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Teilnehmer und Vortragende des Elevate-Diskursprogrammes

Elevate Festival Graz

Am Elevate Festival geht es um Höchstprivates und internationalen Irrsinn

Hört Instagram mit? Fliegen bald gentechnisch veränderte Moskitos über Afrika? Warum tanzen Menschen überhaupt? Das Diskursprogramm des Elevate Festivals unterhält abseits des Yellow-Press-Interesses mit mutigen Gästen.

Von Maria Motter

„The truth is out there“. Mit dieser Ansage begann die TV-Serie „The X Files“ und später bemühten VerschwörungstheoretikerInnen, etwa rund um 9/11, die Phrase. Am Elevate Festival ist die Wahrheit dieses Jahr das Festivalmotto, in der Grazer Innenstadt prangt weiß auf schwarz „Real is fake“ auf Postern.

Wie „real“ es Elevate-Stargast Pamela Anderson mit politischem Aktivismus meint, können manche BesucherInnen des Elevate nicht nachvollziehen. Man könnte sie am einfachsten als Phänomen betrachten, wenn sie erzählt, dass sie mit Michael Jackson bei einer Show Vivien Westwoods war und über die Modeschöpferin Julian Assange kennenlernte, über den sie wieder Srecko Horvat kennt, der sie jetzt für die politische Partei diem25 um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler und 2015 Kurzzeit-Finanzminister Griechlands, Yanis Varoufakis, angeworben hat, die wiederum gerade Werbung für ihren Antritt bei der EU-Wahl macht.

Keine oberflächlichen Statements mehr

Im Diskursprogramm mögen Yellow-Press-Stars fehlen. Dafür ist seit Donnerstagnachmittag Zeit für intensive Gespräche und für Austausch, der sich nicht in oberflächlichen Statements verliert. Hier hört man keine Kalendersprüche, die einen in der Feel-good-hey-I’m-saving-mother-earth-und-bestell-mir-einen-gesunden-Smoothie-Ego-Tripping-Bubble halten.

Teilnehmer und Vortragende des Elevate-Diskursprogrammes

Elevate Festival Graz

Ausblick vom Forum

Auch wenn sich bei Podiumsgesprächen zumeist alle einig sind, so geht es hier zur Sache: Wieviel Kritik erlaubt sich heutiger Journalismus, was folgte auf die Panama Papers? Wer speichert welche Daten und kennt mich dadurch besser als mein Freund/meine Freundin? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Klimakatastrophe und Terror in afrikanischen Ländern wie Nigeria? Und vor allem immer wieder Frage und Antwort der Gäste am Podium: Warum geht uns das alle an?

Warum tanzen wir Menschen?

Mädchen und junge Frauen säßen in Tunesien zuhause vor dem Fernseher und schauen mexikanische Telenovelas, während die Burschen und jungen Männer ausgehen und draußen unterwegs sind. „Ich weiß das, ich kenne die mexikanischen Telenovelas!“, sagt Deena Abdelwahed. Sie gilt als Pionierin der Technokultur in Tunis und ihr Debütalbum „Khonnar“ ist bei InFiné erschienen. Das Problem sei, dass die Gesellschaft eine herkömmliche Kultur hätte, und die arabische sei aggressiv. Die kurzen, strengen Haarschnitte der Männer, das permanente Angequatschtwerden, wenn sie rausgehe. „Vielleicht ist es hier genauso“, sagt sie. Jenen, die zuhause blieben und fernsehen wolle sie jedenfalls keinen Vorwurf machen.

Teilnehmer und Vortragende des Elevate-Diskursprogrammes

Elevate Festival Graz

Deena Abdelwahed

Ein Jahr ist Deena Abdelwahed jetzt in der internationalen Musikbranche unterwegs, doch wenn sie gefragt würde, wie sich die Pariser Clubszene verändert hätte, verneint sie ehrlich eine Antwort. Sie könne das schlicht nicht beurteilen. Deena Abdelwaheds lakonische Antworten sind klug und unverfroren. „Ich würde mich nicht fragen, ist ein Land oder ein Ort sicher? Ich würde fragen: Habe ich die Geduld, dorthin zu reisen?“ Bereichernd war das Gespräch, das der Autor Marko Dinić mit Cornelia Böhnisch, der Intendantin des Toihaus Theaters und Deena Abdelwahed geführt hat. „Why does the human being dance?“ – „For sex appeal!“, antwortet Deena Abdelwahed, fast will man spitzbübisch schreiben, und ergänzt, nachdem die Aussage gesackt ist: „Es ist die günstigste Möglichkeit, sich zu amüsieren“.

14 Monate Amazon wuchsen ihr über den Kopf

Es sind nicht bei jedem Programmpunkt alle Plätze restlos belegt. Zu bequem mag der Live-Stream sein. Doch jene, die vor Ort im Forum sind, tauschen sich mit den Vortragenden aus. Er schreibe seit November regelmäßig an Amazon, werde jedoch abgewimmelt, erzählt ein Besucher Katharina Nocun. Die deutsche Bürgerrechtsaktivistin hat bei Behörden und Konzernen die Herausgabe ihrer Daten angefordert. Von Amazon bekam sie über 15.000 Seiten, jeweils mit 50 Spalten Informationskategorien zugesandt. Auf Din-A4-Papier ausgedruckt würde sich das Dokument über 1,7m stapeln, würde Katharina Nocun buchstäblich über den Kopf wachsen.

