist gerade meine neue Art, auf das zu blicken – man darf es dann auch nicht überinterpretieren. Es ist nur ein Konzert. Aber natürlich ist es krass.

Ich glaube auch, dass die Tage nach Schönbrunn ganz eigene werden. Die werden sich anders anfühlen. Ich glaub auch, dass es mit uns was macht.

Und ich glaube, dass es nach diesen zwei Konzerten nochmals einen anderen Blick auf uns als Band oder auf das, was wir noch machen wollen, produzieren kann.

Gibt’s beim Schönbrunn-Konzert dann auch den langerwarteten Auftritt von Maurice Antoinette mit weißgepuderter Perücke?

Wow. Ist echt eine gute Idee. Ich muss zugeben, das habe ich jetzt nicht am Schirm gehabt. Aber why not?

Ich seh dich schon so rauskommen auf die Bühne!

Jetzt seh ich mich auch so. Ich würde mich eigentlich freuen. Vielleicht bei den Zugaben. So ein bissl ins Korsett hauen! (lacht)

Oh yeah! We are waiting for it! Vielen Dank für das Gespräch.

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