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Jan Wehn und Davide Bortot - die Autoren des Buches "Könnt ihr uns hören?"

Robert Winter

Von der Nische an die Spitze der Charts

In ihrer Oral History „Könnt ihr uns hören?“ lassen Jan Wehn und Davide Bortot mehr als 100 Künstlerinnen, Künstler und Menschen aus der Szene die über 30-jährige Erfolgsgeschichte deutschsprachiger Rap-Musik nacherzählen.

Von Alex „DJ Phekt“ Hertel

Deutschsprachige Rap-Musik ist heute allgegenwärtig und das wahrscheinlich erfolgreichste Genre zeitgenössischer Popmusik. Die oberen Ränge der Charts werden regelmäßig von Rappern belegt, der Wiener Raf Camora hat erst unlängst mit seinem Hamburger Kollegen Bonez MC zwei Mal hintereinander die Wiener Stadthalle ausverkauft.

Um zu verstehen, wo diese Musik herkommt, wer die Wegbereiter waren und welche Stationen Rap in deutscher Sprache durchgemacht hat, um so facettenreich wie heute zu sein, muss man gute 30 Jahre in die Vergangenheit zurückblicken.

Buchcover "Könnt ihr uns hören?"

Ullstein Buchverlage

Das erzählende Sachbuch „Könnt ihr uns hören?“ hat 464 Seiten und ist im Ullstein Buchverlag erschienen.

Die beiden deutschen Szenekenner und Journalisten Jan Wehn (früher Redakteur bei Magazinen wie Juice und Spex, einer der Gründer des Hip Hop-Magazins ALL GOOD) und Davide Bortot (von 2003 bis 2007 Leiter von Juice) präsentieren jetzt mit „Könnt ihr uns hören? - Eine Oral History des deutschen Rap“ ein Buch, das diese aufregende Zeitreise abbildet - chronologisch erzählt von jenen Menschen, die dabei waren bzw. die nach wie vor dabei sind: Künstlerinnen, Künstler, Label-Betreiber, Aktivisten und Auskenner wie Max Herre, Cora E, die Beginner, Smudo, Fettes Brot, Haiyti, Sido, Moses Pelham, Casper, K.I.Z. und sehr viele mehr.

Das klingt doch fürchterlich

So in etwa haben Ende der 80er Jahre Menschen reagiert, wenn sie Rap in deutscher Sprache gehört haben. Zugegeben: verglichen mit Englisch klingt die deutsche Sprache wesentlich härter und kantiger und es war ein langer Prozess, Rap in deutscher Sprache so gut klingen zu lassen, wie das heute der Fall ist.

Torch von Advanced Chemistry aus Heidelberg war einer der ersten, bei dem sich Rap auf Deutsch gut angehört hat, die Rapperin Cora E aus Kiel ebenfalls. Ihr Song „Könnt ihr mich hören“ war übrigens die Inspiration für den Buchtitel, mit ihrer Geschichte beginnt die Oral History.

Wichtig für die Entwicklung waren auch die Fantastischen Vier aus dem Raum Stuttgart, die es als erste Rap-Gruppe geschafft haben, ein breiteres Publikum anzusprechen. Oder die Fresh Familee aus Nordrhein-Westfalen, die schon 1989 mit „Ahmet Gündüz“ aus der Perspektive von „Ausländern“ in deutscher Sprache gerappt haben.

Von Hamburg nach München

Jede Stadt im deutschsprachigen Raum hat parallel ihre eigene Rap-Entwicklung durchgemacht.

Während Anfang der 90er Jahre in München Gruppen wie Main Concept oder Blumentopf erste Tonträger veröffentlichen, etablieren sich in Hamburg Künstler wie die Beginner (damals noch Absolute Beginner), Fettes Brot, der Tobi & das Bo oder MC Rene in Braunschweig. Die Szene ist klein und überschaubar, man trifft sich fast jedes Wochenende auf einem der legendären Hip Hop-Jams, eine Art Familientreffen für die Szene. In folgendem Video sieht man die noch sehr jungen Beginner bei einer Freestyle-Session mit MC Rene und Boulevard Bou.

