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Grenzübergang Zypern

BEHROUZ MEHRI / AFP

Flüchtlinge auf Zypern kämpfen mit vielen Problemen

Die geteilte Insel Zypern ist für Flüchtlinge zurzeit eines der Haupttore nach Europa. Doch fehlende Infrastruktur, Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit machen das Leben von Schutzsuchenden schwierig. Viele leben mittel- und obdachlos.

Von Chrissi Wilkens

2018 haben mehr als 7.700 Menschen Asylanträge in Zypern gestellt. In der Relation zur Bevölkerung lag das kleine Land, das nur etwa 1,1 Millionen Einwohner hat, damit zeitweise sogar an der Spitze der EU-Staaten.

Die zypriotischen Behörden scheinen mit der großen Anzahl der Flüchtlinge überfordert zu sein. Begünstigt durch die geografische Nähe zum Nahen Osten und der Tatsache, dass Schlepper die Teilung der Insel ausnutzen, führt mittlerweile eine der wichtigsten Flüchtlings-und Migrationsrouten im Mittelmeer durch Zypern. Immer wieder setzten Menschen aus der Türkei, dem Libanon, aus Syrien oder gar Libyen nach Zypern über.

Alleine in den ersten zwei Monaten dieses Jahres haben über 1.900 Menschen Asylanträge in Zypern gestellt. Die meisten kommen im türkischen Teil Zyperns an, per Flugzeug oder Boot, und überqueren die sogenannte Grüne Linie in den Süden, die Republik Zypern ist EU-Mitglied.

Flüchtlinge und Flüchtlingsbetreuer in Zypern

Chrissi Wilkens

Auch Jerom hat diesen Weg genommen. Er hat eine Decke unter dem Arm geklemmt, seit Monaten hat er weder Geld noch eine Wohnung. Er steht erschöpft vor dem Caritas-Migrationszentrum im Zentrum von Nikosia. Der 51-jährige Ghanaer ist seit drei Monaten auf Zypern und hat während dieser Zeit keine Unterstützung für die Miete oder andere Ausgaben bekommen.

„Sobald du deine Fingerabdrücke abgegeben hast und im System bist, kümmern sie sich nicht mehr um dich. Wo du bist, ob du eine Bleibe hast, wo du schlafen wirst, oder ob du stirbst, es kümmert sie [Anm.d. Red: die staatlichen Behörden] nicht“, sagt er.

In einem großen Raum im Migrationszentrum wühlen hauptsächlich aus Afrika Geflüchtete in Plastiktaschen und suchen nach warmer Kleidung und Decken. Immer wieder fragen Schutzsuchende auch nach Schlafsäcken, sagt die geschäftsführende Direktorin der Caritas Elisabeth Kassinis. “Es gibt keine verfügbaren Unterkünfte auf dem Markt. Der Mietzuschuss, den ein Schutzsuchender bekommt, ist zu niedrig“. 100 Euro pro Person stellt der Staat monatlich für Miete zur Verfügung, ein sehr niedriger Betrag in einem Land, in dem bereits vor Beginn der aktuellen Fluchtbewegung Wohnungsnot geherrscht hat und die Preise sehr hoch sind.

Flüchtlinge und Flüchtlingsbetreuer in Zypern

privat

Aufnahmelager in Kokkinotrimithia

“Viele Schutzsuchende sind gezwungen, auf der Straße zu schlafen. Wegen der Verspätungen bei der Gewährung der Beihilfen, die oft erst ein halbes Jahr später kommen, trauen sich viele Hausbesitzer nicht, ihre Wohnungen an Asylsuchende zu vermieten“, erklärt Kassinis. Insgesamt stehen Asylsuchenden auf Zypern 320 Euro pro Monat zu. Diese werden allerdings oft erst mit großer Verspätung ausbezahlt.

Die Anzahl der obdachlosen Schutzsuchenden in Zypern ist schwer zu schätzen. Viele leben in verlassenen Gebäuden in der Altstadt von Nikosia, in Notunterkünften oder streifen nachts durch die Straßen, weil sie keinen Ort zum Schlafen finden.

Immer wieder wird in den zypriotischen Medien über die prekäre Situation berichtet, doch es passiert wenig. Die zuständigen Dienststellen geben zu, dass es zu Verzögerungen bei der Zahlung der Beihilfen kommt. Das einzige Flüchtlingslager liegt in Kofinou, hat eine offiziellen Kapazität von 400 Personen und ist fast immer voll. Dazu kommt, dass es Jahre dauern kann, bis ein Asylantrag bearbeitet wird. Syrische Asylsuchende bekommen meistens innerhalb von 18 Monat Antwort, für die Schutzsuchenden aus anderen Länden heißt es meist noch länger warten.

