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Wüste mit Josua Baum

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In „Der wilde Detektiv“ entführt Jonathan Lethem in ein düsteres Kalifornien

Von der Mojave-Wüste zum Fuß des Baldy - das Land, das der US-amerikanische Autor Jonathan Lethem in seinem neuen Roman „Der wilde Detektiv“ zeichnet, ist nicht für jedermann gemacht. Es liegt fern der Zivilisation. Der Autor begegnet ihm mit Humor und surrealen Momenten.

Von Maria Motter

„Ich bin ein Hippie“, erklärt Jonathan Lethem und alle Lacher in der kleinen Berliner Buchhandlung sind wohlwollend und entzückt zustimmend. Der US-amerikanische Autor stellt in wenigen Städten seinen neuen Roman „Der wilde Detektiv“ vor, der sich auf den ersten Blick als Detektivgeschichte präsentiert, doch ein Trip in ein düsteres Kalifornien und an den Rand der Zivilisation ist.

Doch was heißt es überhaupt, 2019 ein Hippie zu sein? „Es reicht nicht, das bloß zu sagen, man wäre ein Hippie, man muss es auch erklären. Ich bin in der Ansicht aufgewachsen, dass Menschen mehr zählen als Konzerne und wir wirklich versuchen sollten, außerhalb der kapitalistischen Ideologie zu leben. Und daran glaube ich noch immer“, sagt Jonathan Lethem im Interview. Wie seine Hauptfigur in „Der wilde Detektiv“ ist Jonathan Lethem in New York geboren und ebenso wie seine Hauptfigur war er über den Wahlsieg Donald Trumps erschüttert. Für seinen Roman hat er sich nach Kalifornien zurückgezogen und auch seine Hauptfigur, die fiktive dreißigjährige Phoebe Siegler, in die Wüste geschickt.

Buchcover "Der wilde Detektiv" von Jonathan Lethem

Verlag Tropen

„Der wilde Detektiv“ von Jonathan Lethem ist 2019 übersetzt von Ulrich Blumenbach im Verlag Tropen erschienen.

Der kauzige Detektiv

Aus Wut über den Kniefall ihrer Arbeitgeber vor Donald Trump kündigt die Journalistin Phoebe Siegler 2017 ihren Job. Als die Tochter einer älteren Freundin verschwindet, begibt sich Phoebe auf die Suche nach der College-Studentin und ermittelt auf eigene Faust. Ein verschrobener Privatdetektiv namens Charles Heist soll ihr dabei behilflich sein. Als der Kauz bei der ersten Begegnung ein krankes Opposum aus seiner Schreibtischlade hebt, ist klar, dass sich in diesem Roman surreale Momente aneinanderreihen.

Die Ich-Erzählerin ist Phoebe und der Detektiv wird zum Objekt der Begierde, Phoebe fühlt sich zu dem sonderbaren Heist hingezogen. Ein Kritiker der Washington Post schlägt den Schauspieler Matthew McConaughey für die Rolle des Charles Heist vor. Tatsächlich pendelt Lethems jüngster Roman zwischen „True Detective“ und Komödie.

Höchst bizarre Figuren in befremdlichen Communities begegnen Phoebe in der Nähe jenes Zen-Buddhismus Zentrum in den San Gabriel Bergen, in dem auch Leonhard Cohen Mitte der 1990er einkehrte. In Japan war Zen einst die Religion der Kriegerelite und die schaurige Atmosphäre, die sich in „Der wilde Detektiv“ passagenweise breit macht, gipfelt recht bald in einem grausigen Fund. In einer mit Steinen eingefassten Grube liegt ein Pärchen, ermordete Teenager, ihre Leichen sind entstellt. „Sie umarmten einander und nahmen keinerlei Notiz von uns, so ausgekühlt und hilflos waren sie da in ihrer Grube, sie in ihrem albernen Kaninchenfellkostüm, der zu großen Kapuze mit den Pelzohren, er im dazu passenden Bärenkostüm.“

Simple Handlung

Die Handlung des Buches wäre in fünf Sätzen erzählt. Doch Jonathan Lethem gönnt sich ausführliche, metaphernreiche Beschreibungen dieser abenteuerreichen Spurensuche. Hier und da liest man plötzlich einen tiefgründigen Satz. Zum Beispiel: „Diese Kämpfer der Sonne hatten ihr Dorf geplündert, um das Wasser zu bekämpfen, und nichts dabei gewonnen“. Die meiste Zeit wird man mit Details unterhalten, vorausgesetzt, man mag Lethems Humor. Kalifornien ist hier einmal nicht der Golden State. „Fädeln Sie sich auf die Route 10 nach Westen Richtung Los Angeles ein", wies das GPS mich an, aber in seiner Roboterstimme klang es wie lost and jealous.“

Der Autor Jonathan Lethem

Adrian Cook

„Ich bin in der Ansicht aufgewachsen, dass Menschen mehr zählen als Konzerne und wir wirklich versuchen sollten, außerhalb der kapitalistischen Ideologie zu leben. Und daran glaube ich noch immer“, sagt der Autor Jonathan Lethem.

Er trachte beim Schreiben stets danach, soviel Vergnügen wie möglich zu haben, sagt Jonathan Lethem. Durchaus schrill ist „Der wilde Detektiv“ geraten und den Soundtrack zum Roman hat Lethem bei Spotify zusammengestellt. „Ich höre immer Musik, während ich schreibe. Es gibt meinem Schreiben Energie und ich fühle mich weniger einsam.“

Verderben oder Schönheit der Off-grid-culture

Mit seiner Idealvorstellung eines Hippie-Lebens teilen die Romanfiguren nicht allzu viel. In der Wüste wagt Phoebe es nicht einmal, ihr Smartphone zu zücken, um nachzusehen, ob sie noch Empfang hat. Die Menschen, auf die sie trifft, die sich hier als „Tunnelmenschen“ und dann noch Kilometer weiter in Tipis und Lehmhütten zusammenrotten, teilen sich in Gruppen, die sich als „Kaninchen“ und „Bären“ bezeichnen und von Outlaws beherrscht werden.

Das Selbstversorger-Leben stellt man sich jedoch doch gern romantischer vor, als sich der Versuch einer neuen Form von Gemeinschaftsleben in der Geschichte präsentiert.

„Alles mit Freiheit sollte auch unheimlich sein. Darin liegt jede Möglichkeit.“

„Wir sprechen von Off-the-Grid-Kultur. Man entzieht sich dem Internet und dem Fernsehen und denkt vielleicht ein bisschen eigenständiger. Es ist eine Möglichkeit, sich wieder bewusst zu werden, was das Menschsein ausmacht“, sagt Jonathan Lethem, der gern Zeit in der Wüste verbringt. „Es ist ein Ort der Freiheit. Du kannst stundenlang da draußen sein und stundenlang herumfahren. Und wenn du anderen begegnest, sind die wie du auf der Suche nach derselben Energie, nach denselben Möglichkeiten.“ Doch angenehm ist das nicht immer. Man kann durchaus auch mit der Angst zu tun kriegen. „Sicherlich. Alles mit Freiheit sollte auch unheimlich sein. Darin liegt jede Möglichkeit“, sagt der Autor.

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