Teilnehmer und Vortragende des Elevate-Diskursprogrammes

Elevate Festival Graz

Katharina Nocun

Katharina Nocun kennt sich aus mit Sicherheitsvorkehrungen im Internet. Ihre „Brieffreundschaft“ mit Amazon, wie sie bemerkt, war Teil einer Recherche nach der absichtlichen Inanspruchnahme diverser Services und Firmen. Jetzt weiß sie, dass Amazon genau vermerkt, wie lange sie sich welches Produktbild anschaut, wo sie zoomt, wo sie sich aufhält, wann sie wohin klickt. Unter anderem. Dass Facebook genau weiß, mit wem man befreundet ist, selbst, wenn man nie einen digitalen Schritt in die Plattform gesetzt hat, ist bekannt.

Aber dass Netflix genau protokolliert, wann seine KundInnen welche Szene stoppen oder sie abermals ansehen? „Wenn man sich überlegt, in welchen Situationen Menschen vor- oder zurückspulen, sind das ja schon sehr intime Angelegenheiten. Ob jemand eine Gewaltszene überspringt oder sie zweimal anschaut, sagt ja schon sehr viel über eine Person aus. Vielleicht mehr, als sie einem verraten will“, sagt Katharina Nocun und schreibt von ihrer Recherche im Buch „Die Daten, die ich rief“. Dass Teenager heute in einer Umgebung aufwachsen, in der solche Daten per Standardeinstellung erfasst werden, regt Nocun auf. „Das ist halt einfach auch privat. Gerade Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, sich frei und unbeobachtet entfalten zu können, ohne dass ihnen jemand über die Schulter schaut“.

Junge Leute

Elevate Festival Graz

Hört Instagram mit?

Das Gerücht, dass Instagram via Zugriff auf das Smartphone-Mikrofon seine UserInnen abhöre und diesen dann spezifische Werbung anzeige, kennt sie. Es gab immer wieder Untersuchungen unterschiedlicher Forscher, die sich angeschaut haben: Funkt Instagram oder die Facebook-App nachhause? Aber alle Untersuchungen haben bis jetzt gezeigt: Die App schickt keine Audiodateien zum Heim-Server, weil das wären Datenmengen, die auffallen würden. Es gibt aber genug andere Indikatoren, mit denen man sehr genau feststellen kann, was jemanden gerade interessiert. „Ein klassisches Beispiel: In der Familie wird dasselbe Gerät genutzt. Ein anderes Beispiel: Man ist über eine ähnliche IP-Adresse im Netz. Solche Familienzusammenhänge oder sogar Beziehungszusammenhänge kann Facebook anhand unseres Klickverhaltens relativ einfach feststellen. Allein, wenn man die WhatsApp-Kommunikation nehme: Es reicht schon, wenn nicht ich mich über ein Thema informiere, sondern jemand, mit dem ich darüber gesprochen habe“. Die Rückschlüsse allein reichen. „Dass viele Leute das gruselig finden, kann ich absolut verstehen. Ich finde, so eine Form von Profiling sollten wir nicht haben“.

Panama Papers und unabhängige Recherchen

Mit dem bislang größten Datenleak der Geschichte war Anuška Delić ein Jahr lang beschäftigt. Sie war als eine von weltweit rund 400 JournalistInnen an der internationalen Aufarbeitung und Untersuchung der Panama Papers - Gesamtumfang 11,5 Millionen Dokumente - beteiligt: Das Unwesen der internationalen Offshore-Industrie wurde öffentlich gemacht. Dank der Tatsache, dass Slowenien ein kleines Land ist, konnte sie alle 3.000 bzw. 2.500 „Hits“, also jene Stellen, an denen slowenische Personen und Bezugspunkte vorkamen, durchforsten. Die amerikanischen KollegInnen haben keine Chance, jeder Erwähnung nachzugehen, erklärt Anuška Delić das Ausmaß der Papiere.

Teilnehmer und Vortragende des Elevate-Diskursprogrammes

Elevate Festival Graz

Josef Obermoser und Anuška Delić

Die Frage, was sich denn nun tatsächlich durch die Enthüllung der Panama Papers geändert hätte, kann sie nicht mehr hören. Aber ich muss sie ihr stellen, zu gewichtig ist ihre Antwort: Steuerparadiese sind so sehr Teil der internationalen Finanzwelt, wie Schuhe zu unserer Kleidung gehören. Briefkastenfirmen (im Englischen: shell companies) und Steueroasen sind so tief im System verankert, dass viele Menschen, Länder, Unternehmen, sogar PolitikerInnen sich darauf stützen. Möglicherweise wäre die Mehrzahl an Skyscrapers niemals gebaut worden, würden nicht Proxy-Companies und Steueroasen existieren, erlaubt sich Anuška Delić eine persönliche Spekulation im Interview mit Radio FM4. Wenn sie sich anschaue, wie große Immobilienprojekte gehandhabt werden, dränge sich diese Spekulation auf. Fest steht: Untersuchungen nach den Panama Papers dauern an. Und um das System der Steueroasen zu schließen, braucht es Zeit und mehr und mehr „Hits“. „Es ist ein Prozess, den wir mit der Veröffentlichung der Panama Papers-Recherchen begonnen haben. Gäbe es eine weltweite Regierung, wäre das Problem leicht gelöst.

