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HVOB

Andreas Jakwerth

HVOB machen dunklen Club-Sound zum Loslassen

Düstere, technoide Beats verschmelzen mit wunderschönen, melancholischen Melodien. Das Elektronik-Duo HVOB (Her Voice Over Boys) hat mit „Rocco“ seinen Sound perfektioniert und ist unser Artist Of The Week.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Eine einsame Hi-Hat gibt den Rhythmus vor, dazu gesellt sich eine staubtrockene Bassdrum. Langsam schält sich aus dem tiefen Raum eine gefilterte Sytnhie-Fläche, die dem Ganzen eine unruhige, treibende Stimmung gibt. Das achtminütige, hervorragend arrangierte Dance-Stück „Eraser“ ist mit dem herrlich verschrobenen Sounds des Beat-Monsters und EP-Bruders „Zinc“ das erste Lebenszeichen des österreichischen Duos HVOB nach dem genialen Kollabo-Album „Silk“, das sie gemeinsam mit Mumford & Sons-Gitarrist Winston Marshall aufgenommen haben.

Diesmal entführen uns Anna Müller und Paul Wallner in die dunklen Clubs und füllen die Trockeneis-eingenebelten Tanzflächen mit hypnotischen Beats und unterkühlten Klängen. Annas zarte, aber durchdringende Stimme gibt den Tracks eine unglaubliche Wärme und verstärkt durch ihre Mantras den Sog, den diese Stücke entwickeln.

Vom Liebeskummer zur heiligen Bassdrum

Der Startpunkt für das neue Album „Rocco“ waren diese zwei Tracks, mit denen HVOB nach weltumspannender Live-Tour mit Schlagzeug und großer Lichtshow wieder in die Clubs zurückgekehrt sind, in denen alles angefangen hat. Weg vom Open-Air im Sonnenuntergang, hinein in die tiefschwarze Nacht auf der stickigen Tanzfläche. Das beste Beispielt für diesen extremen Wechsel ist das technoide Stück „Butter“, das ganz im Gegensatz zu dem weichen Titel mit seinen trancigen Soundflächen und pulsierendem Herzschlag einen hart auf den Dancefloor stampfen lässt. Damit übertreffen HVOB ihre bisherigen dunklen, elektronischen Klanglandschaften und fügen der perfektionierten Produktion Kraft und Energie hinzu.

Albumcover HVOB "Rocco"

HVOB / Pias

Das vierte Studioalbum „Rocco“ von HVOB ist auf [Pias]Recordings erscheinen.

Schließlich hat Paul über viele Jahre hinweg nach genau diesem Sound der Bassdrum gesucht. Es war schon wie die Suche nach dem heiligen Gral, meint Anna scherzhaft. Denn oft ist Paul ins Studio gekommen mit dem Satz: „Jetzt glaube ich habe ich sie wirklich gefunden, diese Bassdrum“. Es sollte jedoch noch zwei Jahre dauern, bis sie in „Butter“ zum Einsatz kam.

Geholfen dabei hat paradoxerweise Pauls Liebeskummer. Eigentlich hat er an dem wunderschönen Titel „Bloom“ gearbeitet, als eine aktuelle Sommer-Romanze am Kippen war. Als klar war, dass es sich mit dieser Beziehung erledigt hat, hat Paul sich an „Butter“ rangemacht, einem Killer-Track der einen härteren drive bekommen hat. So hat Paul es geschafft, die Enttäuschung und Wut mit der Studioarbeit zu transformieren und damit auch loszulassen.

Von der Flucht bis zum endgültigen Abschied

Das Loslassen und der Abschied sind die zentralen Themen von „Rocco“. Man kann sogar, wenn man sich tiefer in die Texte einlässt, das ganze Album als einen langen Loslass-Prozess verstehen. So ist der Opener „2nd World“ noch die Flucht in eine alternative Welt, in der man sich vormacht, dass noch alles in Ordnung ist. Ein drohendes Ende will man noch nicht wahrhaben. Es ist ein ungemein emotionaler Song, der einen mit seinen zarten Echolot-Tönen, dem melancholischen Klavier und Anna Müllers Vocals sofort tief berührt. Die angezerrten Schlagzeugsamples, mit denen der Song immer zu einem Klimax hinsteuert, lassen schon ein böses Aufwachen vermuten.

Nach den schon erwähnten „Eraser“ und „Butter“ scheint ein Track wie „Sync“ einen Zustand von Taubheit zu repräsentieren. Mit seinen ungewöhnlichen Samples erinnert dieses filigrane und spannende Stück ein bisschen an einen entschleunigten Aphex Twin. Welche Bandbreite HVOB in ihrem eigenen Sounduniversum erzeugen können, beweist das darauffolgende „A List“, eine melancholische, sehr organisch klingende Ballade, die von mehrstimmigem Gesang und swingendem Schlagzeug lebt.

Eines der Highlights der Platte ist „Panama“, das die unterkühlte Club-Ästhetik und die berührende Herzenswärme geschickt verbindet. „Panama“ steht dabei als Sinnbild für einen Ort, an den wir uns wünschen, weil wir glauben, dort hätten wir keine Probleme mehr. Doch wenn wir erst einmal dort angekommen sind, merken wir, dass wir all unsere Probleme mitgenommen haben. Deshalb geht es laut Anna darum, die Veränderung in seinem Inneren zu beginnen.

Auch der Track „Alaska“ vermittelt diese verträumte Welt, in die man während eines Trauerprozesses hineinrutschen kann. Sehr sanft bauen sich Klangwände mit rückwärts gespielten Samples auf und über einen vertrackten Beat schwirren entfernte Synthie-Töne, bis der befreiende und doch melancholische Groove einsetzt. Eine Nummer, die strahlt und gleichzeitig eine gewisse Traurigkeit vermittelt.

HVOB live in Österreich:

  • 4. April Posthof, Linz
  • 27. April Orpheum, Graz
  • 29. Juni Check Fest Arena Open Air, Wien

Auch wenn gegen Ende des Albums ein Track wie „Kante“ noch einmal die schweißtreibenden Dance-Beats beschwört, scheint sich mit dem flirrenden, atmosphärischen Stück „Go?“ etwas Grundlegendes verändert zu haben. Vielleicht ist der Schimmer des Neuen am Horizont, die wiederkehrende Energie und Neugierde, wohin sich das Leben wohl noch entwickeln wird. Selbst wenn hinter dem Schritt ins Unbekannte noch ein Fragezeichen steht, so ist klar, dass Abschied hinter einem liegt.

Portrait HVOB

© Andreas Jakwerth

In diesem Sinne ist „Rocco“ ein meisterliches Konzeptalbum über die Kunst des Loslassens, die oft damit beginnt, Dinge und Situationen erst einmal anzunehmen, wie sie sind. Man kann dem Werk eine therapeutische Wirkung nicht absprechen, schließlich kann man sich seinen Kummer oft vom Leib tanzen und wird in den Phasen dazwischen von verständnisvoller Herzenswärme umarmt. Und so passt auch der Titel des Albums perfekt, hinter dem die folgende, schöne Geschichte steckt:

Anna: „Wir haben vor einem Jahr in Ägypten gespielt und da kam ein Mädchen zu mir. Sie hat mir erzählt, dass ihr unsere Musik über eine sehr schwere Zeit geholfen hat. Eine Zeit, in der es in ihrem Leben darum ging, dass sie jemanden nicht loslassen konnte. Der Mensch hieß Rocco. Und sie hat es geschafft, ihn loszulassen mit viel Therapie und viel von unserer Musik. Das hat mich so berührt, dass mir diese Geschichte oft eingefallen ist. Und das passte sehr gut zu dem Thema des Albums.“

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