FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Filmstill aus "The Sisters Brothers"

Polyfilm

„The Sisters Brothers“ ist ein Western der anderen Art

Der ungewöhnliche Western „The Sisters Brothers“ fügt sich ins geniale Gesamtwerk von Jacques Audiard.

Von Christian Fuchs

Es gibt wohl keine maskulinere Filmgattung als den Western. Sogar in dunklen, selbstzerfleischenden Beiträgen zum Genre, von Regisseuren wie Sam Peckinpah, werden die gewalttätigen Antihelden oft romantisiert. „The Sisters Brothers“ ist nicht nur in dieser Hinsicht anders. „Es gibt keinen Grund, einen weiteren bang-bang-shoot-’em-up-Cowboyfilm zu drehen“, sagt John C. Reilly, „weil es ja schon so viele gibt, auch ganz grandiose darunter.“ Der US-Schauspieler, der den Film auch co-produzierte, nennt in aktuellen Interviews „The Sisters Brothers“ auch „einen Western für ein fortschrittlicheres Bewusstsein.“

Der französische Regisseur Jacques Audiard, der mit dem Film sein Hollywood-Debüt feiert, geht noch weiter. „Vielleicht ist es ein Western für Leute die keine Western mögen“, erklärte er einem britischen Magazin.

In jedem Fall folgt „The Sisters Brothers“ einem höchst ungewöhnlichen Outlaw-Duo. Eli und Charlie Sisters, großartig gespielt von Reilly und Joaquin Phoenix, erweisen sich als eiskalte Killer-Brüder mit einem feminin angehauchten Nachnamen und einem Hang zur Lächerlichkeit. Oft betrunken, immer streitend, manchmal in blutverschmierte Fettnäpfen tretend. Aber die beiden gegensätzlichen Brüder passen als Figuren auch blendend ins Gesamtwerk von Jacques Audiard: Es sind Macho-Männer, die eine dramatische Transformation durchlaufen.

Filmstill aus "The Sisters Brothers"

Polyfilm

Hoffnung auf einen Hauch von Erlösung

Die männlichen Protagonisten in Audiards Filmen sind meist Gefangene, eingekerkert in Rollenbilder, in Geschlechterklischees, in ihre triste Umgebung oder auch ganz wortwörtlich in einem Hochsicherheitstrakt. Über weite Strecken wirken sie getrieben, verschlossen, feindlich. Man folgt diesen beschädigten Kerlen aber dennoch auf ihren düsteren Pfaden, weil man ahnt, dass man am Ende der Reise nicht für dumm verkauft wird, so wie in unzähligen Hollywood-Streifen, wo dann plötzlich grundsätzlich bessere Menschen im strahlenden Lichtschein stehen.

Gleichzeitig suhlt sich der Regisseur und Autor Audiard aber auch nicht in auswegslosem Pessimismus. Seine groben Außenseiter versuchen sich letztlich inmitten von Härte, Tod und Raubtier-Kapitalismus eine bestimmte Menschlichkeit, sogar eine Zärtlichkeit zu erkämpfen. Das muss nicht immer gelingen, aber dem französischen Ausnahmeregisseur geht es um kleine Lernprozesse, vorsichtige Schritte.

Dieser Glaube an die Hoffnung, und bis zu einem gewissen Grad an einen Hauch von Erlösung, gehört tatsächlich zu den kontroversen Facetten im Schaffen des Jacques Audiard. Schließlich leben wir in Zeiten eines allgegenwärtigen Zynismus und da ist bei einigen Kritikern schnell von finalem Kitsch die Rede, während Menschen wie der Schreiber dieser Zeilen am Ende oft mit Tränen ringen.

Filmstill aus "The Sisters Brothers"

Polyfilm

Ausbruch aus der Testosteron-Hölle

Es sind Frauen, denen sich die entscheidenden Wendungen in Meisterwerken wie „De battre mon coeur s’est arrêté“ (Der wilde Schlag meines Herzens, 2005) oder „Un prophète“ (Ein Prophet, 2009) verdanken, aber Audiard präsentiert sie nicht als simple Love-Interests oder edle Heilige, die auf den rechten Weg führen. Die weiblichen Figuren, allen voran Marion Cotillards zentraler störrischer Charakter im mitreißenden Beziehungsdrama „De rouille et d’os“ (Der Geschmack von Rost und Knochen, 2012), zeigen einfach andere Möglichkeiten, die Welt zu sehen. Führen den manchmal fast autistisch wirkenden Typen deutlich ihre Grenzen vor.

Auf jeden Fall brechen bis zum Ausbruch aus der Testosteron-Hölle jede Menge Knochen, es fließt Angstschweiß und die Anspannung ist in jeder Filmminute spürbar. Jacques Audiards frühe Erzählungen entwickeln einen unglaublichen physisch spürbaren Sog, er verpackt die Geschichten von verwundeten, verletzten, versehrten Menschen in Symphonien aus Bildern, Tönen, Fleisch und Blut.

Cowboys ohne Coolness-Touch

Seit dem Migrantendrama „Dheepan“ (2015) verzichtet der Regisseur zwar weitgehend auf seine heftigen Inszenierungs-Strategien und pflegt eine bestimmte Zurückhaltung. Seinen Themen bleibt er aber treu. Die „Sisters Brothers“ Eli und Charlie fügen sich als Cowboys ohne Coolness-Touch nahtlos ins Repertoire der erwähnten gestrauchelten Kerle ein. Um die Auftragskiller ja in keiner Weise zu glamourisieren, lässt Jacques Audiard sogar zum ersten Mal Humor in einem seiner Filme aufflackern. Die unter Wildwest-Rohlingen kaum verbreitete Kulturtechnik des Zähneputzens steht etwa im Mittelpunkt von Pointen, die sogar Bud Spencer gefallen hätten.

Filmstill aus "The Sisters Brothers"

Polyfilm

Aber irgendwann ist Schluss mit Lustig. Wenn die maroden Brüder endlich den jungen Goldsucher (Rhiz Ahmed) finden, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt ist, verändert sich der Tonfall des Films. Und der tragische Existentialismus, der so intensiv Audiards Streifen durchzieht, nimmt überhand. „The Sisters Brothers“ präsentiert plötzlich ein Schreckensszenario, das einem frühen Nick-Cave-Song entliehen sein könnte. Ist es für die beiden asozialen Narren Eli und Charlie zu spät einen Ausweg aus ihrem Dasein zu finden? Jacques Audiard, der Genre-Dekonstrukteur, überrascht mit einem menschelnden Epilog, den man in einem Film von Clint Eastwood oder John Wayne garantiert nie finden würde.

mehr Film:

Aktuell: