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MARC CARNAL

7 Klassiker der schäbigen Ungeduld

Waldviertler Raser, zwanzigfache Programmstarts oder prügelnde Stürmer - sieben Situationen, in denen sich die Ungeduld von ihrer schäbigsten Seite zeigt.

von Marc Carnal

Kürzlich glotzte ich auf einer langen Zugfahrt heimlich zwischen den Sitzlehnen vor mir auf das Smartphone einer schätzungsweise 16-Jährigen, die sich die Fahrtzeit damit vertrieb, Instagram-Storys zu schauen. Bemerkenswert war, dass sie die Storys der tausenden Accounts, denen sie zu folgen schien, atemberaubend schnell durchwischte. Ob Bewegtbild, Foto oder Umfrage - die Teenagerin blieb bei keinem Beitrag auch nur eine einzige Sekunde.

Als die Instagram-Wischerin ausgestiegen war, tadelte mich der mitreisende Kollege für meine Indiskretion. Ob es mir nicht zu deppert sei, fremden Jugendlichen heimlich aufs Handy zu glotzen, fragte er mich. Ich entgegnete, dass die Jugendliche doch öffentlich zugängliche Instagram-Storys angesehen, nein eben NICHT angesehen, sondern nur ratzfatz durchgeswipet habe. Was sei denn bitte indiskret daran, fragte ich den Kollegen, wenn ich einer mir unbekannten Teenagerin dabei zusehe, wie sie öffentliche Inhalte nicht betrachtet? Es waren ja nicht die bunten Instagram-Storys, die mich fesselten, sondern das atemberaubende Weiterwisch-Tempo der Teenagerin.

Ich ließ mich zu irgendeinem Blabla über die geringe Aufmerksamkeitsspanne der Jugend hinreißen und meinte, es sei doch recht naheliegend, dass junge Menschen keine Romane mehr lesen, wenn ihnen sogar Instagram-Storys zu lang sind.

Der Kollege zweifelte an meinen kulturpessimistischen Allgemeinplätzen und erinnerte sich, dass in seiner eigenen Jugend schon ähnliche Diagnosen über die Auswirkungen des Fernsehens und später über die Folgen von Videospielen im Umlauf waren. Auch vor dreißig Jahren habe man befürchtet, die Welt würde einst von Zombies mit viereckigen Augen und Goldfisch-Konzentrationsspanne bevölkert sein. Seine Eltern seien einst davon ausgegangen, man habe “eine ganze Generation ans Fernsehen verloren”.

Ich wollte ihm nicht widersprechen und erinnerte mich an eine Fernseh-Episode meiner eigenen Kindheit. Ich durfte als Kind nur sehr wenig fernsehen und hatte auch nicht so viele Sat-Programme zur Auswahl wie andere Kinder. Als ich einmal bei einer Volksschul-Freundin zu Gast war und wir von ihren Eltern mit der Fernbedienung ruhiggestellt wurden, begann die Freundin zu zappen. Sie zappte und zappte und zappte. Als sie mit den hunderten Privatsendern durch war, die wir dank der unzähligen Untertassen am Dach ihrer Familie empfangen konnten, begann sie wieder von vorne. Ich fand ihr Fernsehverhalten sehr seltsam. Erstens war mir dieses manische Sender Wechseln unbekannt, weil es bei mir zuhause zwischen ORF1, ORF2, ZDF und ARD nicht viel zu zappen gab. Besonders weird fand ich aber, dass die Volksschul-Freundin pro Sender nur einen Sekundenbruchteil brauchte, um zu entscheiden, dass sie lieber was Anderes sehen wollte.

Erst als ich dem Kollegen von der Zapperin berichtete, fiel mir auf, dass sie das Verhalten der Instagram-Wischerin schon vor Jahrzehnten vorweggenommen hatte. Wir kamen nicht dazu, die Parallelen näher zu beleuchten, denn der Kollege stand auf und zog seine Reisetasche aus der Reisetaschenablage, obwohl der Zug erst in einigen Minuten in seiner Endstation halten sollte. Ich fragte ihn, warum er denn schon so früh aufstehe. Er wusste keine Antwort. Ich meinte, dass mir dieses ungeduldige Frühaufstehen besonders von Flugpassagieren bekannt sei. Daraufhin meinte der Kollege, dass eben jeder Mensch manchmal ungeduldig sei. Er freue sich jedenfalls sehr darauf, endlich anzukommen.

Wahrscheinlich wäre unser Plausch über Instagram und frühe TV-Erlebnisse erst richtig interessant geworden, doch nun musste der Kollege eben leider aussteigen, während mir noch über zwei Stunden Fahrt bevorstanden. Als der Zug aus der Station rollte, zückte ich reflexartig das Smartphone. Dann wurde es mir aber zu deppert, auf fremder Leute Stati zu glotzen und ich beschloss, stattdessen sieben Erscheinungsformen schäbiger Ungeduld zu Papier zu bringen:

Flugzeug

Sobald die Anschnall-Lichter über den Köpfen von Flugzeugpassagieren ausgehen, schnellen diese wie Springteufel von ihren Sitzen auf und krallen sich gierig das Handgepäck. WHY?

Man muss doch immer minutenlang warten, bis die Stiege ans Flugzeug geschnallt ist und die Türe geöffnet wird. Trotzdem stehen alle immer sofort auf und müssen dann dicht gedrängt in orthopädisch bedenklicher Körperhaltung verharren, bis sie endlich raus dürfen. Und selbst dann gibt es eigentlich keinen Grund für allzu große Eile, weil man sich am Gepäck-Förderband ja ohnehin die Haxen in den Rumpf steht.

Zweite Kassa

Wenn jemand im Supermarkt brüllend nach der Inbetriebnahme einer zweiten Kassa fleht, ist das bereits ein Zeichen von Ungeduld. Aber erst das Verhalten, sobald dann die Kassa wie gefordert besetzt ist (“Kommen Sie zu mir weiter?”), beweist immer wieder, wie ungeduldig, aber auch wie asozial die meisten sind: Kaum wittert der Letzte in der langen Schlange seine Chance, stürmt er zur frisch geöffneten Kassa. Geistesgegenwärtig nutzt sogleich der vor ihm Wartende seine Chance und wechselt rüber. Und so weiter. Gerechter wäre es natürlich, wenn die vier oder fünf hintersten Kunden in der bereits vorhandenen Reihenfolge zur zweiten Kassa rüber wechseln würden. Um das zu begreifen, müsste ein durchschnittlich ausgeprägter Gerechtigkeitssinn reichen. Doch verlässlich überholen die Hintersten in der Schlange nach dem Motto “Die Letzten werden die Ersten sein” die anderen. Es wäre fair, wenn man als Strafe für dieses schäbige Verhalten 20 Prozent mehr zahlen müsste.

Pfanne

Ist man bei jemandem zum Essen eingeladen, kann man oft folgendes beobachten: Der Gastgeber schneidet Gemüse klein, gibt Öl in eine teflonbeschichtete Pfanne und dreht die Herdplatte auf. Dann packt den Hobbykoch aber bereits nach zwanzig Sekunden die Ungeduld und er kippt die gehackten Zwiebeln, Karotten-Scheiben und Zucchini-Keile in das erst lauwarme Öl. Kein Blubbern, kein Zischen, nichts. Um den offensichtlichen Fehler zu überspielen, rührt er peinlich berührt in den Gemüseteilen herum, als würde das irgendwas bringen.

Waldviertler

Gemeint sind nicht die Schuhe! Mir wäre jedenfalls noch nicht aufgefallen, dass die Träger von Waldviertlern besonders ungeduldig sind. Ich spreche vielmehr von der gleichnamigen Bevölkerung.

Dass im Straßenverkehr die Ungeduld besonders exzessiv ausgelebt wird, ist keine Feststellung mit hohem Newswert. Menschen in Autos rasen nun einmal gerne schneller, als es die Polizei erlaubt. Will man den Geschwindigkeitsrausch des kleinen Mannes in besonders exzessiver und lebensgefährlicher Form erleben, muss man aber nicht nach Russland oder Nairobi reisen. Ich fuhr schon in vielen Ländern Auto, deren Bewohner die StVO gerne kreativ interpretieren. Aber weder in Rumänien, Indien, Marokko oder der Ukraine musste ich so oft um mein Leben fürchten wie im Waldviertel. Wer dort auf der Landstraße mit 110 km/h unterwegs ist, also bereits über der Höchstgeschwindigkeit, wird bei der erstbesten Gelegenheit mit 130 km/h überholt. Ergibt sich keine erstbeste Gelegenheit, dann eben bei dichtem Nebel vor einer scharfen Kurve. Fährt man 130, wird man mit 150 überholt und so weiter. Die irren Waldviertler scheinen in ihrer trostlosen, nebeligen Geografie allesamt lebensmüde zu werden und pflegen deshalb einen selbstmörderischen Fahrstil. Wer erleben möchte, welche Blüten Ungeduld im Straßenverkehr treiben kann, wage es einfach, auf der B4 mit einem guten Hunderter unterwegs zu sein und staune schon nach wenigen Sekunden über die wutroten Schädel im Rückspiegel.

Klicken

Will man den Browser öffnen, klickt man am besten auf das Browser-Symbol und wartet, bis das Programm ausgeführt wird. Wenn sich nach einigen Sekunden noch nix tut, hat man entweder daneben geklickt oder einen sehr langsamen Computer. Wenn sich der Browser auch nach einer halben Minute noch nicht geöffnet hat, ist der PC wahrscheinlich abgestürzt. In diesem Fall kann man entweder eine magische Tastenkombination drücken oder ihn gewaltsam runterwürgen. Was dagegen wenig bringt: Ganz oft hintereinander auf das Browser-Symbol klicken.

Man kennt dieses ungeduldige Klicken vor allem von Eltern, die auf ihrem zwölf Jahre alten Laptop sämtliche Dateien am Desktop ablegen und den gesamten Arbeitsspeicher für die zig parallel installierten Virenscanner zweckgewidmet haben, um sich dann darüber zu wundern, dass Windows 98 einen ganzen Nachmittag zum Hochfahren braucht. Statt sich einfach mal einen neuen Computer zu kaufen oder die Festplatte zu entrümpeln, ärgern sie sich über die zähe Performance und klicken dann ungeduldig hunderte Male auf die Icons, wenn sich nichts regt am Bildschirm.

Ausgleich

Erzielt eine Fußball-Mannschaft in der 82. Minute den Ausgleich oder Anschlusstreffer, rennt der Schütze verlässlich ins Tor und schnappt sich den soeben versenkten Ball. Sollte ihm ein Spieler des Gegners oder der Torwart zuvorgekommen sein, reißt der Schütze ihm den Ball wütend aus der Hand. Man signalisiert mit dieser Geste, dass man jetzt auch noch den Sieg erringen will, keine Zeit zu verlieren hat und einen möglichst raschen Wiederanstoß durch den Kontrahenten wünscht. Mittlerweile könnten Fußballspieler aber langsam einsehen, dass nicht wirklich wesentlich schneller weitergespielt wird, nur weil man den Ball nach dem Jubel persönlich zum Mittelkreis trägt. Trotzdem rangeln die Spieler nach Toren um den Ball und riskieren gelbe Karten. Die Kosten-Nutzen-Rechnung bei dieser regelmäßig im Fernsehen übertragenen Form der Ungeduld ist verheerend.

Ampeln

In Wien - und wahrscheinlich gibt es das auch in vielen anderen Städten - sind an Ampeln in Hüfthöhe kleine Kästchen montiert. Oben auf diesen Kästchen ist ein fühlbarer Pfeil, der blinden Menschen verrät, in welche Richtung sie gehen müssen, um die Straße zu überqueren. Auf der Unterseite befindet sich ein Knopf. Wenn man den drückt, ertönt bei grünem Licht ein akustisches Signal, damit Schasäugige wissen, wann sie gehen dürfen. Das Signal geht ungefähr so: Tak... … … tak... … … tak... … … tak... … … tak... … … (Es wird grün) TAK-TAK-TAK-TAK-TAK-TAK-TAK.

Sehende Passanten finden auf den Kästchen gut sichtbar den Hinweis, dass sie für Sehbehinderte installiert wurden. Trotzdem sieht man regelmäßig ungeduldige Deppen, die hektisch auf den Tak-Tak-Tak-Knopf drücken, weil sie glauben, dass es dann schneller Grün wird. ES WIRD ABER NICHT SCHNELLER GRÜN!!! Es macht mich ganz kirre, dass weite Teile der Restbevölkerung ständig das Blinden-Kästchen zweckzuentfremden versuchen. Wäre ich Verkehrsstadtrat, würde ich die Kästchen unter Starkstrom setzen und nur Blinden einen Isolier-Handschuh zur Verfügung stellen, um den Missbrauch einzudämmen.

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