In Frankfurt arbeitet währenddessen Moses Pelham mit seinem „Rödelheim Hartreim Projekt“ und später Sabrina Setlur an einer ganz anderen Soundästhetik von Rap in deutscher Sprache. Inhaltlich unterscheidet sich der Sound aus diesem Umfeld massiv vom später abfällig bezeichneten „Studenten-Rap“ der oben genannten Acts.

In Berlin verändert sich nach der Wende alles. Im Untergrund brodelt es umso heftiger. Es dauert allerdings noch einige Jahre bis man von der dortigen Szene überregional etwas mitbekommt.

Am Donnerstag, den 7.3.2019, ist Jan Wehn ab 22 Uhr in FM4 Tribe Vibes im Interview zu hören.

Dafür ist Stuttgart ein wichtiger Impulsgeber. Nach den Fantastischen Vier (die damals noch polarisieren und regelmäßig für ihren kommerziell-orientierten Stil kritisiert werden) etablieren sich Acts wie die Massiven Töne und Freundeskreis. Zum ersten Mal klingt Rap in deutscher Sprache so flüssig und authentisch wie bei den Rappern aus Amerika. Und er wird musikalischer.

Jede Menge Aha-Erlebnisse beim Lesen

All diese Geschichten werden in „Könnt ihr uns hören?“ detailliert aus den unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt. Jan Wehn und Davide Bortot haben in akribischer Arbeit weit mehr als 100 Interviews transkribiert und schlüssig nach chronologischen Zeitabläufen zusammengefügt. So entsteht ein einmaliger Einblick in die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Perspektiven der Protagonisten von damals.

Jan Wehn und Davide Bortot - die Autoren des Buches "Könnt ihr uns hören?"

Robert Winter

Davide Bortot und Jan Wehn - die Autoren des Buches „Könnt ihr uns hören?“

Ein Beispiel für ein Aha-Erlebnis beim Lesen: Smudo erzählt, dass es im Großraum Stuttgart viele US-Army-Stationen gab und dass die dort stationierten GI’s regelmäßig Parties veranstaltet haben, auf denen Club-Musik zu hören war, die man in Deutschland sonst noch nicht kannte. Vor allem Rap-Musik. Das hat viele Kids und den späteren, sehr Party-tauglichen Sound von Rap aus Stuttgart stark geprägt. Unterbewusst zieht sich das bis heute durch, man denke an Acts wie Cro, RIN oder Bausa.

Auch sehr aufschlussreich ist das Kapitel über Rap in Berlin mit Hintergrundgeschichten zu Aggro Berlin, Royal Bunker und spannenden Stories von Kool Savas, Sido, Marcus Staiger, Frauenarzt oder Melbeatz.

Von damals in die Gegenwart

Die Entwicklung von deutscher Rap-Musik wird in „Könnt ihr uns hören?“ in Kapitel wie „Die Anfänge: 1983 - 1994“, „Die Neuzeit: 1994 - 2003“, „Die Berliner Republik: 1998 - 2007“, „Die Postmoderne: 2006 - 2015“ und „Die Jetztzeit: 2015 - 2019“ mit jeweils vielen Unterkapiteln gegliedert.

Die Entscheidung, die Geschichte in Form einer Oral History von den Zeitzeugen selbst erzählen zu lassen, tut dem Buch gut. Man hat als Leser das Gefühl, bei einem riesengroßen Rap-Stammtisch-Treffen dabei zu sein.

Die meiste und schwierigste Arbeit war für die Autoren das Kürzen bzw. Weglassen von Stories. In der ersten Fassung hatte das Buch 900 Seiten, die veröffentlichte Version wurde um die Hälfte reduziert.

„Könnt ihr uns hören?“ ist im Ullstein Verlag erschienen und wird mit großer Wahrscheinlichkeit DAS Standard-Werk für die Geschichte von deutschsprachiger Rap-Musik. In ihrem Podcast sprechen die beiden Autoren ausführlich über die Entstehung des Buches.

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