FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Bilderbuch auf einer Europa-Fahne

Hendrik Schneider

Liebe Is The Place To Be

Bilderbuch spielen in ihrer eigenen Liga. Auf ihrem sechsten Album „Vernissage My Heart“ fliegen sie „hoch hinaus in die Galaxie, mit einem Shuttle, das uns Zukunft bringt“. Bei ihrem psychedelischen Trip bleibt Veränderung die einzige Konstante.

Von Daniela Derntl

Der Weltraum, unendliche Weiten

Bilderbuch entwerfen auf ihrem sechsten Album „Vernissage My Heart“ ihr eigenes Sci-Fi-Epos. Sie docken dabei an der popkulturellen Vergangenheit an, um in die Zukunft zu reisen: „Wenn alles Scheiße ist auf der Welt, und man nicht weiß, wie es weiter geht, dann hilft nur mehr noch das Weltall und die große Liebe von da draußen“, sagt Sänger Maurice Ernst im FM4-Interview und im ersten Song des neuen Albums, „Kids im Park“ singt er:

Zukunft one-way
Hin, wo das Licht ist.
(…)
Wir wollen fliegen im Superspeed Spaceship.
(…)
Wir wissen nicht, ob es heute kommt,
aber irgendwann kommt ganz bestimmt
dieses Shuttle, das uns Zukunft bringt.

Buntes Plattencover

Bilderbuch

„Vernissage My Heart“

Das „Superspeed Spaceship“, mit dem Bilderbuch abheben, mäandert durch breite, schwere Stoner-Rock-Gitarrenwände. Ein schleppender Start. Matt. Metallisch. Dreckig. Die vier „Outtaspace Cowboys“ winden sich aus dem „tiefen Loch“, in das sie gefallen sind und setzen ihr tonnenschweres Shuttle langsam, aber kraftvoll in Gang.

Ihr Raumschiff betanken sie mit Psychedelic Rock, Space Pop und P-Funk der 1960er und 1970er Jahre. Alte Hippie-Ideen treffen auf Autotune, Cloud Rap und eine ausgeklügelte Wissenschaft von Effektgeräten. Man driftet weg, die abermals virtuos rockende Gitarre von Michael „Mizzy“,„Snacky Mike“ Kramer, der für Sänger Maurice Ernst der wichtigste Ansprechpartner auf dem neuen Album ist, sprudelt über wie eine Ölquelle. Ein wertvoller Schatz und weiterer, wichtiger Treibstoff für die 35-minütige Reise ans Licht, auf der Suche nach Transzendenz, Gemeinschaft und Liebe.

Essentiell im Bilderbuch-Universum: Frisbees

Kindlich-naiv besingt Maurice Ernst in „Frisbeee“ die nächtlichen Frisbee-Sessions, mit denen sich die Band nach ihren Auftritten am Parkplatz entspannt. Nach getaner Arbeit nölen die Kollegen schön verstrahlt „Frisbeee“ im Hintergrund. Man hört das Bier und den Spliff in ihrer Hand. Und ebenso locker-lässig hingeworfen klingt die lofi Indie-Scheibe auch:

Outtaspace-Cowboys
reiten Frisbees durch Nacht
und mir wird wieder klar:
Meine Erde ist flach.
Diese Welt dreht sich nicht
nur mehr um mich
und mir wird dabei
so herrlich schwindelig.

Der Frisbee landet durch seine schräge Flugbahn auch in Song Nummer Drei, dem geschmeidig groovenden Ohrwurm „LED go“. Spätestens jetzt weiß man, dass man sich hier auf dem richtigen Trip befindet. Man ist auch „so frei“ und „bereit für diese Galaxie“. Hier gibt’s keine dunkle Materie oder schwarze Löcher, sondern nur kosmischen, glitzernden Staub, schillernde Sonnensysteme, einen magischen Sog:

Ich leg mich lieber nieder
in a gadda da vida.

Zitat-Pop

„In A Gadda Da Vida“ heißt auch eine 17-minütige Psychedelic-Rock-Nummer von Iron Butterfly aus dem Jahr 1968, in der es der jahreskonform flexibel, aber gründlich illuminierte Frontman Doug Ingle nicht geschafft hat, die Text-Zeile „In the Garden of Eden“ verständlich über die Lippen zu bringen. Weitere popkulturelle Zitate finden wir im gleißenden Sonnenschein von „Ich hab Gefühle“. Dort singt Maurice Ernst mit hochgepitchter Autotune-Stimme über „Soma“, das stimmungsaufhellende Beruhigungsmittel aus Aldous Huxleys dystopischem Roman „Schöne neue Welt“:

Gott weiß, es ist nicht immer easy,
doch ich bin bereit für das Risiko.
Gib mir all den Schmerz und kein Soma.
Generation nie Game Over

Gefühle, Gefühle, Gefühle

Bilderbuch wollen nicht in Watte gepackt werden. Sie brauchen die volle Dosis Gefühl. So auch in „Mr. Supercool“, wo uns Maurice Ernst mit aufgeregt wedelndem Schwanz entgegen bellt: „Wuff, wuff, wuff“. Kokett, androgyn und sexy wie Prince lässt er keine Zweifel, dass es ihm bei „Bello bello“ nur um das Eine geht:

Du hast es.
Ich will es.
Ich brauch es.

„Mr. Supercool“ ist mondäner Irrsinn. Geschüttelt und gerührt. Bilderbuch cruisen voll Überschwang durch ihre Galaxie und werfen die Hände vor Freude zum Himmel.

Neben Emotionen, Freundschaft und Liebe ist Freiheit ein weiterer Fixstern ihres Sonnensystems. Am deutlichsten wird das in „Europa 22“, der letzten Nummer des Albums. Es ist ein krönender, zehnminütiger Abschluss, eine frei fließende Hymne für ein grenzenloses Europa, deren zweite Hälfte aus einem sanft schwebenden Instrumental-Jam besteht. Untermauert wird ihre Botschaft durch eine gelungene PR-Aktion, dank derer es jetzt eigene EU-Reisepässe von Bilderbuch gibt. Eine schöne Idee, um den Spirit weiterzutragen.

„Vernissage My Heart“ ist auf vielen Ebenen ein erhebendes Album, das zusammen mit seinem bereits im Dezember erschienen, introvertierten Zwilling „Mea Culpa“ beweist, dass Bilderbuch die modernste und kompromissloseste Pop-Band des Landes ist. Und wenn der schlaue Maurice Ernst folgende Zeile in „Ich hab Gefühle“ singt, kann man ihm und seiner Selbsterkenntnis nur beipflichten:

Manchmal, da fühl ich diese Welt. Sie braucht mich.

Aktuell: