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MARC CARNAL

Drohende Anglizismen

„Bist du fein? Mach dich ruhig schon mal daheim!“ Eine Prognose grammatischer Anglizismen, mit denen wir demnächst rechnen müssen.

Von Marc Carnal

Über Anglizismen wie „headbangen“, „dribbeln“, „verpixeln“ oder „spamen“ kann man sich natürlich aufregen, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Dann muss man sich aber immer die Frage gefallen lassen, wie man denn stattdessen “auf Deutsch” sagen soll. Die meisten Anglizismen bereichern unsere Sprache und ihre zwanghafte Vermeidung kann zu Nazi-Vokabular wie „Weltennetz“ und „T-Hemd“ führen.

Über einzelne englische Wörter, mit denen wir unsere Alltagssprache updaten, damit sie ein paar Jahre später von der Duden-Redaktion zähneknirschend aufgenommen werden, ist doch gar nix einzuwenden.

Es gibt aber noch eine zweite Form von dauerhaften Sprach-Entlehnungen, nennen wir sie „grammatische Anglizismen“. Damit sind ganze Satzkonstruktionen und Redewendungen gemeint, die einfach wortwörtlich vom Englischen ins Deutsche übersetzt werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist „Das macht Sinn“ statt „Das ergibt Sinn“ als direkte Übersetzung von „That makes sense“. Diesen grammatischen Anglizismus gibt es schon seit Jahrzehnten und es macht wohl keinen Sinn, ihn zu kritisieren. Die meisten Deutschlehrer verwenden ihn selbst mit reinem Gewissen und sind sich seines Ursprungs nicht mehr bewusst.

Bei anderen grammatischen Anglizismen ist es vielleicht noch nicht zu spät, sie wieder loszuwerden. Wir können ruhig ein bisschen Grammarsplaining betreiben, wenn jemand sagt: „Ich bin ok damit“. Ich zumindest bin da überhaupt nicht ok damit, WEIL ES EINFACH SAUMÄSSIG SCHIACH IST!

Womöglich schaffen wir es, dass „Ich bin ok damit“ wieder verschwindet, ebenso wie „noch 12 Minuten zu gehen“ (kürzlich von einem Fußball-Kommentator in der 78. Spielminute gehört), „Sie hat einen guten Job gemacht“, „Das war in 2018“, „Ich erinnere meine Hochzeit noch genau“ oder „Ich geb keinen Fick darauf“ (schon mehrmals gelesen).

Wahrscheinlich ist es aber zu spät. Weil: Den allermeisten Leuten ist es scheißegal, ob sie Anglizismen verwenden oder nicht, sodass jegliche Appelle an Sprachgefühl und -stil ungehört im Weltennetz verhallen werden. Finden wir uns also damit ab und bereiten wir uns stattdessen auf weitere grammatische Anglizismen vor, mit denen wir in nächster Zeit rechnen sollten. Hier meine Prognosen:

Brauchst du eine Hand mit dem Braten?

Das Wort „Hilfe“ hat mehrere zweifelhafte Beigeschmäcker. „Hilfsbereitschaft“ klingt wie ein Anachronismus aus dem Religionsunterricht, bei „Erste Hilfe“ schwingen Organversagen, Blutfontänen, Panik und Wochenend-Intensivkurs mit, bei „Hilfsstoff“ Seuchengefahr, „Hilfswerk“ ist katholisch konnotiert und „Hilfstrupp“, „Hilfsgüter“, „Hilfspaket“ oder „Hilfszahlungen“ gemahnen an Tsunamis oder Krieg.

Bietet man beispielsweise an, beim Tragen oder Schneiden eines Bratens zu assistieren, will man ja niemandem den Appetit verderben, weil bei der Frage „Brauchst du Hilfe?“ alle an Religion, Blut oder Tsunamis denken. Deshalb wird sich schon bald das englische „to need a hand with“ als Anglizismus durchsetzen: „Brauchst du eine Hand mit dem Braten?“

Hat der Gast dann endlich den Braten geschnitten, sagt der Gastgeber:

Mach dich daheim!

