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Bilder aus "Der Goldene Handschuh"

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Schmiersuff und Mordrausch

Fatih Akin verfilmt Heinz Strunks Bestseller „Der goldene Handschuh“: Eine Serienkiller-Groteske, die unter die Haut geht.

Von Christian Fuchs

Nein, Fritz Honka ist keiner von diesen charismatischen, messerscharf kalkulierenden Serienkillern, die das Kino so liebt. Kein feinsinniger Gentleman wie Hannibal Lecter, der menschliche Organe auf Haubenlokal-Niveau zubereitet. Kein fescher Dandy á la „American Psycho“ Patrick Bateman, der im Designeranzug tötet. Kein beinahe übermenschlicher Killer wie in „Seven“, der am Tatort clevere Rätsel hinterlässt.

Herr Honka steht für maximale Unterdurchschnittlichkeit, für monströse Stumpfheit und viehischen Frauenhass. Und das Grauen ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein schielender Mann mit schiefen Zähnen und deformierter Nase hetzt in Fatih Akins neuem Film „Der goldene Handschuh“ durch das nächtliche Hamburg, in der Hand einen Koffer mit Leichenresten. Dabei schleppt der Serienmörder nur Teile seiner Opfer auf das Gelände einer stillgelegten Fabrik. Den Rest versteckt er in einem Abstellraum seiner kleinen, schimmligen Dachwohnung. Den beißenden Verwesungsgestank versucht er mit Raumsprays und Duftsteinen zu übertünchen.

Bilder aus "Der Goldene Handschuh"

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Desolate Sätze über eine schaurige Legende

Fritz Honka ist im Gegensatz zu den erwähnten Kinokillern vor allem keine fiktive Figur. Anfang der Siebzigerjahre geistert der „Blaubart von Altona“ tatsächlich durch die Hansestadt. Seine Opfer sucht der schwere Alkoholiker im kaputten Kiez-Milieu rund um St. Pauli. In der Kampftrinkerkneipe „Der goldene Handschuh“, wo Honka etliche Nächte verbringt, findet er zu später Stunde alleinstehende, ältere Frauen, die am sozialen Abgrund entlangtorkeln. Während einigen die Flucht aus der Wohnung des Täters gelingt, enden andere zerstückelt im Abstellkämmerchen.

Niemand gibt eine Vermisstenanzeige für die vier verlorenen Seelen auf, die Fritz Honka ermordet, weshalb es auch zu keinen polizeilichen Ermittlungen kommt. Erst bei einem zufälligen Brand in seinem Mietshaus entdecken Feuerwehrleute die Überreste der Frauen. Der vereinsamte Nachtwächter mit dem Spitznamen „Fiete“ ist plötzlich auf den Titelseiten aller Boulevardzeitungen zu finden - und mutiert in Hamburg rasch zu einer schaurigen lokalen Legende.

Erneut zum Thema wurde der Ende der Neunziger verstorbene Killer dann 2016: Damals veröffentlicht Heinz Strunk seinen Bestseller „Der goldene Handschuh“, der sich um das gleichnamige Lokal und seinen berüchtigten Stammgast dreht. Man schätzt den Hamburger Autor zuvor für eine Reihe von exzellenten Büchern, die sich an der Grenze von Komik und Tragik bewegen. Mit seinem True-Crime-Roman betritt Strunk, der auch als Musiker, Schauspieler und „Fraktus“-Bandmitglied bekannt ist, aber neues Terrain.

Die tollpatschigen Verlierer seiner bisherigen, autobiografisch geprägten Werke müssen darin gänzlich verlorenen Seelen weichen, die sich dem „Schmiersuff“ oder dem „Vernichtungstrinken“ hingeben. Vor allem die grausamen Taten des Fritz Honka stacheln „Heinzer“ Strunk, der erstmals Einblick in die Gerichtsakten des Falls bekommt, aber zu irrlichternden, desolaten Sätzen an. Der Trademark-Humor des Autors flackert wirklich nur mehr am Rande auf.

Bilder aus "Der Goldene Handschuh"

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Willkommen in der Kneipen-Vorhölle

Regisseur Fatih Akin ist nun das Unmögliche gelungen: Er hat die wahnwitzigen Strunk’schen Wortkaskaden der Tristesse und Brutalität angemessen verfilmt. Kompromisslos überträgt er die drastische Vorlage in Bilder. Und zielt dabei, wie das Buch, direkt in die Magengrube, man riecht förmlich die Angst, den billigen Schnaps, die faulenden Leichenteile.

Dabei ist Akin, im Gegensatz etwa zu Lars von Trier, ein Regisseur, dem man bei all dem geballten Horror durchaus vertrauen kann. Zusammen mit seinem Kameramann Rainer Klausmann weiß er genau, wo die Grenzen liegen, wenn man sich dem ultimativen Schrecken nähert. „Der goldene Handschuh“ gehört zwar zu den heftigsten deutschsprachigen Streifen der letzten Jahre. Ein Exploitationmovie voller blutiger Schauwerte ist dieses Werk aber nicht geworden. Statt Splatterklischees zu bedienen liefert Fatih Akin lieber eine morbide Sozialstudie. Dazu gehört auch ein schnulziger und zugleich gruselig wirkender Schlager-Soundtrack, den Spezialist Fritz Ostermayer nicht besser hätte zusammenstellen können.

Bilder aus "Der Goldene Handschuh"

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Ganz dicht dran sind wir als Zuseher in diesem Film an den verlorenen Gestalten in der verrauchten Kneipen-Vorhölle in St. Pauli. Wir lauschen grindigen Gesprächen, beobachten kleine Szenarien des Schreckens. Inmitten der hochgradig alkoholisierten Tresen-Dialoge flackert durchaus düsterer Humor auf. Aber das Lachen gefriert sofort, wenn der Schmiersuff zum Mordrausch führt. Und der Frauenvernichter Fritz Honka wieder zuschlägt.

Dass der mittelalte Mörder mit dem kaputten Antlitz von dem jungen Schauspieler Jonas Dassler gespielt wird, vom Maskenbildner kunstvoll entstellt, wirkte im Vorfeld noch befremdlich. Aber der Hauptdarsteller liefert, im Verbund mit fantastischen Darstellerinnen wie Margarete Tiesel, eine manische Performance. Das beinahe karikaturenhafte Auftreten der Figur passt auch zum Erzählstil des Films. Fatih Akin lässt den Realismus von Werken wie „Gegen die Wand“ oder „Aus dem Nichts“ ganz bewusst hinter sich. „Der goldene Handschuh“ ist eine Groteske. Weil das Leben in all seinem Wahnsinn manchmal eben nur auf übersteigerte Weise zu fassen ist.

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