FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Cover

Antje Kunstmann Verlag

buch

Psychedelika auf Rezept?

LSD gilt als die Hippiedroge schlechthin. Jetzt ist es wieder da. Als Wundermittel gegen psychische Krankheiten. Und genau dafür wurde es vor 60 Jahren auf den Markt gebracht. Die Geschichte einer faszinierenden Substanz.

Von Anna Masoner

Alles beginnt mit einem Zeitungsartikel. Vor ein paar Jahren liest der US-amerikanische Sachbuchautor Michael Pollan in der „New York Times“ eine Geschichte, die ihn aus den Socken haut. Berichtet wird von Forschern, die Krebspatienten im Endstadium mit Psilocybin – dem psychoaktiven Wirkstoff bestimmter Magic Mushrooms – behandelt, damit sie besser mit ihrer Todesangst umgehen können. Ist das nicht verrückt?

"Konfrontiert mit einer Todesdiagnose, wäre das Allerletzte, was ich tun wollte, psychedelische Drogen einzunehmen – d. h. die Kontrolle über mein Denken aufzugeben und dann in diesem psychisch verletzlichen Zustand direkt in den Abgrund zu starren. Doch viele der Versuchspersonen berichteten, dass sie im Verlauf einer einzigen begleiteten psychedelischen „Reise" ihre Sichtweise auf ihren Krebs und die Aussicht zu sterben überdacht hätten. Mehrere von ihnen sagten, sie hätten die Angst vor dem Tod völlig verloren.“

Cover Verändere dein Bewusstsein

Verlag Antje Kunstmann

Michael Pollan übersetzt von Thomas Gunkel: „Verändere Dein Bewusstsein. Was uns die neue Psychedelika-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt“

Entdeckung von 1943

Micheal Pollan, der sich als durch und durch rational und abgeklärten Materialisten beschreibt, kann das kaum glauben. Er hatte in seinen Zwanzigern zwei, drei Mal Pilze probiert, hatte aber auf seinen Trips in keiner Weise Ähnliches wie die Krebspatienten empfunden. Waren psychoaktive Substanzen wie das Psilocybin oder das synthetisch hergestellte LSD wirklich solche Wundermittel, mit denen sich auch Depressionen oder Angststörungen therapieren ließen? Seit 10 Jahren werden die Substanzen von der Wissenschaft wiederentdeckt. 50 Jahre nachdem sie erstmals im Giftschrank von Psychiatern und Hirnforschern gelandet sind. Michael Pollans Recherchen führen uns in diese Zeit zurück und beginnen mit der berühmten Entdeckung von LSD durch den Schweizer Chemiker Albert Hofman. Er kam im April 1943 als Erster durch ein Missgeschick in seinem Labor mit der Substanz in direkten Kontakt:

„Und so spielt sich in der neutralen Schweiz, in den dunkelsten Tagen des Zweiten Weltkriegs, der erste LSD-Trip der Welt ab. Es ist auch der einzige LSD-Trip, den jemand nahm, ohne irgendwelche Erwartungen daran zu knüpfen.“

Die Firma Sandoz, für die Hofmann arbeitete, brachte die Substanz ein paar Jahre später in den Handel. Sie wurde als sogenanntes Psychotomimetikum angeboten. Es ermöglichte Psychiatrie-Ärzten, sich in die Wahrnehmungswelt psychotischer Patienten zu versetzen. Mehr noch:

„Das Aufkommen von LSD lässt sich mit der Revolution in der Hirnforschung verknüpfen, die in den 1950er Jahren beginnt, als Wissenschaftler die Rolle der Neurotransmitter im Gehirn erkannten. Dass wenige Mikrogramm LSD psychoseähnliche Symptome hervorrufen konnten, regte Hirnforscher dazu an, nach der neurochemischen Grundlage psychischer Störungen zu suchen, die man bis dahin für psychologisch bedingt gehalten hatte. Zugleich fanden psychedelische Drogen Eingang in die Psychotherapie, wo sie zur Behandlung verschiedener Erkrankungen wie Alkoholismus, Angststörungen und Depressionen eingesetzt wurden. In den 1950er und frühen 1960er Jahren betrachteten viele im psychiatrischen Establishment LSD und Psilocybin als Wunderdrogen.“

Und dann kommt Timothy Leary

Der schrille Psychologe und Harvardprofessor Timothy Leary verschafft LSD zweifelhafte Berühmtheit, weil er damit nicht nur seine Patienten und sein Umfeld, sondern die ganze Welt therapieren will. Leary fliegt in hohem Bogen von der Uni und mit ihm die LSD-Forschung. Jeder, der in diesem Bereich Karriere machen will, lässt fortan die Finger von psychoaktiven Substanzen.

Pollan findet den selbsternannten Propheten Leary uninteressant, er porträtiert lieber Wissenschaftler, die abseits der Öffentlichkeit viel mehr zum Verständnis der wundersamen Chemikalien beigetragen hätten. Heute folgen Wissenschaftler und Aktivisten ihren Spuren, im Kampf um Anerkennung der Psychedelika-Forschung durch das psychiatrische Establishment und für eine neue Klassifikation der Substanz: Die Stoffe sollen legalisiert und auf Rezept verfügbar werden.

Zwischen Geschichte und Renaissance der Psychedelika-Forschung liefert Michel Pollan Persönliches, drei Reiseberichte. Seine Gefährten sind Psilocybin, LSD und die Substanz 5-MeO-DMT, die aus bestimmten südamerikanischen Pflanzen oder dem Gift einer Kröte gewonnen wird.

Die Reisen haben mir das gezeigt, was die Buddhisten uns zu sagen versuchen, ich aber nie richtig verstanden habe: dass das Bewusstsein aus viel mehr als dem Ich besteht, wie wir erkennen würden, wenn es einfach mal den Mund hielte.

Und tatsächlich zeigen die Aktivitätsmuster im Gehirn von Menschen auf LSD und Menschen, die schon lange meditieren, erstaunliche Ähnlichkeiten. In den letzten Jahren ist um beides ein Hype entstanden. Denn LSD hat nicht nur wieder in die Forschung gefunden, sondern in winzigen Dosen auch unter die Zunge der Leistungsträger, die keine Bewusstseinserweiterung suchen, sondern ihre Performance steigern wollen.

Michael Pollans Geschichte über Aufstieg, Fall und Wiederentdeckung bewusstseinserweiternder Moleküle bietet eine Kombination aus Wissenschaftsgeschichte, Erkundung in der sogenannten Psychonautenszene und Erfahrungsbericht, der auch die Risiken nicht verschweigt. An manchen Stellen wird die Erzählung detailverliebt. Trotzdem bietet das Buch spannenden Stoff, gerade für Skeptiker.

mehr Anna Masoner:

Aktuell: