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FILM

Der Abgrund blickt zurück

Mit „Get Out“ erneuerte Regisseur Jordan Peele das Horrorgerne um afroamerikanische Blickwinkel. In „Us“ hält er nun dem gesamten Amerika einen blutverschmierten Zerrspiegel vor.

Von Christian Fuchs

Eigentlich, sagt Jordan Peele, sei er immer schon ein großer Horrorfan gewesen. Die Weltöffentlichkeit erfährt jedenfalls erst im Februar 2017 von dieser Vorliebe. Mit „Get Out“ legt der Schauspieler damals nicht nur sein von Publikum wie Kritik gefeiertes Regiedebüt vor. Peele, der beliebte Fernsehkomiker, in den USA bekannt durch parodistische Serien wie „Mad TV“ oder „Key and Peele“, verwandelt sich in den Meister des sozialkritischen Horrorfilms.

Satirische Elemente gibt es auch in „Get Out“ zu finden. Aber Jordan Peele nimmt trotz einiger sarkastischer Pointen das Horrorgenre sehr ernst. Er erzählt die Geschichte eines jungen Afroamerikaners, der einem schockierenden Familiengeheimnis auf die Spur kommt, als beklemmende Gruselgeschichte. Was „Get Out“ aber wirklich von der Horrorkonkurrenz abhebt, ist der überdeutliche Subtext. Im Gewand eines schlanken B-Movies steckt eine Reflexion über Rassismus, die vor allem in Amerika einen Nerv trifft.

Zwar ist der Ansatz, das Schreckenskino mit subversiven Gedanken zu unterwandern, alles andere als neu. Regisseure wie George A. Romero, John Carpenter oder Wes Craven verknüpften in der Vergangenheit ebenso Gänsehautszenarien und politische Reflexionen. Aber niemand brachte zuvor so dringlich wie Peele afroamerikanische Traumata ins gruselige Spiel, was auch die Academy mit einem (Drehbuch-)Oscar würdigte.

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We’re Americans

Schließt Jordan Peeles neuer Schocker nun relativ nahtlos an „Get Out“ an? Eigentlich ist „Us“ (Wir) ein Film, über den man im Vorfeld möglichst wenig wissen sollte. Sagen wir also nur, es geht um eine freundliche amerikanische Mittelklassefamilie, die sich am sonnigen Strand von Santa Cruz entspannen will. Aber die Ferienstimmung hält nicht lange an. Eine mysteriöse Gruppe Doppelgänger, in blutrote Jumpsuits gekleidet, steht plötzlich nachts vor dem Haus der Wilsons. Und ein Horrortrip beginnt, der die Familie mit verstörenden Erkenntnissen konfrontiert.

Weil „Us“ ein Thriller von Jordan Peele ist, sind die Wilsons nicht weiß und blond wie so viele Familien in Gruselfilmen davor. „There hasn’t been a horror film about a black family, that I can remember“, erzählt der Regisseur dem „Empire“-Magazin. „I think that’s an important thing to note. We have a lot of films in this genre where a family meets a monster, but the fact we’ve never seen a black family in that situation is a problem to me.“

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Im Gegensatz zu „Get Out“ spielt die Rassenfrage abseits der Besetzung allerdings zunächst keine deutliche Rolle, es geht um allgemeinere gesellschaftliche Wunden. „Us“, wiederholt Peele auch in aktuellen Interviews, handelt von uns, von Bürger*innen, die immer dem Anderen, dem Fremden die Schuld an grassierenden Problemen geben, statt zuerst einmal sich selbst.

Dabei konfrontiert der Film seine schwarze Familie bewusst nicht mit weißen Kontrahenten, sondern stellt den afroamerikanischen Wilsons verblüffende Doppelgänger gegenüber. „We’re Americans“ erklären die bedrohlichen Abbilder lapidar in einer zentralen Szene, wir selbst sind unsere schlimmsten Feinde. Friedrich Nietzsches berühmtes Zitat - „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“ - kommt einem im Laufe der irrwitzigen Handlung auch in den Sinn.

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Gespenstische Momente, geballter Symbolismus

Wer spätestens jetzt eventuell einen Film befürchtet, der mit Botschaften überladen daherkommt, kann aufatmen. Jordan Peele lässt nicht nur seinen makaberen Trademark-Humor immer wieder einfließen. Er erweist sich ebenso erneut als leidenschaftlicher Horrorgeek, der Filme wie „The Shining“, „Jaws“ oder „It Follows“ gerne als Einflüsse betont; auch Michael Hanekes Meta-Schocker-Film „Funny Games“ hat unübersehbar Spuren im Skript hinterlassen.

Vor allem aber erinnert „Us“ stellenweise an legendäre Folgen der Kultserie „Twilight Zone“, deren TV-Neuauflage passenderweise Peele himself hostet und produziert. Der soziale Kommentar ist jedenfalls in ein surreal-schauriges Home-Invasion-Movie verpackt, inklusive beeindruckender Tableaus des Grauens, einem eindringlichen Soundtrack und tollen Darstellern. Die Oscargewinnerin Lupita Nyong’o und der durch „Black Panther“ bekannte Winston Duke brillieren als Eltern Wilson, vor allem erstere liefert als wehrhafte Mutter Adelaide eine mitreißende Performance.

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Das klingt jetzt zugegeben alles großartig. Ein echter anarchischer Meilenstein, wie ihn der Trailer verspricht, ist Jordan Peele aber leider trotzdem nicht gelungen. Während „Get Out“ gerade wegen seiner eng abgesteckten Storygrenzen so überzeugend wirkte, leidet „Us“ an Überambition. All die wunderbar weirden und gespenstischen Momente, all der geballte Symbolismus, der sich durch den Film zieht und an Serien wie „Lost“ oder „The Leftovers“ denken lässt, ergeben letztlich kein wirklich schlüssiges Gesamtbild.

Vielleicht sollte man deshalb alles hier gelesene und die konkreten Deutungsversuche, die sich Netz finden, komplett vergessen und dem Rat eines US-Rezensenten folgen. Je weniger Energie man beim Nachdenken über „Us“ verschwenden würde, meinte der Kritiker, desto besser funktioniert der Film.

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