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Plakat bei Demo gegen Artikel 13

Youtube

Erich Moechel

Protestwelle: Mit Anrufen und Briefen gegen Upload-Filter

In mehreren deutschen Städten haben am Dienstag spontane Protestkundgebungen stattgefunden. Hunderte YouTube-Videos mit Millionen Zugriffen befeuern die Proteste gegen die Copyright-Richtlinie.

Von Erich Moechel

Die Copyright-Richtlinie geht ins Finale, sie ist umstrittener denn je. Für 23. März sind Dutzende Demonstrationen gegen die geplanten Upload-Filter in europäischen Städten wie auch in Wien geplant. Auf YouTube gibt es bereits Hunderte Videos dazu mit Millionen Zugriffen, und täglich werden es mehr. Am Montag gingen die Wogen erst richtig hoch, als sich verbreitete, dass Berichterstatter Axel Voss die Abstimmung auf kommende Woche vorverlegen wollte.

Davor hatten Kommission und Parlamentsdirektion 4,9 Millionen Unterzeichner gegen Upload-Filter als „Bots“ der Internetkonzerne abgetan. Nun greifen die Kritiker zum Telefon, um EU-Abgeordneten zu erklären, dass sie keine „Bots“, sondern Wähler seien. Das zentrale EU-„Wählamt“ dafür wurde von der Wiener Bürgerrechtsgruppe epicenter.works eingerichtet, in Deutschland wird auch mit einer großen Briefaktion protestiert.

Youtuber am Telefon

CC 4.0 von Rezomusik

Videoblogger Rezo hat eine ganze Reihe von Telefonaten mit Brüsseler Abgeordnetenbüros mitgeschnitten. Rezo hat 1,5 Millionen Abonnenten.

Telefonzentrale und Schneckenpost

Im Jänner hatte die Filmindustrie eine neue Revision von Artikel 13 erzwungen. Das war die Basis für den aktuellen Text, der noch nicht vorliegt.

„Es war uns wichtig, dass unter dem Dutzend digitaler Bürgerrechtsorganisationen, die unsere Kampagne unterstützen, keine einzige ist, die von Google, Facebook oder sonst einem Internetkonzern Geld erhält. Wir sind keine Marionetten dieser Firmen, die wir ohnehin ständig wegen ihres Umgangs mit Daten kritisieren.“, sagte Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works zu FM4. Bis jetzt seien bereits mehrere hundert Minuten mit Büros von EU-Abgeordneten telefoniert worden.

Andere wiederum setzen auf Briefverkehr, Botbrief.eu hat einen Briefgenerator erstellt, der Formbriefe an Abgeordnete zusammenstellt, adressiert und mit einem Absender versieht. Die PDF-Datei wird vom Benutzer ausgedruckt, datiert und unterschrieben und muss natürlich frankiert und über den Postweg zugeführt werden. Auch hier ist Absendername und Adresse Pflicht. Auf YouTube kursieren unter dem Hashtag „#CallEU“ Listen mit Telefonnummern der Abgeordnetenbüros und praktischen Anleitungen für die User: „Freundlich bleiben. Entspannt reden. Kurz halten. Nicht schwafeln.“

Beschluss der EPP

Public Domain

Das hat die Proteste erst so richtig angefacht. Mit einem Geschäftsordnungstrick soll die Abstimmung noch auf die Tagesordnung für das Plenum nächste Woche in Straßburg gehoben werden. Davor hatte schon der Justizausschuss über eine Fassung der Copyright-Richtlinie abgestimmt, die kein Abgeordneter kannte, weil der Text noch nicht fertig war.

Die Wiener Telefonzentrale

Ende Oktober 2018 konnte die Opposition im EU-Ministerrat erst nach längeren Verhandlungen überzeugt bzw. überstimmt werden.

