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Ashley Hans Scheirl and Birgit Minichmayr bei der Diagonale-Eröffnung

Diagonale / Sebastian Reiser

Birgit Minichmayr gewinnt einen Preis und die Diagonale ist eröffnet

Birgit Minichmayr macht bei der Eröffnung der Diagonale das, was sie eigentlich nicht machen möchte: Sie erklärt ihre Auffassung von Kunst. Die 22. Ausgabe des Festivals des österreichischen Films in Graz beginnt mit offenherzigen Worten.

von Maria Motter

Diagonale - Festival des österreichischen Films

19. bis 24. März 2019, Graz

„Ich bin so sehr Freundin des Flüchtigen, des Augenblicks, und die Erkenntnis, dass das Leben ein stetes Vorbei ist, hatte ich schon ganz früh“, sagt Birgit Minichmayr und der Moment ist eine Sternschnuppe in der Diagonale-Eröffnungsnacht. Der Große Schauspielpreis geht an Birgit Minichmayr und kommt diesmal mit einem Kunstwerk von Ashley Hans Scheirl: „Liebe Birgit, diese Arbeit heißt ‚Golden Boys‘“ – „Die haben mir noch gefehlt“, dankt Minichmayr.

Die nicht enden wollende Laudatio der Regisseurin Veronika Franz und der Schauspielerin Johanna Rosenberg-Orsini rührt Birgit Minichmayr sichtlich. In 41 Filmen hat sie bislang gespielt, 41 Jahre ist sie alt. Es gibt keine Standing Ovations für Minichmayr, vielleicht ist zu vielen anderen im Saal auch eher danach, sich vor der Schauspielerin tief zu verbeugen.

Tipp:

Petra Erdmann hat mit Birgit Minichmayr gesprochen. Zu hören gibt es das Interview in der FM4 Homebase Spezial am Mittwoch, 20. März, von 19 bis 22 Uhr.

FM4 berichtet täglich online und on air von der Diagonale.

Veronika Franz gewährt einen Einblick, wie es ist, mit der Minichmayr zu arbeiten. Oder arbeiten zu wollen. Sie erzählt, dass Minichmayr die Hauptrolle von „Ich seh ich seh“ ausschlug, aber für den Low-Budget-Kurzfilm „Die Sünderinnen vom Höllfall“ sehr wohl sofort und ohne eine Gage zu bekommen, bereitstand. „Und dann saß sie auch schon da im Hagelsturm am Fluss, mit ihren Zwillingen bereits sichtlich schwanger. Mit den Füßen stundenlang im Wasser – ungerührt und ohne sich ein einziges Mal zu beklagen. Dann wartete sie auf die nächste Szene, die ganze saukalte Nacht im finstersten Wald des Waldviertels“, plaudert Franz.

Nach zwanzig Berufsjahren könne sie auf einige Aspekte der Profession gern verzichten, sagt Minichmayr. Auf rote Teppiche zum Beispiel oder etwa darauf, immer wieder die Frage zu verneinen, sie habe sich bei einer Rolle doch selber gespielt. „Das ist mir vor ein paar Tagen wieder passiert bei der Premiere eines Films, in dem ich eine erblindete Alkoholikerin spiele. Ja. Wahrscheinlich wegen meiner Stimme oder irgend so etwas.“

Und dann erklärt Minichmayr ihre Auffassung von Kunst, indem sie auf das aktuelle Weltgeschehen konkret Bezug nimmt. „Also wenn man mitkriegt, wie hier bei uns auch Subordinationsverhältnisse geschaffen und missbraucht werden, damit immer einer noch was zum Treten hat, wenn er es braucht. Also wo auch der Fremde per se der Kriminelle ist und jeder, der trotz Arbeitszeit sein Leben nicht mehr stemmt, selber schuld ist und nicht das neoliberale System“, so wolle sie klarstellen, was sie mit ihrem Spiel zu erreichen versuche und sich zur „hoffnungsvollen Utopie bekennen“. Kunst könne den Menschen sehr wohl verändern. „Und ich, ich möchte einfach aus tiefstem Herzen die Herzen so rühren. So sehr, sehr rühren, dass sie sich politisch verhalten.“

Bilder von der Eröffnung

Diagonale/Sebastian Reiser

Zuvor hatten schon die Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ihre vierte Diagonale mit den Worten „Sehr geschätzte Festgäste, Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft" eröffnet und damit definitiv nicht nur den Titel des Festivaltrailers gemeint. Selbstkritisch gibt sich die Festivalleitung in ihrer Eröffnungsrede. Die rückläufigen BesucherInnenzahlen an den regulären heimischen Kinokassen dürfe man nicht außer Acht lassen. „Und wann hat eigentlich die Meinung Dominanz erhalten, dass sich Pamphlete und Parolen tatsächlich besser für Erkundigungen unserer Zeit eignen als die Kunst, die sich der Poesie, der Träumerei, dem Experiment oder Wagnis verschreibt?“

Abhängig ist das Festival jedes Jahr stets von den Einreichungen und den jeweiligen Produktionen. Dieses Jahr sind in der Sektion Langspielfilm wieder erfreulich viele Debüts. Der Eröffnungsfilm kommt von einer Regisseurin, die sich ihr Publikum mit Kurzfilmen wie „Cappy Leit“ (2000) kontinuierlich erarbeitete. Marie Kreutzers „Der Boden unter den Füßen“ ist jetzt ihr vierter Kinofilm.

Bilder von der Eröffnung

Diagonale/Miriam Raneburger

Tipp:

Marie Kreutzer über ihren neuen Film „Der Boden unter den Füßen“ - im Interview erzählt Drehbuchautorin und Regisseurin Marie Kreutzer (im Bild links) über autobiografische Einflüsse beim Filmemachen, Recherchen auf der Psychiatrie und Alfred Hitchcock.

George Clooney war als Unternehmensberater „Up in the Air“, Sandra Hüller war Unternehmensberaterin in Maren Ades fantastischem „Toni Erdmann“, jetzt tritt Valerie Pachner als Carola Wegenstein in Marie Kreutzers „Der Boden unter den Füßen“ in deren Fußstapfen: Sie tritt an, das gern als das ultimative Böse dargestellte Business zu imitieren und zu reflektieren. Und sie setzt sich temporär karg eingerichteten, beim Zuschauen schon ermüdenden Bürokabinen aus.

Carola (Valerie Pachner) - kurz „Lola“ gerufen - hat eine Affäre mit ihrer Vorgesetzten (Mavie Hörbiger) und eine Schwester (Pia Hierzegger), die mit der Diagnose paranoide Schizophrenie in der Psychiatrie in Wien untergebracht ist. Die Unternehmensberaterin Lola gerät zwischen drängenden Projekten und dringenden Anrufen ihrer psychisch kranken Schwester zunehmend in Bedrängnis. Dabei hat ihre Schwester doch gar kein Handy auf Station 22 in der Psychiatrie.

Pia Hierzegger brilliert als paranoide Schizophrene, Valerie Pachner und Mavie Hörbiger spielen hervorragend. Die Geschichte ist penibel und langatmig erzählt. Sollte es einen doppelten Boden geben, so ist er einfach gezimmert. Anlässlich eines Geburtstags trägt das Consultant-Team Haarreifen mit „Happy Birthday“-Schriftzug, aber an Kollegialität glaubt nicht mal die gute Seele im Team. Nur Lola wirkt an einer Stelle befremdlich naiv für diese Branche. „Wenn die zu transpirieren anfangen, kriege ich die Krise“, sagt Lola, nachdem sie bevorstehende Entlassungen in der Firma eines Kunden angekündigt hat. Doch während sie mit Euphemismen andere zu manipulieren versucht, torpediert sie allmählich ihr eigener Verstand.

Diagonale Awards Party

presented by FM4
in Kooperation mit sound:frame

Samstag, 23. März, ab 23 Uhr, Orpheum, Graz. Der Eintritt ist frei.

Live: Lylit (Wien)
DJs: Sounds of Blackness (Wien) und DJ-Kollektiv grrrls (Graz)

UnternehmensberaterInnen sind in filmischen Narrationen das Gesicht des neoliberalen Turbokapitalismus. Marie Kreutzer lässt dieses Bild bröckeln. Allein, nach der innig-bitteren Tagikomödie „Toni Erdmann“ gestaltet sich das ein sehr schwieriges Unterfangen.

Die Regisseurin des Diagonale-Eröffnungsfilms, Marie Kreutzer, hat vor Beginn des Films darum gebeten, beim Abspann nicht zu klatschen. Leonard Cohens „If I didn’t have your love“ erklingt und die Credits rollen, dann Applaus. Einige Hallos, verfliegende Momente der Wiedersehensfreude in der Festgesellschaft und die Party wird wohl anderntags stattfinden. Alle wollten fit sein für den kommenden Kinomarathon.

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