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Mark Hollis singt "Such a shame"

Mark Hollis

Wer war Mark Hollis?

Nachruf auf Mark Hollis, Kopf und Sänger von Talk Talk und einer der großen Rätselhaften des Pop.

Von Martin Pieper

Such a Shame, Life’s What You Make It, I Believe in You, die Songtitel von Mark Hollis und seiner Band Talk Talk klingen posthum gelesen immer schon nach Nachruf. Die Trauer, zumindest aber die Melancholie war jedenfalls immer der Grundstoff, aus dem der Sänger, Songwriter und Bandleader seine unvergleichlichen Platten geformt hat.

Jetzt ist Mark Hollis im Alter von 64 Jahren gestorben. Das melden britische Medien, die den Tweet eines seiner Familienmitglieder zitieren. Über die Todesursache ist (derzeit) nichts bekannt. Und auch über das zurückgezogene Leben von Mark Hollis in den letzten 20 Jahren weiß man so gut wie nichts.

Die Fans von Mark Hollis haben die Hoffnung auf neues musikalisches Material trotzdem nie aufgegeben. Auch wenn Weggefährten und Freunde von Hollis immer wieder bestätigt haben, dass er sich für immer aus der Pop-Öffentlichkeit zurückgezogen habe. Ein Jammer, dass sich diese Prophezeiung jetzt viel zu früh bewahrheitet hat. Es zerreißt einem das Herz, dass einer der großen Schweigenden für immer schweigen wird. Das Verblassen, Verschwinden, Verstummen, das hat sich durch das ganze Werk von Mark Hollis gezogen. Von den bunten Scheinwerfern bei Top Of The Pops in eine pastorale Stille, gebrochen nur durch ein bisschen Klavier und ein paar Tupfern Oboe.

Mark Hollis hat mit seiner Band Talk Talk schon mit dem ersten Album 1982 „The Party’s Over“ eine perfekte Popplatte produziert. Glänzender Synthie-Pop, altkluge Melancholie, die Party war für den jungen Mann schon vorbei, dabei hatte seine Popkarriere gerade erst begonnen. Die Covergestaltung, eher Prog-Rock als schnittiger Postpunk haben schon angedeutet, dass hier nicht Jungs aus den coolen Styler-Clubs in London am Werk sind, sondern drei Musiker, die ästhetisch mehr wollen als etwa ihre Zeitgenossen Duran Duran, mit denen sie sich den Produzenten und auch die Bühnen – als Support Act – teilten.

Ein paar mittelgroße Hits, das zweite Synthpop-Album, mit „Such a Shame“ und „It’s my Life“, war in Kontinentaleuropa größer als in Großbritannien. Es hätte so weitergehen können. Dann wären Mark Hollis und Talk Talk heute wahrscheinlich nur noch in Retro-Synthpop-Zirkeln ein Thema - irgendwo zwischen Blancmange und Freur.

Mit dem Album „The Colour of Spring“ (1988) haben Talk Talk dann ihre Sound- und Emotionspalette entschieden erweitert. Kinderchöre, allerlei akustisches Instrumentarium und darüber die enigmatischen Lyrics von Mark Hollis. „Happiness is Easy“ heißt der erste Song, die Stimme von Mark Hollis, dieses halb Singen, halb Klagen, die gestopfte Trompete und eine Zeile wie „After death it’s so much fun“ sprechen dem optimistischen Titel Hohn. Die Farben des Frühlings sind maximal blassgrün. Eher kalter März als praller Mai, aber der Winter von Talk Talk hat noch nicht begonnen.

Tourneen und Auftritte waren nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung von Mark Hollis. Die Live-Umsetzung der immer komplizierter gewordenen Soundscapes machten die Entscheidung, nicht mehr aufzutreten, noch einfacher. Mark Hollis und seine beiden Mitstreiter zogen sich lieber in eine leerstehende Kirche zurück, um ihr Meisterstück „Spirit of Eden“ aufzunehmen, mit dem sie sie sich endgültig aus der Umlaufbahn des Planeten Pop schossen.

Die Produktion war kompliziert, teuer und langwierig. Die Plattenfirma war trotzdem mit dem Endergebnis nicht zufrieden. Keine radiotaugliche Single weit und breit, die A-Seite eine Art dreiteile Suite, die Lyrics am Cover zwar abgedruckt, aber in einer so krakeligen Handschrift, dass die einzelnen Zeilen unlesbar waren, ein Alptraum für die Promotion-Abteilung, „Spirit of Eden“ war jedenfalls ein komplett aus der Zeit gefallenes Album, das erst in seinem Nachwirken zu dem wurde, als was es heute gilt: ein Meisterwerk.

Ob Talk Talk damit gar das Genre Postrock erfunden haben, darüber kann man gut abnerden, die Frage wird dieser Platte allerdings nicht gerecht. Ihr Aufbruch in eine musikalische Welt, in der eine Noise-Gitarre, eine gestopfte Trompete und die Stille eines Studios nebeneinander existieren können, war für Bands wie Radiohead oder Sigur Ros ein enormer Einfluss. Dabei klingt „Spirit of Eden“ auf eine magische Art organisch, wenn man auch beim hundertsten Durchlauf kaum etwas versteht von den vokalen Mantras von Mark Hollis, die alles zusammenhalten.

Ein unglücklich verlaufender Plattenfirmenwechsel, ein zweites „schwieriges“ Album namens „Laughing Stock“ - fast verschollen – und das war es für Mark Hollis und Talk Talk. Die drei Mitglieder trennten sich. Mark Hollis zog sich zurück, und sollte sich erst wieder 1998 mit einem „Soloalbum“ zurückmelden.

Ohne Kirchenorgel, Gitarre und Schlagzeug ist Mark Hollis solo beinahe nackt. Die Stimme ganz nahe, begleitet von kammermusikalischen Instrumenten, ganz still. Das Klappern der Klaviertasten, die Stille zwischen den Tracks, man meint den im Licht tanzenden Staub des Studios hören zu können. Eine sehr spezielle Erfahrung, musikalisch mehr bei Anton Webern als bei Duran Duran, von der Plattenfirma auch gleich wieder weggeräumt. Das letzte akustische Lebenszeichen von Mark Hollis. Danach Stille. Keine Interviews, keine Reunion-Tourneen, keine Soundtrackarbeiten. Dafür ist die Liste von Musikerinnen und Musikern, die seine Musik entdeckten, bewunderten und sich davon inspirieren ließen, immer länger geworden. Amerikanische Postrocker, Metalbands, Singer-Songwriter, ganze Generationen von PitchforkschreiberInnen haben Mark Hollis verehrt. Der späte Ruhm hat ihn nie aus seinem inneren Exil herausholen können. Er bleibt einer der großen Rätselhaften.

Baby, life’s what you make it
Celebrate it, anticipate it
Yesterday’s faded, nothing can change it
Life’s what you make it

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