„Die Software für unsere Telefonautomatik wurde von von etwa einem Dutzend Programmierer aus Österreich und Deutschland in Python gecodet. Es ist alles vollautomatisiert", sagte Bernhard Hayden, Chefentwickler der Telefonzentrale von epicenter.works zu ORF.at. Die Benutzer geben ihre Handynummer und ihren Namen ein, wählen das Büro eines EU-Abgeordeten aus und werden zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl von uns aus mit diesem Büro verbunden.“ Das System setzt auf dem Interface des Anbieters Twilio auf, und dort bezieht man auch die nötigen Kontingente an VoIP-Gesprächsminuten.

epicenter works Plakat

epicenter works

Die Telefonkampagne von epicenter.works lässt kaum Zweifel darüber offen, ob der EU-Wahlkampf bereits begonnen hat. Hier lassen sich Botbriefe an die Abgeordneten generieren.

Grund für die Wut der YouTuber

Im September 2018 hatte das EU-Parlament dann mehrheitlich dafür gestimmt, die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Ministerrat aufzunehmen.

Auf YouTube gehen die Wogen erst seit Montagabend so richtig hoch, als sich die Nachricht verbreitet hatte, dass die konservative Fraktion (EVP) einen Abstimmungsantrag für das Parlamentsplenum nächste Woche eingereicht hatte. Die Reaktion der YouTuber war, dass über Nacht spontane Kundgebungen für Dienstagabend in fünf deutschen Städten organisiert wurden. Der Grund der Wut ist einfach der, dass diese medien- und technikaffinen großteils jungen Leute nun einmal etwas besser Bescheid darüber wissen, wie Inhaltsfilter funktionieren als die meisten Abgeordneten im EU-Parlament. YouTuber wissen nämlich recht genau, wie fehlerhaft diese „künstlich intelligenten“ Systeme im kommunikativen Alltag sind, weil sie solche Fehlurteile bereits selbst erfahren haben, wenn ihre Videos ohne weitere Begründung gesperrt wurden.

Bilder von einer Demo

CC-BY 4.0 von Gero Nagel

Die Bilder stammen von der Demonstration vom Samstag in Berlin gegen Artikel 13 der Copyright-Richtlinie, der die Upload-Filter beinhaltet. Derart abschätzige Äußerungen über den bekannten Internetkonzern finden sich auf vielen Berliner Mauern, seitdem Google ebenso hartnäckig wie vergeblich versucht hatte, einen Standort für seinen Campus ausgerechnet in Kreuzberg durchzusetzen. Das Foto stammt vom Berliner Aktionskünstler Gero Nagel alias Copyright Riotcop.

Filtersysteme können zwischen Kopie, Kommentar, Montage oder Parodie nicht unterscheiden, und das sind eben die am meisten verbreiteten Stilmittel der Videoblogger. Wenn nun wegen der geplanten Copyright-Regelung samt Haftbarkeit der Plattform und Strafen die Content-Filter auf scharf gestellt werden - und davon ist mit Sicherheit auszugehen -, dann steigt die Fehlerrate exponentiell. Bis ein solches Video wieder freigegeben wird, ist das Thema auf YouTube dann schon nicht mehr aktuell.

Im Juli 2018 hatte das Parlament für weitere Änderungen der Richtlinie gestimmt und das Trilog-Mandat vorerst verweigert.

Zwischenbilanz und Ausblick

Bei Redaktionsschluss dieses Artikels war die geplante Vorverlegung noch nicht fix. Die EVP bestätigte letztlich zwar den Plan, die Vorverlegung hänge aber davon ab, ob die Übersetzungen rechtzeitig fertig würden. Die Intention dabei ist klar, die Abstimmung soll möglichst noch vor den EU-weiten Demonstrationen gegen Artikel 13 am 23. März abgehalten werden. Weniger klar ist, wie viele der Befürworter unter den EU-Abgeordneten tatsächlich bis jetzt geglaubt haben, dass eine Onlineunterschriftenkampagne mit 4,9 Millionen Namen und Adresse von irgendwelchen „Bots“ simuliert worden sei.

Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. können hier sicher verschlüsselt und anonym beim Autor eingeworfen werden. Wer eine Antwort will, sollte eine Kontaktmöglichkeit angeben.

Spätestens seit sich reichweitenstarke YouTuber vornehmlich aus Deutschland eingeschaltet haben und die Plattform von Videos gegen Upload-Filter und Artikel 13 übergeht, dürfte sich auch in diesen Brüsseler Kreisen die Idee verbreitet haben, dass es sich womöglich doch um echte Menschen handelt.

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