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Dagobert Cover "Welt Ohne Zeit"

Staatsakt

Ausgeschnulzt

Dagobert, der selbsternannte „Schulzensänger aus den Bergen“, will auf seinem neuen Album „Welt ohne Zeit“ genau das nicht mehr sein.

Von Christian Lehner

Dagobert sitzt beim FM4-Interview in Berlin da wie seine eigene Inszenierung: Pomade in den Haaren, stechender Blick, aufgeschlagener Mantelkragen. Ein Dandy, ein Schnulzensänger, wie er früher sagte, doch etwas ist anders heute als bei Dagobert früher und das hört man auch auf seinem neuen Album „Welt Ohne Zeit“.

Vorbei ist die Ironie im Schmalz, der charmante Humor, der uns Zuhörenden versicherte, es ist kein echter Schlager, es ist ja nicht so gemeint. Dagobert hat erkannt, dass das Gefühl keine Filter mehr braucht: Sturzbach galore. Mit Schlagerfürsten wie Roland Kaiser oder Hansi Hinterseer wird man ihn auch in Zukunft nicht verwechseln.

Für die Florian-Silbereisen-Bühne ist der gebürtige Schweizer zu edgy und eigenbrötlerisch. Die Legende will, dass Lukas Jäger, so Dagoberts bürgerlicher Name, jahrelang als songschreibender Einsiedler auf einer einsamen Berghütte in Graubünden zubrachte. Dort ernährte er sich hauptsächlich von Reis, eine Diät, die er bis heute aufrecht erhält. Karl Lagerfeld (Diet-Coke-Diet!) würde nicht nur aus stilistischen Gründe approven.

Von den Bergen nach Berlin

Als es den Barden von den Alpen in die große Stadt Berlin verschlug, wurde er schnell Teil dessen, was man die „Ganter-Gang“ nennen könnte: Junge Musikbubis verschiedenster Genres, die sich um den aufstrebenden Produzenten Markus Ganter gruppierten. Als da wären zu nennen Drangsal, Casper und die mittlerweile aufgelöste Band Sizarr.

Ganter war es auch, der die ersten beiden Dagobert-Alben produzierte und auf dem neuen Album „Welt Ohne Zeit“ für den finalen Mix verantwortlich zeichnete. Das Debüt „Dagobert“ (2013) und der Nachfolger „Afrika“ (2015) waren voll von Schmachtfetzen mit Stil, Humor und Abenteuerlust.

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Hört hier im FM4 Interview Podcast, warum Dagobert den Titel für sein neues Album in einem Lustigen Taschenbuch gefunden hat, wie es war, 5 Jahre in einer einsamen Berghütte zu leben und wieviel echte Liebe in seinem neuen Album „Welt Ohne Zeit“ steckt.

Dem großen Gefühl wurde stets ein Mantel umgehängt. Dagobert spielte lustvoll mit Genre-Klischees. Die Songs bedienten eine vage Sehnsucht und „Der Schnulzensänger aus den Bergen“, als der sich Dagobert selbst bezeichnete, stapfte ungelenk wie einst Roy Black durch seine Videos. Der Schweizer Akzent wirkte drollig und erinnerte an den Schlager der sogenannten Wirtschaftswunderjahre, als teutonische Barden mit einem aus dem Amerikanischen entliehenen Fake-Akzent brillantierten.

Doch schon auf diesen Alben war Dagoberts Talent für gute Songs zu erkennen. Die Einsicht, dass er auf dem selbst auferlegten Schlager-Kasper-Image kleben bleiben könnte, veranlasste ihn auf seinem neuen Album zu etwas mehr Ernsthaftigkeit. Dafür hat er in seiner eigenen Biografie gestöbert. „Welt ohne Zeit“ sind 10 Liebeslieder über 10 konkrete Liebesbeziehungen. Und weil diese in der Vergangenheit liegen, sind sie irgendwann zerbrochen. Ihre Heimat ist die Erinnerung, die je nach Gefühls- und Wetterlage im Hier und Jetzt Hochs und Tiefs produziert.

Anders als im manipulativen Schlager ertränkt Dagobert seine Songs jedoch nicht im einförmigen Gefühl. Er wird eher leise und nachdenklich, geht auf Stücken wie „Der Geist“ gar ans Existenziell-Eingemachte und verweist im Text auf lange Phasen von Einsamkeit und Depression. Natürlich drückt Dagobert auch drauf wie nur was, aber an den richtigen Stellen, so zum Beispiel im Refrain zu „Ich und Du“. Dort erzittert die Welt unter seinem Liebeschwur.

In den goldenen Harmonien von „In All Unseren Leben" leitet Dagobert ein Grundproblem des Spätkapitalismus aus der Liebe ab: „All die Probleme entstehen, weil Menschen sich niemals zufriedengeben.“ Die neue Ernsthaftigkeit untermauert Dagobert mit einem etwas strengen Blick am Cover-Foto des Albums (siehe Titelbild dieser Story). Den hat er sich vom frühen Dracula-Darsteller Bella Lugosi geborgt, neben Hank Williams ein Idol.

Liebeslieder schreiben ist für mich das Natürlichste der Welt

Dagobert in Berlin

Christian Lehner

Dagobert beim FM4-Interview in Berlin

Die Songs von „Welt ohne Zeit“ wurden von dem jungen, und von Dagobert entdeckten, Produzenten Konrad Betcher nachhaltig in Szene gesetzt. Kein Novelty-Alarm, das hier verfängt in Herz und Seele. (Gehobener)Schlager(Pop) bleibt es trotzdem – trotz all der Ausflüge ins New-Wave-Fach („Einsam“, „Flashback“). Dagobert, der hochgeschossene Dandy, wagt, sich vor uns zu entblättern. Danke für diesen Seelen-Striptease, du alles-andere-als-Geiziger.

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