„Aber lass uns nicht daran denken!“, sagt die mutige Journalistin, die zuvor in Slowenien Verbindungen zwischen der neonazistischen Organisation Blood&Honour und der Demokratischen Partei SDS von Janez Janša aufgedeckt hatte und das Europäische Parlament herausforderte, weil sie die Ausgaben des öffentlich finanzierten Taschengeldes der Parlamentsmitglieder veröffentlicht wissen will. "Fokussieren wir auf Dinge, die wir tun können: erhöhte Transparenz, viel strengere Vorschriften, wenn es um Geschäftsgründungen geht und das Ganze ist ein Thema, bei dem die westliche Welt bei sich anfangen muss. Die Repräsentanten der westlichen Welt reisen um die Welt und erklären weniger entwickelten Ländern, was sie zu tun hätten. Zum Beispiel, wenn es um EU-Beitrittskandidaten geht. Da wird gesagt: Ihr müsst etwas gegen die Korruption und für freie Medien tun, ihr müsst euer Justizsystem verbessern. Aber das ist Heuchelei.“

In ihrem Heimatland hat Anuska Delic mit Oštro das erste Zentrum für investigativen Journalismus mit Schwerpunkt Adria gegründet. Mit zwei Kolleginnen recherchiert sie jetzt die Geschichten, an die sich die klassischen Medien nicht wagen würden. In Österreich arbeitet Oštro mit dossier.at zusammen.

Continent-Grabbing in Afrika

Internationale Konzerne und Finanzinstitute seien heute die Kolonialmächte, sagt Nnimmo Bassey. Der nigerianische Menschenrechtsaktivist ist im Niger Delta aufgewachsen, die Natur seiner Kindheit gibt es nicht mehr. Heute ist er Träger des Alternativen Friedensnobelpreises, nach wie vor lebt er in Benin City. Wie die Klimakatastrophe und Terror zusammenhängen, kann der 60-Jährige erklären: Der einst größte See Nigerias, der Tschadsee im Nordosten des Landes, ist seit den 1960er Jahren um 90 Prozent geschrumpft. Fischer und Bauern, und somit große Teile der Bevölkerung, haben ihre Lebensgrundlage verloren. „Wenn das Land nicht leben lässt, begünstigt das gewalttätige Auseinandersetzungen. Und von dieser Gewalt profitieren internationale Konzerne. Denn wo Gewalt und Terror herschen, geht der staatliche Einfluss zurück“, Stichwort Boko Haram.

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Nnimmo Bassey

Sich für Umweltschutz zu engagieren, werde nicht mehr so hart von der nigerianischen Regierung verfolgt wie noch vor einigen Jahren, sagt Nnimmo Bassey. Doch die strafrechtliche Verfolgung von Umweltverbrechen gestaltet sich schwierig. Anzeigen müssen in jenen Ländern eingebracht werden, in denen die internationalen Konzerne ihren Sitz haben. Und China schicke sich an, zu einer noch nie dagewesenen Kolonialmacht zu werden. „Wenn China in einem afrikanischen Land einen Flughafen errichtet, wird er von Chinesen gebaut“, sagt Nnimmo Bassey.

Wie wenig man in europäischen Ländern von afrikanischen Ländern höre, sage ich zu Nnimmo Bassey im Interview. Und er antwortet: „Und wie viele Falschinformationen“. Es wäre kein Landgrabbing, es wäre ein Continent-Grabbing, das vor sich ginge. Die Corporate Responsibility internationaler Konzerne nennt er „Corporate Iresponsibilty“. Als Konsument solle man sich fragen: Weshalb wollten denn Unternehmen Hilfe in Afrika leisten? Jede Hilfe sei versteckte Ausbeutung. Afrikanische Länder werden als Experimentierzonen betrachtet, ob Lebensmittelindustrie, Abbau seltener Erden oder vermeintliche Hilfsprogramme. Mit großer Sorge verweist Nnimmo Bassey auf das Vorhaben, gentechnisch veränderte Stechmücken in Burkina Faso freizusetzen. Was folgt, wenn gentechnisch veränderte Insekten unterwegs sein werden? Das lässt einen gruseln und man lebt doch gar nicht in Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt. Bloß die Baumwolle des Pyjamas, den man nach einer Nacht am Elevate noch trägt, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit von dort. Und Monsanto strebt dort im Moment danach, den Markt mit gentechnisch veränderter Baumwolle zu erobern.

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