Ja, das klingt im ersten Moment entsetzlich. Aber entsetzlich zu klingen hat Anglizismen ja noch nie daran gehindert, plötzlich aufzutauchen und sich schleichend durchzusetzen. So werden umständliche Höflichkeitsfloskeln wie „Bitte fühl dich einfach wie zu Hause!“ oder „Mach es dir schon mal bequem“ durch das schnörkellos eingedeutschte „Make yourself at home“ verdrängt werden. „Ich saus nur ganz schnell in den Weinkeller, mach dich doch daheim!“

Danke, ich bin fein!

Es ist rätselhaft, dass sich ausgerechnet dieser Anglizismus noch nicht verbreitet hat! Die Großcousine von „I’m fine“, nämlich „I’m fine with that“, hört und liest man nämlich seit einigen Jahren regelmäßig. „Du könntest den Pitch doch zusammen mit Jasper vorbereiten. Bist du fein damit?“

Auf die Frage „Wie geht’s?“ habe ich dagegen noch nie die Antwort „Ich bin fein!“ gehört. Aber das kommt noch! Und es wird niemanden kratzen, ob ich fein damit bin oder nicht.

Das ist SO nicht wahr! / Das ist SO nicht fair!

Mit „That’s so not fair/ok/funny“ (Betonung auf „so“) kann man eine reiche Palette an trotzigen Teenager-Reaktionen ausdrücken oder Empörungs-Postings einleiten. Der große Vorteil: Man braucht dank des Zauberwortes „nicht“ keine Antonyme mehr!

„Ungerecht“ wird ersetzt durch „Das ist SO nicht fair!“

Statt das Verhalten eines anderen Menschen als grausam, egoistisch, unangebracht, skrupelllos, grob, dumm oder brutal zu bezeichnen, lässt sich mittels „so not“ ordentlich Wortschatz einsparen, indem man praktischerweise einfach ausdrückt, was nicht der Fall ist: „Das ist SO nicht ok!“

Bist du morgen frei?

Warum nicht einfach die ohnehin ähnlichen Bedeutungen von „Ich hab Zeit“, „Ich bin verfügbar“ und „Ich hab frei“ zusammenziehen und das englische „I’m free“ übernehmen? „Und wie schauts übermorgen aus bei dir?“ - „Passt, am Montag bin ich frei.“

Sollte man nicht „frei sein“, entgegnet man:

Sorry, ich mach’s nicht um sieben!

Viele Anglizismen tauchen ohne jede Not aus dem Nichts auf. Dass man es nicht schafft, zu einem Termin zu erscheinen, oder dass man ein ganzes Wochenende lang keine Zeit hat, lässt sich sowohl förmlich wie unförmlich auf zahlreiche Arten ausdrücken. Dennoch behaupte ich, dass wir schon demnächst solche Sätze hören und lesen müssen: „Ich weiß, Leute, das ist so nicht cool, aber ich mach’s einfach nicht dieses Wochenende!“

Denk außerhalb der Box!

Diese Direkt-Übersetzung von „Think outside the box“, die in Kürze das deutsche „Um die Ecke denken“ oder „Über den Tellerrand schauen“ verdrängen wird, sei nur als Stellvertreterin zu verstehen für die unzähligen Maximen von Werbefachleuten und Selbstoptimierern, die uns künftig in Form von Anglizismen drohen.

Schließlich sind es die MacBook-Einzelunternehmer und Business-Speaker, denen wir Sätze wie „Am Ende des Tages haben wir uns den Herausforderungen zu stellen“ oder „Das können wir in 2018 nicht realisieren“ zu verdanken haben.

Finden wir uns also damit ab, schon bald „Meilensteine zu markieren“ und selbst „als Beispiel zu führen“, wenn wir „Räume kreieren“, „lokal kaufen“ und „wertgetriebene Tasks“ realisieren. „Mach dein eigenes Glück!“ - Denn es ist alles möglich, wenn du „die Extrameile gehst“!

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