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Superkraft Lebensmüdigkeit

Der englische Comedian Ricky Gervais, bekannt für seine Lust an der Provokation, hat eine neue Serie geschaffen, bei der einem trotz aller Boshaftigkeit doch warm ums Herz wird.

Von Jenny Blochberger

Tony, Reporter eines kleinstädtischen Gratisblättchens, hat vor Kurzem seine Frau an den Krebs verloren und damit auch seinen Lebenswillen. Seine halbherzigen Versuche, sich das Leben zu nehmen, scheitern aus pragmatischen Gründen: Irgendwer muss ja den Hund füttern. Und nachdem er jetzt halt doch – zumindest vorläufig – weiterlebt, beschließt er, sich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen, weil ja ohnehin alles egal ist.

- „If I become an arsehole, and I do and say what the fuck I want, for as long as I want, and then when it all gets too much – I can always kill myself. It’s like a superpower.“
- „That’s the worst superhero I’ve ever heard of!“
- „That’s the way it is now.“

Und so kriegen alle, die Tonys Weg kreuzen, forthin ihr Fett ab: ein Mann im Park, der ihn darauf hinweist, dass der Hund an die Leine gehört, die Pflegerin, die sich um Tonys an Alzheimer erkrankten Vater kümmert, der faule Postler und sowieso alle KollegInnen im Büro.

„After Life“ spielt in einem dieser malerischen englischen Küstenstädtchen, die es in Wirklichkeit so gar nicht gibt, allein deswegen, weil die kopfsteingepflasterten Straßenzüge und niedlichen Teehäuser von Touristenhorden überrannt wären (siehe auch: „Juliet, Naked“). Die Zeitung, für die Tony arbeitet, lebt von Schlagzeilen wie „Out of Date Scotch Egg sold to Teen“. Dort ruft man an, wenn ein Fleck an der Wand aussieht wie Kenneth Branagh (Tony: „ALLE Flecken sehen aus wie Kenneth Branagh!“) oder man zwei Flöten mit den Nasenlöchern blasen kann. Dann ziehen Tony und Fotograf Lenny los, um die Sensation für die Öffentlichkeit festzuhalten.

Die Redaktion erinnert mehr als nur ein bisschen an Gervais’ großen Hit „The Office“, komplett mit seiner Besetzung an spießig-absurden Charakteren. Hier liegt aber auch der größte Unterschied zwischen „After Life“ und anderen Gervais-Kreationen wie „The Office“ oder „Extras“: War Ricky Gervais’ Trademark dort der sehr spezielle Cringe Humour, also eine Art Fremdschämhumor, so ist dieser in „After Life“ nur mehr in Spurenelementen enthalten. Das ist eine große Erleichterung; kein einziges Mal muss man sich in „After Life“ die Augen zuhalten und sich innerlich winden ob der unerträglichen Peinlichkeiten, die die Figuren begehen. Tony ist grob, direkt und gemein, aber peinlich ist er nur selten.

Wenn man mal die Hände zu den Augen führt, ist es eher, um ein Tränchen wegzuwischen, denn Gervais transportiert in einzelnen Momenten brillant die Trauer, Wut und Leere nach dem Verlust eines geliebten Menschen, ohne die gesamte Erzählung in absolute Hoffnungslosigkeit abgleiten zu lassen. Dabei bekommt er mitunter etwas zu viel Unterstützung vom vermutlich sündhaft teuren Soundtrack (in jeder Folge kommt mindestens ein Millionenhit zum Einsatz); ein freundschaftlicher Plausch wird von „You’ve Got a Friend“ begleitet, und wenn Tony seine Frau vermisst, müssen Daughter die Zeile „Our minds are troubled by the emptiness“ singen.

Ein klein wenig zu stereotyp kommen manche Charaktere daher: die Prostituierte mit dem goldenen Herzen, die weise Witwe, die immer am Grab ihres verstorbenen Mannes sitzt, wenn Tony gerade jemanden zum Reden braucht, der eitle, hart an der Karikatur vorbeischrammende Psychotherapeut. Aber die SchauspielerInnen schaffen es, die etwas platt gezeichneten Figuren zum Leben zu erwecken; vor allem Penelope Wilton erfüllt ihre Witwe mit Humor und Lebensfreude und einer manchmal durchblitzenden Traurigkeit.

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Die Balance zwischen Witz, dunklen Momenten und Leichtigkeit gelingt Gervais überhaupt ausgezeichnet. Man lässt sich gerne mitnehmen in diese etwas absurd überzeichnete Welt, auch wenn man von Anfang an weiß, dass Tony natürlich nicht ohne eine Wandlung davonkommen wird – aber der Weg dorthin ist mitreißend und anrührend und mitunter sogar verstörend.

Trotz des melancholischen Untertons und Tonys misanthropischer Haltung behandelt „After Life“ seine Charaktere menschlich und glaubt an das Gute in ihnen - so sehr, dass es gegen Ende geradezu kitschig wird. Es ist eine überraschend warmherzige, freundliche Serie aus der Feder eines notorischen Grantscherben, der gerne grenzwertige Witze macht und sich diebisch freut, wenn sich Leute davon beleidigt fühlen. Man könnte meinen, Ricky Gervais will uns damit etwas über sich selbst sagen: Hinter dem Ungustl, der gern Leute niedermacht, steckt ein netter Kerl, der anderen helfen will, der Menschen zum Lachen bringt und Tiere liebt. Aber eigentlich hatten wir uns das eh schon gedacht.

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