Flüchtlinge und Flüchtlingsbetreuer in Zypern

Chrissi Wilkens

Altstadt von Nikosia

Die Lebensbedingungen für Asylwerber haben sich in den letzten beiden Jahren verschlechtert. Experten bezeichnen das zypriotische Asylsystem als unzureichend und dysfunktional. “Durchschnittlich dauert die Prüfung von Asylanträgen, das mehrere Phasen durchläuft, drei bis fünf Jahre. Dies schafft Unsicherheit. Die Lebensbedingungen von Asylwerbern, die weniger Rechte haben als anerkannte Flüchtlinge, sind schwierig”, sagt Emilia Strovolidou vom UN-Flüchtlingsrat in Nikosia.

Ibrahim kamm im vergangenen Sommer mit einem Boot aus Libyen nach Zypern. Er musste nach seiner Ankunft mehrere Tage auf der Straße verbringen, bis er was gefunden hat. Nun hat er mit Freunden ein kleines Apartment gemietet, zittert aber jeden Monat, ob er das Geld für die Miete zusammenbekommt. Eine Arbeit hat er bisher nicht gefunden und ist damit von den Beihilfen des Staates und der Hilfe von NGOs abhängig.

Die öffentliche Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist schwierig. Es gibt ein paar kleine Bürgerinitiativen, die versuchen Flüchtlingen zu unterstützen, laut einer aktuellen Studie der Universität Zypern im Auftrag des UN-Flüchtlingsrats hat sich die Stimmung gegenüber Flüchtlingen seit 2015 verbessert. Doch noch immer hat ein großer Anteil der Einheimischen eine negative Haltung gegenüber Flüchtlingen und Migranten. “Die Diskriminierung macht uns das Leben schwer", sagt Ibrahim, "zum Beispiel wenn man sich telefonisch um einen Job bewirbt oder um eine Unterkunft, fragen sie dich zuerst: Bist du schwarz? Wenn du ja sagst, legen sie einfach auf und wollen nicht mehr mit dir sprechen”.

Insbesondere Schutzsuchende aus Afrika sind mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. Vor wenigen Tagen ist ein Video öffentlich geworden, auf dem sehen ist, wie eine junge somalische Frau von einen Sicherheitsbeamten in der lokalen Dienststelle für Sozialfürsorge angegriffen wird. Somalische Frauen haben sich daraufhin an die Menschenrechtsorganisation KISA gewandt, um darauf hinzuweisen, dass das kein Einzelfall sei, sondern sie aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion und ihres rechtlichen Status in fast allen Bereichen des Lebens mit institutionellem Rassismus, geschlechtsspezifischer Gewalt und herabwürdigender Behandlung zu kämpfen hätten.

Es ist schwer, Arbeit zu finden und mit selbst verdienten Geld das eigene Leben bestimmen zu können. Ibrahim sucht schon länger, findet aber keinen Job.

Zwar hat sich die Wirtschaft Zyperns sich nach der Bankenkrise 2013 zwar erholt und iInsbesondere in der Tourismusbranche wird nach Arbeitskräften gesucht. Anerkannte Flüchtlinge können sich unter anderem im Rahmen eines Programms, das auf einer Online-Plattform Flüchtende mit Arbeitgebern verbindet bewerben. Für noch nicht anerkannte Asylsuchende wie Ibrahim und Jerom ist das Angebot aber sehr begrenzt. “Es gibt eine ernste Einschränkung bei den Arbeitsbereichen. Asylsuchende können hauptsächlich in Landwirtschafts-und Recycling-Betrieben arbeiten. Leider gibt es in diesen Bereichen nicht viele Stellen und nur wenige Asylsuchende sind legal beschäftigt”, sagt die Koordinatorin des zypriotischen Flüchtlingsrats Corina Drousiotou.

Flüchtlinge und Flüchtlingsbetreuer in Zypern

Chrissi Wilkens

Corina Drousiotou von Zypriotischen Flüchtlingsrat

Die EU hat Zypern Gelder bereitgestellt, um mit den Flüchtlingsankünften zurechtzukommen, aber ein europäisches Verteilungsprogramm, wie es sich in Zypern viele wünschen, ist nicht in Sicht, trotz der Tatsache, dass die Regierung seit Monaten auf die Schwierigkeit hinweist, die Situation zu verwalten.

In Zypern ist eine ganzheitliche Lösung nötig, insbesondere die Verbesserung der Versorgung der Schutzsuchenden sowie eine Beschleunigung des Asylverfahrens und die Gewährleistung eines besseren Zugangs zum Arbeitsmarkt, sagt Emilia Strovolidou vom UN-Flüchtlingsrat. “Das erste, was Flüchtlinge sagen, ist, dass sie arbeiten wollen, um selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Sie wollen nicht auf staatliche Beihilfen angewiesen sein. Sie haben in ihren Ländern gearbeitet und wollen hier die Möglichkeit bekommen, ihre Fähigkeiten und Talente zu nutzen“.

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